"Angela Merkel hat gute Nerven und ist ziemlich zäh"

Gerd Langguth im Gespräch mit André Hatting · 26.08.2011
Der Bonner Politologe und Merkel-Biograf Gerd Langguth sieht trotz der Kritik am Kurs der Bundesregierung keine Gefahr für Bundeskanzlerin Angela Merkel. Es gebe innerhalb der CDU keine möglichen Konkurrenten.
André Hatting: Die leichte Sommerbrise des Urlaubs ist vorbei, und in Berlin bläst der Kanzlerin frostiger Gegenwind ins Gesicht: Es geht wieder einmal um ihr Krisenmanagement in Sachen Euro. Die Kritik ist doppelt unangenehm für Angela Merkel, weil sie aus den eigenen Reihen kommt. Bundespräsident Christian Wulff, Kabinettskollegin Ursula von der Leyen und Ziehvater Helmut Kohl – alles CDU-Politiker mit mehr oder weniger Gewicht, und alle mäkeln am Kurs der Kanzlerin herum. Am Telefon begrüße ich jetzt Gerd Langguth, er unterrichtet politische Wissenschaft an der Uni Bonn und ist Merkel-Biograf. Guten Morgen, Herr Langguth!

Gerd Langguth: Guten Morgen, Herr Hatting!

Hatting: Die Bundeskanzlerin verteidigt sich wieder sehr vorsichtig, auf die Kritik von Helmut Kohl hat sie nur gesagt, jede Zeit habe ihre Herausforderungen. Reicht das?

Langguth: Na, ob es reicht, weiß ich nicht, aber jetzt stellen Sie sich mal vor, die amtierende Kanzlerin würde jetzt jedes Argument des Altkanzlers nehmen und sich dann damit wiederum kritisch auseinandersetzen. Das würde ja dann wie eine Schlacht zwischen einem massiven Kanzler der Vergangenheit und einer relativ zierlichen – im Vergleich dazu – Frau der Gegenwart. Das würde meines Erachtens nicht passen. Es ist sowieso ungewöhnlich, wenn ein Ex-Kanzler sich an seinen Nachfolgern abarbeitet, ja auch übrigens am Gerhard Schröder tut er das ja, nicht nur an Merkel, und ich finde es … Wenn ich Merkel zu beraten hätte, würde ich ihr sagen: darüber hinweggehen und das gar nicht so sonderlich ernst zu nehmen.

Hatting: Obwohl die Stimme Helmut Kohls immer noch sehr viel Gewicht auch innerhalb der CDU hat?

Langguth: Ja, wo hat sie denn Gewicht in der CDU? Es gibt natürlich manche, die verehren ihn noch, so insbesondere Leute von der Jungen Union, aber allesamt hat er keine Bastionen mehr, die er jetzt auf den Weg schicken kann, damit Angela Merkel irgendwann mal aus dem Amt gejagt wird. Im Übrigen: So leicht ist sie gar nicht aus dem Amt zu jagen, denn sie hat ja alle potenziellen Konkurrenten hat sie ja was werden lassen wie Christian Wulff, der ins goldene Gefängnis des Schloss Bellevue kam, oder wie etwa Oettinger, der ins Parlement nach Brüssel kam. Da ist eigentlich niemand mehr, der ihr gefährlich ist, und die CDU ist ja auch keine putschistische Partei, wo jetzt irgendwelche Leute sagen, jetzt gehen wir mal gegen die los. Schauen Sie mal, von all den Leuten, die jetzt die Kritik gegen Merkel machen, sehe ich niemanden, der jetzt als Vormann da wäre, und man kann nur jemanden beseitigen als Kanzler oder Kanzlerin, wenn jemand da ist, der auch jemanden beseitigen will, und da sehe ich niemanden.

Hatting: Lassen Sie uns trotzdem noch mal über den Führungsstil der Kanzlerin sprechen. Es gibt ja nicht Wenige, die sie als Stimmungskanzlerin mit Tagestaktik schon einmal tituliert haben, ich nenne mal Beispiele: 2003 hat man ihr vorgeworfen, sie haben keine Ideen – und Merkel hat dann mit Großreformen, zumindest der Ankündigung von Großreformen reagiert. Beispiel 2005, da gab es ein sehr schlechtes Wahlergebnis für die Union, und Merkel reagierte mit einem neuen Präsidialstil, also kaum Reformen, viel Zurückhaltung, eine Form vielleicht von Attentismus. Und jetzt, da die Koalition völlig unterzugehen droht, kündigt sie den Herbst der Entscheidungen an. Finden Sie so was glaubwürdig?

