Angst vor Anschlägen

"Nicht die Gegner des offenen Lebens gewinnen lassen"

Überwachungskameras an einer Hauswand des Schleswig-Holsteinischen Landtags in Kiel.
Überwachungskameras an einer Hauswand: Videoüberwachung kann helfen, Verbrechen aufzuklären. © picture alliance / dpa / Markus Scholz
Friedrich von Borries im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 30.06.2016
Terroranschläge machen Angst, die weite Kreise ziehen. Und doch kämen durch Verkehrsunfälle oder Alltagskriminalität weitaus mehr Menschen um als durch Terror, meint der Architekt Friedrich von Borries. Es gebe jedenfalls keinen Grund, das öffentliche Leben zu meiden.
Terroranschläge wie jetzt in Istanbul machen auch Menschen in anderen Städten Angst. Manche suchen deswegen bestimmte öffentliche Orte nicht mehr auf – die Städte reagieren wiederum mit dem Aufbau von Sicherheitsstrukturen. Terror und Gewalt haben auf diese Weise direkten Einfluss auf das öffentliche Leben.
Doch es gebe noch eine dritte Reaktion, die man beispielsweise in Israel und dem Libanon beobachten könne, sagt der Architekt und Professor für Designtheorie an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg, Friedrich von Borries. "Weiterleben, weiterfeiern. (…) Das Leben genießen, solange man es noch leben kann. Dem Terror, der das Leben negiert, die Lebensfreude entgegensetzen."
Teilnehmer des Midburn 2016 in der Negev-Wüste in Israel feiern am 10. Juni 2016 das Festival. Rund 8000 Menschen leben von 8. bis zum 12. Juni in einer Zeltstadt in der Wüste und zelebrieren Kunst, Musik, Tanzen und ein Lebensgefühl der Freiheit. Foto: Stefanie Järkel/dpa (Zu dpa "Im Midburn-Fieber: Sternengucker, Zeitreisende und Freigeister") | Verwendung weltweit
Vergiss den Terror: Beim Midburn Festival in der israelischen Negev-Wüste feierten kürzlich rund 8000 Menschen Kunst, Musik, Tanz und die Freiheit© dpa
"Weiter in die Öffentlichkeit gehen, und nicht sich verschanzen und verstecken und dadurch die Gegner des offenen Lebens gewinnen lassen": Für von Borries ist das die "einzig richtige Antwort". Von mehr Überwachung des öffentlichen Raumes hält er wenig: Sei mehr Kontrolle einmal etabliert, bleibe sie in der Regel auch bestehen, wenn die Gefahr vorüber sei. Als Beispiel nannte er die von dicken Pollern und einer Auto-Verbotszone geschützte britische Botschaft in Berlin. Die Poller seien wegen des Irak-Krieges aufgestellt und hinterher nicht mehr abgebaut worden.

Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Mehr als 40 Tote, hunderte Verletzte. Die Bilanz des Anschlags von Istanbul kann einen nur traurig machen, diese sinnlose Gewalt, die ja die türkische Metropole nicht zum ersten Mal trifft. Anschlag Nummer vier allein in diesem Jahr. Was passiert mit einer Stadt, mit dem Leben in einer Stadt, wenn sie so häufig so tief getroffen wird? Verändert der Terror unsere Städte, so wie wir sie leben und lieben?
Mein Gesprächsgast hat sich mit diesen Fragen befasst, beruflich wie auch literarisch: Friedrich von Borries, Architekt und Professor für Designtheorie an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg und Autor des Buches "1 WTC", das sich mit den Folgen des 11. September in New York beschäftigt. Einen schönen guten Morgen!
Friedrich von Borries: Guten Morgen!
Frenzel: Herr von Borries, wie verändert der Terrorismus das Lebensgefühl in den Großstädten?
Borries: Gut, da gibt es natürlich mehrere Ebenen. Die eine, sehr direkte ist, dass Leute mehr Angst haben, es vermeiden, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, vermeiden, öffentliche Plätze zu besuchen, vermeiden vielleicht auch, bestimmte Städte, die sie für gefährlich halten, überhaupt zu bereisen.
Zweite Reaktion ist, dass Städte versuchen, mehr Sicherheitsstrukturen aufzubauen, um – in Anführungszeichen – Sicherheit zu gewährleisten, mehr Videoüberwachung, mehr Polizeipräsenz, Absicherung von Plätzen et cetera. Und dann gibt es natürlich auch die dritte Variante, die man sehr häufig in Israel sieht, weiterleben, weiterfeiern, oder auch im Libanon, in Beirut gesehen hat, das Leben genießen, solange man es noch leben kann, also dem Terror, der das Leben negiert, die Lebensfreude entgegenzusetzen.
Frenzel: Gehen wir mal diese drei Punkte vielleicht durch: Dieses Weniger-öffentlich-Leben, sind das temporäre Sachen oder würden Sie sagen, das hat unsere Städte schon weniger urban gemacht?
Borries: Ja, das ist immer eine Frage, wie tiefgreifend das in die mentale Struktur einer Bevölkerung und einer Stadtkultur eingreift. Man kennt das aus Städten wie zum Beispiel Mexico City, wo weniger das Problem jetzt Terror ist als allgemeine Gewalt und allgemeine Verbrechen, so sich schon so eine Kultur eingeschlichen hat, dass die Leute ihre Kinder immer mit dem Auto zur Schule bringen - zum Beispiel - und sich nicht trauen, dass Kinder die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen, weil sie Angst vor Entführungen haben. Und wenn so was erst mal Lebenskultur, Alltagskultur, Gewohnheit geworden ist, dann ändert sich das auch nicht mehr so schnell. Die Angst wird also dann Teil von uns und verändert unser Verhalten.

