Amüsanter Blick auf 9/11

25.10.2007
Für die USA sind die Anschläge vom 11. September 2001 ein nationales Trauma. Rudolph Delson scheut sich in seinem Debütroman "Die Notwendigkeit des Zufalls in Fragen der Liebe" dennoch nicht, die Angriffe auf das World Trade Center auf amüsante Art zu verwerten: Alle Beteiligten wollen aus den Anschlägen Kapital schlagen.
"Die Notwendigkeit des Zufalls in Fragen der Liebe" von Rudolph Delson ist ein ziemlich dreistes Buch. Auf den ersten Blick ist es eine lustig-romantische Liebesgeschichte. Zwei New Yorker Stadtneurotiker treffen sich in der U-Bahn und verlieben sich nach einigen Irrungen und Wirrungen ineinander. Maynard Gogarty, ein erfolgloser und misanthropischer Komponist aus gutem Haus und Jennica Green, Finanzanalystin und ziemlich einsam.

Ein ewiges Thema, bekannt aus Fernsehen und Kino. Der Roman wäre aber nicht halb so amüsant, wenn da nicht noch eine zweite Ebene wäre. Der Roman ist auch eine Komödie über den amerikanischen Umgang mit den Anschlägen vom 11. September. So was geht. Man muss nur dreist genug sein.

Tatsächlich ist es ja auch Zufall, ob einen die Anschläge auf die Twin Towers treffen oder nicht: Maynards Exfrau hat ihr Atelier im Nordturm, ist gerade nicht da als dieser einstürzt und beschließt, die Gelegenheit zu nutzen, um sich für tot erklären zu lassen. Sie hofft auf Entschädigungszahlungen. Ganz ähnlich nutzen alle im Roman die Anschläge für ihre privaten Ziele. Jennica kann sich in ihrer Trauer endlich als Teil der Welt empfinden, von der sie sich so sehr entfremdet fühlte. Jennicas Eltern haben einen Grund, ihre jüdische Herkunft zu betonen. Maynard schließlich entdeckt seine Abneigung gegen alles und jeden neu. In einem Monolog verkündet er, er wolle das World Trade Center zurückhaben, weil es ihm so überaus angenehm den Blick auf Amerika verstellt habe.

Das ist aber kein bisschen bösartig; all die Schwächen charakterisieren die Beteiligten überhaupt erst als "Mentsch", wie man mit dem jiddischen Wort herkunftsübergreifend in New York sagt.

Rudolph Delson lebt in New York, er hat dort als Anwalt gearbeitet. An seinem 30. Geburtstag gab er diesen Beruf auf, um sich fortan dem Schreiben zu widmen. "Die Notwendigkeit des Zufalls in Fragen der Liebe" ist sein erster Roman. Und er weiß, wovon er schreibt. Die wilde Konstruktion des Buchs - mit wechselnden Stimmen lässt Delson seine Protagonisten ihre Geschichten selbst erzählen - würde niemals funktionieren, wenn nicht die Details immer wieder so überzeugend wären.

In einer ziemlich unwichtigen Nebenszene etwa versucht der Held, eine seiner klassischen Klavierkompositionen an einen Musikverlag zu verkaufen, der sie als Sample-Material für HipHop-Stücke ausschlachten möchte. Gogarty wird von einer Anwältin empfangen, die ihm zuallererst die Empfangsraum-Dekoration zeigt, ein riesengroßes Bonsai-Baum-Ensemble, Nachbildung eines berühmten japanischen Vorbilds. Bloß eben nicht ein paar Zentimeter groß, sondern dreieinhalb Meter.

Besser kann man das Aufschneidertum dieses Milieus nicht charakterisieren. Oder die Beschreibung eines Supermarkts in Upstate New York, der vor einigen Jahren noch ein reiner Bauernmarkt war und sich nun versucht, auf die Klientel reicher Städter umzustellen, die sich hier Wochenendhäuser gekauft haben.

Und wahrscheinlich macht genau das gute Unterhaltung aus (auf die sich Amerikaner immer noch besser verstehen als alle anderen): genau hingucken und nur an den Stellen übertreiben, an denen es wirklich wichtig ist.

Rezensiert von Tobias Rapp

Rudolph Delson: Die Notwendigkeit des Zufalls in Fragen der Liebe
Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren
Nagel & Kimche, München 2007
390 Seiten, 21,90 Euro