Langguth: Na ja, gut, Politiker sind alle groß im Ankündigen. Das überrascht mich nun überhaupt nicht. Und jetzt müssen wir noch mal die Realität sehen: Ich höre jetzt heute viele Leute, die sagen, ja, sie ist am Ende ihres Lateins, aber sie wird meines Erachtens noch zwei Jahre regieren, bis die nächsten Bundestagswahlen sind, und bis dahin kann viel Wasser die Spree herunterlaufen. Wie dann das Ergebnis der Bundestagswahlen sein wird angesichts der gesamten Parteiengemengelage, ist heute auch noch offen. Also und Angela Merkel hat gute Nerven und ist ziemlich zäh, und ich glaube, die ganze Kritik der letzten Tage wird sie an sich abtropfen lassen, so wie ich sie kenne.

Hatting: Das klingt ein bisschen nach der Taktik ihres Ziehvaters: immer etwas selbstherrlicher werden und alles aussitzen.

Langguth: Also ob selbstherrlicher, das will ich mal dahingestellt sein lassen, aber dass sie ein Stück weit die Dinge aussitzt, das hat sie immer schon gemacht, das hat auch Kohl gemacht, und ohne Aussitzen geht es wahrscheinlich auch noch nicht einmal. Das wird Sie wundern, wenn ich das sage, aber wir haben eben nun mal eine Koalition, und zwar sogar aus drei Parteien, und wenn dann eine der Parteien "nein" zu einem Projekt sagt – ja, dann läuft es nicht, trotz der Tatsache, dass eine Kanzlerin natürlich auch eine entsprechende Möglichkeit hat, Richtungsentscheidungen vorzunehmen. Aber so einfach ist das nicht.

Hatting: Herr Langguth, wenn ich Sie jetzt so sprechen höre, klingt das fast so, als würde Angela Merkel alles richtig machen. Eine Frage habe ich trotzdem aber noch: Es fällt auf, dass im vertraulichen Gespräch zum Beispiel mit Journalisten Merkel locker und mitunter sogar witzig sein kann, im öffentlichen Gebaren wirkt sie aber oft steif und seltsam unsouverän. Warum?

Langguth: Ja, das ist erstaunlich. Also sie kann in der Tat sogar sehr charmant sein, sie kann Witze erzählen, sie kann andere Staatsmänner nachahmen, aber mit der Öffentlichkeit hat sie so ein Problem, obwohl ich sagen möchte: Mit den Medien geht sie meines Erachtens besser um als das Gerhard Schröder getan hat. Gerhard Schröder hatte zum Schluss ja nur Ärger, weil er sich mit den Medien verkrachte und weil er prozessierte gegen die. Das hat Merkel alles so in dieser Form nicht gemacht. Aber trotzdem: Sie muss ihren Kommunikationsstil überdenken.

Hatting: Was müsste sie besser machen?

Langguth: Also erstens ist das Hauptproblem, das ich immer bei ihr gesehen habe: Wo steht sie eigentlich politisch? Wo ist eigentlich ihr Standpunkt? Und das unterscheidet sie übrigens von ihrem Ziehvater Helmut Kohl: Helmut Kohl war so ein Geschichtsdeuter, der mit allen möglichen geschichtlichen Daten immer operierte. Sie ist eine pragmatische Problemlöserin – ein völlig anderer Politiktyp als Kohl. Die Menschen wollen aber immer irgendjemanden haben, der sich an irgendwas orientiert und an dem sie sich auch orientieren können, und das macht sie meines Erachtens zu wenig.

Ja, und sie muss natürlich auch, wenn wichtige Entscheidungen anstehen, muss sie auch rechtzeitig zum Beispiel die Fraktion einbeziehen. Dass jetzt vor zwei Tagen zum ersten Mal die Fraktion in dieser Ausführlichkeit über den Euro gesprochen hat, ist natürlich eigentlich unmöglich, denn so was müsste sehr viel früher geschehen, damit gar nicht erst so eine Antistimmung im Parlament aufkommen kann unter dem Motto, wir müssen es zum Schluss mitentscheiden, aber zu sagen haben wir nichts. Das war ja so die Stimmung, die Sie von den Bundestagsabgeordneten in den letzten Wochen hören konnten.

Hatting: Über den Führungsstil der Bundeskanzlerin sprach ich mit Gerd Langguth, er unterrichtet politische Wissenschaft an der Universität Bonn und ist Merkel-Biograf. Herr Langguth, ich bedanke mich für das Gespräch!

Langguth: Tschüss, Herr Hatting!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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