"Durch Videoüberwachung ist noch nie ein Verbrechen verhindert worden"

Frenzel: Punkt zwei, die Sicherheitsmaßnahmen, die Sie angesprochen haben: Kann man denn da trennen zwischen dem, wo Sie sagen würden, ja, das sind sinnvoll nachvollziehbare Dinge und zum anderen Übersprungshandlungen, die die Stadt vielleicht überhaupt nicht sicherer machen, aber eben doch passieren?
Borries: Gut, bei Videoüberwachung ist es bekannt, dass durch Videoüberwachung noch nie ein Verbrechen verhindert worden ist. Sie werden dann halt besser aufgeklärt und meistens bleiben die Eingriffe bestehen. Ein schönes Beispiel oder nicht schönes Beispiel ist die Britische Botschaft in Berlin. Während des Irak-Kriegs wurden dort Sicherheitsmaßnahmen durchgeführt, Straßenpoller aufgestellt, man kann da nicht mehr mit dem Auto vorbeifahren, sondern nur vorbeilaufen oder mit dem Fahrrad vorbeifahren, weil es hieß, dass eine konkrete Terrorgefahr besteht. Nun ist der Irak-Krieg schon relativ lange her, es sind auch keine britischen Truppen mehr da besonders aktiv et cetera, nichtsdestotrotz, diese Straßensperrung besteht immer noch. Und das ist jetzt nur ein besonders sinnfälliges Beispiel, wir kennen das an sehr vielen Orten: Wenn erst mal eine Form von Überwachung oder eine Form von Abgrenzung, Abtrennung, Kontrollstruktur eingeführt ist, bleibt sie meistens bestehen. Auch die ganzen Heimatschutzgesetze, die in den USA erlassen wurden infolge von 9/11, die sich ja auch alle als sehr überzogen haben, weil so viele Angriffe auf die USA von außen ja nicht erfolgen, sind ja nicht zurückgenommen worden. Also, wenn es bestimmten gesellschaftlichen Kräften, die ein Interesse an mehr Kontrolle, an mehr Sicherheit, an mehr Struktur haben, aus ökonomischen oder politischen Gründen, gelingt, diese durchzusetzen, umzusetzen, dann werden sie selten zurückgenommen.
Frenzel: Gibt es denn gute Beispiele aus Ihrer Sicht, also Maßnahmen, mit denen man auf diese andere Lage, die ja de facto eine andere Lage ist durch den Terror, städtebaulich gut umgehen kann?
Borries: Ich glaube, dass man es ignorieren muss. Ich glaube, dass man Städte weiter beleben muss. Die tatsächliche Anzahl von Todesfällen ist ja am Ende vernachlässigbar, die Anzahl von Toten verglichen mit anderen Todesfällen in Städten wie zum Beispiel Hitzeschocks im Sommer, Verkehrsunfälle, Luftverschmutzung, Alltagskriminalität et cetera, das sind ja die wesentlich wahrscheinlicheren Todesursachen.
Also, die Wahrscheinlichkeit, dass irgendjemand von uns durch einen Terroranschlag ums Leben kommt, ist ja verschwindend gering. Aber es setzt sich durch mediale Berichterstattung, durch Instrumentalisierung für politische Absichten et cetera einfach in unsere mentale Struktur ein und ich glaube, dem müssen wir uns widersetzen. Denn sonst gewinnen die Terroristen oder diejenigen, die unser öffentliches Leben, unsere Form von Freiheit, von Lebenskultur, Lebenslust, Lebensglück zerstören wollen. Die gewinnen, wenn wir uns auf dieses Spiel einlassen.
Frenzel: Das heißt, das Motto der Franzosen – "je suis en terrasse" – nach den Anschlägen vom November, also, "ich bleibe draußen, ich suche weiter den öffentlichen Raum auf", das ist eigentlich die einzig adäquate Antwort auf die Terrorbedrohung?
Borries: Ja, die einzig richtige Antwort ist: Weiter leben, weiter in die Öffentlichkeit gehen und nicht sich verschanzen und verstecken und dadurch die Gegner des offenen Lebens gewinnen lassen.
Frenzel: Friedrich von Borries, Architekt und Professor für Designtheorie an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Borries: Gern, einen schönen Tag noch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema