Angriff von oben

Von Hartmut Goege · 28.03.2013
Alfred Hitchcock hat die Filmästhetik immer wieder neu beeinflusst. Sein Werk "Die Vögel" sorgte 1963 vor allem wegen seiner Soundeffekte für Aufsehen – die aus Berlin kamen. Bei der Premiere in New York vor 50 Jahren blieben die Zuschauer verstört zurück.
"Für mich ist die Spannung in einem Film, wenn das Publikum Angst um die Hauptdarsteller hat."

Als Alfred Hitchcock über die Grundlagen seiner bisherigen Arbeiten sprach, hatte er "Die Vögel" noch nicht produziert. In diesem Film ist alles anders und doch ist es ein typischer Hitchcock, der sich streng an die Form des klassischen Dramas mit seiner Einheit von Ort, Zeit und Handlung hält. Mit dem Unterschied, dass die Hauptdarsteller Vögel sind:

"Sie greifen wieder an ... Kommt mit!"
"Vorsicht sie kommen!"

Die Premiere der "Vögel" am 28. März 1963 in New York ließ so manchen Zuschauer verstört zurück. Denn Hitchcock lieferte keinen plausiblen Grund dafür, warum die Tiere plötzlich die Einwohner eines kleinen Küstenorts in Kalifornien attackierten.

"Den Vögeln liegt die Aggressivität fern. Sie bringen Farbe und Schönheit in die Welt." "Warum tun die Vögel das?"

Hitchcock hatte darauf verzichtet, gefährlich wirkende Raubvögel einzusetzen. Singvögel, Möwen, Krähen und Finkenschwärme verbreiteten stattdessen die tödliche Bedrohung. Eine Umkehrung der natürlichen Ordnung. Um das abstrakte Gefühl von Angst durch harmloses Federvieh beim Zuschauer auszulösen, suchte Hitchcock nach ebenso abstrakten, verfremdeten Vogelgeräuschen. Er fand sie in Berlin:

"Ich bin hier für meinen letzten Film, der heißt ‚Die Vögel‘. Und wir machen hier eine neue Idee für Ton. Dieser Film hat keine Musik. Da ist eine Maschine hier, die macht den Ton durch Elektronik ..."
Oskar Sala, ein Schüler Paul Hindemiths, hatte zusammen mit Friedrich Trautwein in den 30er-Jahren das sogenannte Trautonium entwickelt, eine Art früher Synthesizer. Dank einer aufwendigen und komplizierten Elektrotechnik erreichte es eine erstaunliche Vielfalt an Tönen. Sala hatte bereits Klangkulissen für mehr als 300 Filme entwickelt. Bedrohliche Vogelgeräusche aber waren eine neue Herausforderung:

"Er hatte mir ein Probeakt zukommen lassen. Und dieser Probeakt, das war der Akt, wo die Vögel das Haus überfallen. Und eine Szene hat er sich dann aufgespart und gesagt, auf die habe ich gewartet. Und dann ging das los, und dann fand ich das alles schon sehr aufregend, nicht wahr. Und auf einmal kommt der erste Vogel durch das Fenster durch, nicht wahr, der Schnabel und dann der Kopf und dieser furchtbare Schrei, und der hat mich wieder so erschreckt, da sag ich, das ist es, das wird gemacht und nichts anderes."

Der Horror beginnt harmlos – mit einer klassischen trivialen Liebesgeschichte als nebensächliches, aber notwendiges Vehikel für den Verlauf der Handlung: Melanie Daniels, die schöne verwöhnte blonde Tochter eines Zeitungsverlegers, lernt in einer Zoohandlung in San Francisco den gut aussehenden Anwalt Mitch Brenner kennen. Unter einem Vorwand folgt sie ihm in seinen Heimatort Bodega Bay. Die Tragödie nimmt ihren Lauf, als Melanie aus heiterem Himmel von einer Möwe attackiert wird.

"Sind sie verletzt?" – "Ach, es ist nicht so schlimm! Was hat sie bloß dazu veranlasst?"- "Sowas Verrücktes habe ich noch nie erlebt, als ob sie absichtlich auf sie runtergestoßen wäre."

Schon bald suchen Tausende Vögel die Stadt heim, lauern Schulkindern und Anwohnern auf. Es gibt erste Tote. Wellenartig werden die Zuschauer auf die zunehmende Angriffslust der Feinde aus der Luft eingestimmt. Hitchcock lässt sie im Unklaren, wann der nächste Angriff erfolgt. Eine unvergessliche Szene: Ein Klettergerüst vor einer Schule, darauf eine Krähe, dann eine zweite, fünf, später zehn, kein Laut ist zu hören. Die Stille wirkt bedrohlich. Schließlich ist die Szene schwarz von Vögeln. Bald müssen Mitch und Melanie gegen die tödliche Macht einer unkontrollierbaren Naturgewalt um ihr Leben kämpfen.

"Als ob sie einen Plan hätten, nicht. Sie schlagen zu, sie verschwinden und dann sammeln sie sich wieder."

Das Ende bleibt offen. Während Melanie, Mitch und seine Familie vorsichtig den Ort des Grauens verlassen, hockt eine unübersehbare Menge von Vögeln in der Landschaft. Es ist unklar, ob sie zukünftig wieder zuschlagen werden.

Hitchcocks spätes Meisterwerk war für seine Zeit revolutionär und hat die Entwicklung auf dem Sektor der Special- und Sound-Effects maßgeblich vorangetrieben. Die Dreharbeiten erforderten drei Jahre Vorbereitung für fast 400 Trickaufnahmen. "Die Vögel" ist ein weiteres Beispiel für Hitchcocks technische Experimente, die die Filmästhetik immer wieder aufs Neue beeinflussten.

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