Angelika Herb von "Ärzte ohne Grenzen"

Die stille Krise in Zentralafrika

Alltag in Bangui - mit französischem Militär
Alltag in der Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik - Bangui © picture-alliance / dpa
Moderation: André Hatting · 10.01.2015
Die Frontlinie verläuft mitten durchs Land: In der Zentralafrikanischen Republik stehen sich christliche und muslimische Rebellengruppen seit Jahren gegenüber. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen mahnt Hilfe für die Zivilbevölkerung an.
Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen fordert internationale Organisationen auf, sich angesichts der andauernden Krise in der Zentralafrikanischen Republik stärker zu engagieren. Das Land befinde sich in einer humanitären, ökonomischen und politischen Krise, so die stellvertretende Landeskoordinatorin Angelika Herb.
Es gebe im Prinzip keine funktionierende Regierung und das Land werde durch unterschiedliche Rebellengruppen kontrolliert, sagte die Logistikerin von Ärzte ohne Grenzen. Das führe zu regelmäßigen Auseinandersetzungen und Kämpfen zwischen den christlich beziehungsweise muslimisch dominierten Rebellengruppen und zu regelmäßigen Übergriffen auf Dörfer und Städte.
Frauen und Kinder sind schutzlos ausgeliefert
"Die Zivilbevölkerung leidet unter einer ineffizienten und nicht existierenden staatlichen Versorgung in allen Bereichen, das gilt nicht nur für die Gesundheitsversorgung, das gilt auch für alle anderen Lebensbereiche."
Vor allem Frauen und Kinder, die regelmäßig ihre Städte und Dörfer verlassen müssten, seien verwundbar.
"Wir halten ein sehr starkes Plädoyer, dass nicht nur medizinische Akteure, sondern auch andere Akteure, andere internationale Hilfsorganisationen ihre Arbeit in der Zentralafrikanischen Republik fortsetzen oder beginnen, auch [...] im Bereich genereller Infrastruktur wie Unterkünfte oder generell Schutz und Logistik", unterstrich Herb die Forderung ihrer Hilfsorganisation.

Das Interview im Wortlaut:
André Hatting: Deutschland im Jahr 2030: Christliche Milizen machen Jagd auf die muslimische Minderheit, sie zünden ihre Häuser an, verschleppen Frauen und Kinder, morden, plündern - eine Horrorvision, zum Glück eine eher unwahrscheinliche.
In der Zentralafrikanischen Republik ist sie seit zwei Jahren Realität: Seit im März 2013 muslimische Rebellen den damaligen Präsidenten gestürzt haben, herrscht in dem Land Chaos. Allein im vergangenen Jahr starben über 5.000 Menschen beim Krieg zwischen den Religionen, fast ein Fünftel der knapp fünf Millionen Einwohner ist auf der Flucht.
Wenn wir in den vergangenen Tagen über den afrikanischen Kontinent berichtet haben, dann eher aus Nigeria - über die Gräueltaten der islamistischen Sekte Boko Haram. Die Krise in Zentralafrika schwelt unbeachtet vor sich hin. Mit Angelica Herb wollen wir wenigstens ein bisschen dazu beitragen, das zu ändern. Sie ist die stellvertretende Landeskoordinatorin für "Ärzte ohne Grenzen". Herzlich Willkommen bei uns im Studio, Frau Herb!
Angelica Herb: Vielen Dank, guten Morgen!
Hatting: Sie haben das vergangene Jahr in der Zentralafrikanischen Republik gelebt, sind erst vor Kurzem wieder zurückgekehrt. Wie ist denn die Lage in dem Land?
Regelmäßige Auseinandersetzungen
Herb: Die Zentralafrikanische Republik ist ein Land, was sich im Prinzip schon seit vielen Jahren, nicht seit der neuerlichen Krise erst, in einer humanitären, ökonomischen und politischen Krise befindet. Es gibt im Prinzip keine funktionierende Regierung, und das Land wird kontrolliert durch unterschiedliche Rebellengruppen, auf der einen Seite eine Rebellengruppe, die christlich dominiert ist, die Anti-Balaka, und auf der anderen Seite eine muslimisch dominierte Rebellengruppe, die Séléka. Und das führt zu regelmäßigen Auseinandersetzungen, Kämpfen zwischen den Gruppen entlang einer Frontlinie, die im Prinzip das Land teilt, führt aber auch dazu, dass es regelmäßige Übergriffe auf Dörfer und Städte durch die einzelnen Rebellengruppen auf die zivile Bevölkerung gibt.
Hatting: Also die Zivilbevölkerung leidet durch diese Angriffe oder unter diesen Angriffen. Ich habe gelesen, dass offenbar die Zentralafrikanische Republik sich mittlerweile leider auch zu einem Ausbildungshort für Kindersoldaten entwickelt.
Herb: Wie Sie gerade gesagt haben: Die Zivilbevölkerung leidet unter einer ineffizienten und nicht existierenden staatlichen Versorgung in allen Bereichen. Das gilt nicht nur für die Gesundheitsversorgung, das gilt auch für alle anderen Lebensbereiche. Grundlegende logistische Strukturen wie Straßen oder Elektrizität waren entweder nie vorhanden oder sind durch die neuerliche Krise zerstört worden.
Und die Situation, wie Sie ganz recht sagen, ist dadurch ausgezeichnet, dass es einen Mangel an Schutz generell gibt, und das trifft auch zu für insbesondere Kinder, die unter anderem durch die Rebellengruppen rekrutiert werden, aber Schutz in einem mehr generellen Sinne auch von Kindern und Frauen, die, weil sie eben regelmäßig ihre Dörfer und Städte verlassen müssen, entsprechend verwundbar sind und sehr, sehr anfällig sind für Krankheiten und schutzlos sich im Busch aufhalten.
Hatting: Die Spaltung, von der Sie gesprochen haben, des Landes, ist das nur eine Spaltung entlang dieser Frontlinie zwischen der christlichen und der muslimischen Miliz, oder würden Sie sagen, dass mittlerweile auch die verschiedenen Religionszugehörigkeiten bei den anderen Menschen, bei der normalen Bevölkerung eine Rolle spielen? In anderen Worten: Sind sich mittlerweile auch Muslime und Christen im Alltag spinnefeind?
Psychosoziale Hilfe
Herb: Die Frontlinie, die das Land teilt, die ist im Prinzip dominierend, aber natürlich haben die Gewaltereignisse, die während des Jahres 2013 und 2014 stattgefunden haben übers ganze Land, natürlich haben die auch Wunden in der zivilen Bevölkerung hinterlassen, was zu entsprechender Traumatisierung generell geführt hat, was wir auch versuchen als medizinische Organisation, in Form von psychosozialer Hilfe abzudecken.
Hatting: Und schaffen das Milizen jetzt, die beiden Religionen auch gegeneinander aufzuhetzen?
Herb: Bitte, können Sie die Frage ...
Hatting: Schaffen das denn die Milizen, die beiden Religionen gegeneinander aufzuhetzen?
Herb: Es ist im Prinzip ein sehr komplexer Konflikt. Es ist nicht nur ein Konflikt zwischen den Rebellengruppen, aber es ist eben auch ein Konflikt aufgrund dessen, dass es eine nicht existierende Regierung gibt und weil viele Wunden in der zivilen Bevölkerung zu heilen sind aufgrund dessen, dass ein Großteil der muslimischen Bevölkerung im westlichen Teil der Zentralafrikanischen Republik das Land verlassen musste oder intern in andere Gebiete des Landes flüchten musste.
Hatting: Die Vereinten Nationen haben mehrere tausend Soldaten in der Zentralafrikanischen Republik stationiert. Nützt das etwas?
Bessere Sicherheitslage durch Blauhelmeinsätze
Herb: "Ärzte ohne Grenzen" ist eine medizinische Hilfsorganisation und somit nicht geeignet, die Effizienz von Blauhelmeinsätzen zu beurteilen. Was wir aber sehen können, was ich selber auch gesehen habe in Bangida, der Hauptstadt, aber auch in anderen Gebieten, wo wir unsere mobilen Kliniken und Krankenhäuser betreiben, dass es in bestimmten Gebieten zu einer besseren Sicherheitslage der Zivilbevölkerung geführt hat.
Hatting: Was fordern "Ärzte ohne Grenzen" außerdem? Was muss geschehen, um diesen Konflikt zu befrieden?
Herb: Wir halten ein sehr starkes Plädoyer, dass nicht nur medizinische Akteure, aber eben, wie bereits eben auch angesprochen, andere Akteure, andere internationale Hilfsorganisationen ihre Arbeit in der Zentralafrikanischen Republik fortsetzen oder beginnen, auch in anderen Bereichen, wie gesagt, im Bereich genereller Infrastruktur wie Unterkünfte oder generell Schutz und Logistik. Das ist unser Plädoyer.
Hatting: Über die stille Krise in der Zentralafrikanischen Republik und was man dagegen tun kann, habe ich mit Angelica Herb gesprochen, sie ist die stellvertretende Landeskoordinatorin von "Ärzte ohne Grenzen" im Land. Danke für Ihren Besuch im Studio!
Herb: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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