Angst-Szenario in Israel

05.01.2010
"Das Recht auf Rückkehr" ist ein seltsam markiger Titel, der zu einem Leitartikel besser passen würde als zu einem Roman. Im Jahr 2024, in dem weite Teile der Handlung angesiedelt sind, ist Israel in dieser Angst-Vision Leon de Winters auf die Fläche eines Stadtstaates von der Größe Tel Avivs zusammengeschrumpft. Für die, die dort noch leben, geht es eher darum auszuharren, als ein "Recht" auf "Rückkehr" zu proklamieren.
Wer kann, übersiedelt ins prosperierende Russland, Juden kehren in ihre Herkunftsländer zurück. Vielleicht meint der Titel ja diese Bewegung. Das kleine Rest-Israel aber ist hinter noch viel höheren Mauern verbunkert als heute. Sicherheitsschleusen an den Grenzübergängen überprüfen die DNA der Reisenden und können jüdische von arabischen Y-Chromosomen unterscheiden, um nur die Guten, die Juden, durchzulassen.

Bram, die Hauptfigur, ist Rettungsfahrer und betreibt nebenbei eine Detektei, die sich darauf spezialisiert hat, entführte Kinder wieder aufzuspüren. 20 Jahre zuvor, als er noch Professor für Geschichte in Princeton war, wurde sein eigener vierjähriger Sohn entführt. Bram bewältigte diesen Verlust nicht. Er stürzte ab in die Obdachlosigkeit und in den Wahn. Seine wunderschöne Frau verließ ihn, weil sie ihn für den Verlust des Kindes verantwortlich machte. Um diese traumatisierende Vorgeschichte zu erzählen, braucht de Winter 250 Seiten, knapp die Hälfte des Buches, in denen die Handlung durch einige eher ratlose Nebenkapitel mäandert.

Dass Bram schließlich nach Israel zurückkehrt, hat etwas mit seinem alten Vater zu tun: einem Nobelpreisträger für Chemie, der nun an Alzheimer leidet und nicht mehr weiß, wer er ist. Das also auch noch: Leon de Winter verrührt die klassischen Mittelstandsängste – Karriereende, Absturz in die Armut, Kindesmissbrauch, Demenz – zu einer kruden Mischung, die er mit dem israelischen Untergangsszenario überblendet. Bedrohung und Angst sind allgegenwärtig. Seine Botschaft ist überdeutlich: Wer sich nicht wehrt und mit doppelter Härte zurückzuschlagen vermag, wird untergehen.

Die meisten der entführten Kinder sind tot, falls es Bram gelingt, sie aufzuspüren. Der Krieg der Araber gegen die Juden wird auch über die Nachkommenschaft ausgetragen. Die demografische Entwicklung Israels schrumpft bei de Winter zu dem Satz zusammen: "Die palästinensischen Araber hatten die Juden mit ihren Gebärmüttern besiegt." Um dem nachzuhelfen, werden jüdische Kinder entführt: Mädchen, um sie "muslimisch" zu befruchten, und Jungen, um sie – wie sich schließlich herausstellt – in islamistische Selbstmordattentäter zu verwandeln. Mit ihren jüdischen Genen – de Winter schreckt vor biologisch nicht haltbaren Definitionen der Differenz nicht zurück – sind sie in der Lage, die DNA-Schleusen an den Grenzstationen auszuhebeln und sich dort in die Luft zu jagen. Für Rumpf-Israel ist das ein Horrorszenario: Wenn Juden zu Attentätern werden, ist Selbstverteidigung unmöglich.

Der holländische Bestsellerautor Leon de Winter ist aus seinen Essays und Romanen als unerschrockener Verteidiger der israelischen Politik der Härte bekannt: ein "Falke", der von Friedensverhandlungen mit den Palästinensern nichts hält. Diese Positionen kommen – als Figurenrede – auch in seinem Roman vor und drängen sich passagenweise in den Vordergrund. Die Handlung, die etwas lieblos zusammengenagelt wirkt und die Figuren, die halbherzig entworfen und dann auch wieder liegengelassen werden, sind dagegen eher Nebensache. Erzählerisch ist "Das Recht auf Rückkehr" konventionell. Alles an diesem Buch ist Mitteilung, Belehrung, Ideologie. Was fehlt, ist Ausdruckskraft und Wahrnehmungstiefe. So ist dieser Roman, der doch ein Polit-Thriller sein soll, eher spannungsarm.

Besprochen von Jörg Magenau

Leon de Winter: Das Recht auf Rückkehr
Roman
Aus dem Niederländischen von Hanni Ehlers
Diogenes, Zürich 2009
550 Seiten, 22,90 Euro