Angriffslustige Ehrlichkeit

Von Volker Trauth · 30.05.2011
Für das Theatertreffen der Jugend hat eine Jury hatte aus 166 Bewerbungen die acht "bemerkenswerten Inszenierungen" von Theaterjugendclubs, Gymnasien, Realschulen und Jugendfreizeiteinrichtungen ausgewählt. Sie sind derzeit im Haus der Berliner Festspiele zu sehen.
"Und jetzt ein bisschen schwieriger. Ihr müsst mir einfach nachsprechen …"

Szene aus der Inszenierung "Clash", die der deutsch-türkische Regisseur Nurkan Erpulat mit Amateurschauspielern vom "Jungen Deutschen Theater" herausgebracht hat. Junge Deutsche beim Erlernen der arabischen Sprache. Sie hatten mit einem Raumschiff die Suche nach einem besseren Leben aufgenommen, wegen einer Havarie aber auf der Erde notlanden müssen.

In ironischer Verfremdung der irrwitzigen Thesen von Thilo Sarrazin und in Anlehnung an den Film "Planet der Affen" waren dort im Jahre 2111 die Deutschen im Begriff sich abzuschaffen; und eine Spezies von Türken in Affenkostümen hatte die Macht übernommen. Weil sie keine Parallelgesellschaften gründen sollten, war den Deutschen der Nachweis arabischer Sprachkenntnisse auferlegt worden. Eine ebenso gesellschaftskritische wie witzige Farce hebt an.

Die Deutschen entgehen nur knapp einer Massenerschießung, ein junger deutscher Fußballer erhält dagegen den Sonderpreis für Integration. Was Prof. Sartorius, den Intendanten der Berliner Festspiele, begeistert, ist die angriffslustige Ehrlichkeit dieser und anderer Eigenproduktion der jungen Spieler.

"Eigenproduktion bedeutet: Die jungen Leute bringen eigentlich ihre eigenen Erfahrungen, Hoffnungen, Zukunftsängste, Herkunft und Identität mit hinein. Es geht in erster Linie um die Stellung dieser Jugendlichen selbst. Es gibt ja eine Reihe von Schauspielern mit Migrationshintergrund oder -vordergrund, also es geht um die Gesellschaft und die Integration in die Gesellschaft und die Hoffnungen, die in die Zukunft gerichtet werden. Ich denke, man hat da sehr genau, was die Jugendlichen denken und fühlen."

Spieler mit unterschiedlicher Herkunft agieren auch in der Inszenierung "Die dritte Generation", die der bekannte Regisseur Lukas Langhoff am Ballhaus Naunynstr. zur Premiere gebracht hat.

Die Spieler bringen ihre Realitätserfahrungen zur Sprache. Ein junger Türke erträumt sich eine Schauspielerkarriere, seine Landsfrau in mittleren Jahren möchte einmal noch das Dorf ihrer Väter in Anatolien sehen. Eine türkische Schülerin erzählt vom traurigen Ende einer Liebesbeziehung zu einem deutschen Rechtsradikalen.

Szene aus "Die dritte Generation"

Dem Regisseur sind Szenen mit erstaunlicher schauspielerischer Dichte gelungen, eine Dichte, die das Maß üblicher Amateurinszenierungen deutlich übertrifft. Wie ein Spieler in rasendem Tempo seine naturwissenschaftlichen Kenntnisse präsentiert und dabei um Luft ringt, oder wie eine andere Darstellerin ihre Wut über die Hartherzigkeit der Mitarbeiter Jobcenters herausschreit, die ihr keine Heizkosten bezahlen wollen, das verrät schauspielerisches Talent und behutsame Führung durch den Regisseur.

Lukas Langhoff hat viele Inszenierungen an Berufstheatern in Magdeburg, Leipzig, Potsdam und Bremen herausgebracht und im regelmäßigen Wechsel dazu mit Amateuren gearbeitet. Warum?

"Es geht mir darum, mich selbst zu komplementieren, zu versuchen, Bereiche kennenzulernen, die mir im Profitheater nicht begegnen, um Berührungen, Diskussionen, Auseinandersetzungen zu schaffen. Ich lerne unwahrscheinlich viel dazu. Das befruchtet sich ständig, das mache ich auch, um besser zu werden im Beruf."

Seine Inszenierung erschöpft sich nicht in der 1:1-Zeichnung der Realität, sondern sucht immer wieder nach künstlerischer Überhöhung.

Zu Beginn philosophieren ein guter und ein missgünstiger Engel über die Zukunftschancen der jungen Menschen und führen dabei Texte aus dem "Faust" im Munde.

Der Rückgriff auf vorgeformte Stücke der Weltliteratur, die Übersetzung von klassischen Texten in die ungeschminkte Sprache der Jugend und deren Lebensgefühl prägen auch andere Inszenierungen, die hier gezeigt werden. Unter dem Titel "Don't cry for me my Baby" wird der Theaterjugendclub des Chemnitzer Schauspielhauses eine eigenwillige Fassung von Shakespeares "Romeo du Julia" vorstellen. Die Erwachsenen des Stücks werden von Jugendlichen unterschiedlichen Alters gespielt, die Tragödie der beiden Hauptfiguren weitet sich aus zur Tragödie von Jugendgangs, die ihren Platz im Leben nicht finden können.

In der Inszenierung "Mutter Kuhranch" vom Gymnasium aus Unterschleißheim durchdringen sich gleich mehrere Stücke, Brechts "Mutter Courage" und Tschechows "Drei Schwestern" sowie Passagen aus dem Western "Bonanza". Respektlos also auch der Umgang mit der Weltliteratur.

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