Amtsenthebung für Brasiliens Präsidentin

Was kommt nach Rousseff?

"Dilma raus" steht auf vielen Plakaten der Demonstranten in Rio de Janeiro
Ärger über die brasilianische Präsidentin: "Dilma raus" steht auf vielen Plakaten der Demonstranten in Rio de Janeiro. © dpa/picture alliance/Georg Ismar
Nina Schneider im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 31.03.2016
Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff soll wegen Korruption des Amtes enthoben werden - das gilt als sicher. Formal sei das Verfahren legal, doch die Art und Weise, wie es passiere, wecke Erinnerungen an den Putsch von 1964, sagt die Brasilien-Expertin Nina Schneider.
Die Tage der brasililianischen Präsidentin Dilma Rousseff scheinen gezählt, das Amtsenthebungsverfahren steht unmittelbar bevor. Der Vorwurf gegen sie: Korruption. Welche Möglichkeiten bleiben Dilma Rousseff, ihre Macht zu erhalten? Nicht wenige Beobachter sprechen von einem Putsch gegen Rousseff. Trägt dieser Vergleich am Jahrestag des Militärputsches von 1964?

Fragwürdiges Vorgehen

Nach Meinung der Historikerin und Brasilien-Expertin Nina Schneider ist der Tatbestand, den man Rousseff vorwerfe, "relativ lächerlich". Formal sei das Absetzungsverfahren legal, doch die Art und Weise, wie dies gerade in die Wege geleitet würde, sei sehr fragwürdig und werde Folgen haben:
"Sie können sich vorstellen, dass das natürlich bürgerkriegsähnliche Ängste und Zustände, einfach auch eine Polarisierung und eine Radikalisierung der Bevölkerung mit sich bringt. Beide Seiten - auch diese Pro-Impeachment-Leute - sind ja auch zum Teil radikal."

Parallelen zu 1964

Es gebe durchaus Parallelen zum Putsch von 1964, auch wenn diesmal nicht das Militär die treibende Kraft sei, sagt Schneider, die am Global South Studies Center der Universität Köln arbeitet.
"Es ist wieder so, dass eine legitim gewählte, reformorientierte Regierung abgesetzt wird in einer konzertierten Aktion, wo Medien, Wirtschaft, die konservativen Eliten zusammenhalten. Aber neu ist, dass es auch einen Unmut unter der desillusionierten Linken gibt, die sich eben diesen Anti-Dilma-Protesten auch anschließt. Wir dürfen nicht vergessen, das Land befindet sich auch in einer Rezession und es gibt sicherlich viele Punkte, die man auch kritisieren kann."

Kann die Korruption bekämpft werden?

Was kommt auf Brasilien nach Rousseff zu? Wie stehen die Chancen, das Problem der Korruption tatsächlich zu bekämpfen, wenn nach Rousseff nun der Vizepräsident das Ruder übernimmt, der selbst in dem Ruf steht, korrupt zu sein?
"Dann haben wir eine Regierung, die nicht vom Volk legitimiert ist, also die nicht gewählt ist, die fragwürdig an die Macht gekommen ist, unter anderem mit illegitimen Mitteln, mit Einschüchterung, und die selbst im Korruptionsskandal verwickelt ist. Also, die Wahrscheinlichkeit, dass dann, nachdem sozusagen das Ziel erreicht ist und die Rousseff-Regierung abgesetzt wird, die Korruption weiter bekämpft wird, ist natürlich sehr minimal. Weil, wer bekämpft schon sich selber?"


Das Interview im Wortlaut:

Liane von Billerbeck: Am 31. März 1964 putschten die Militärs in Brasilien gegen den linkspopulistischen Präsidenten. Der Tag jährt sich heute und dieser Tage steht die amtierende Präsidentin Dilma Rousseff quasi vor dem Aus, hat ihren Koalitionspartner verloren und wird der Korruption bezichtigt. Als Mitglied einer Untergrundgruppe war sie von 1970 bis 1972 inhaftiert und ist in der Haft auch gefoltert worden. Die Folterer sind bis heute nicht verurteilt, Amnestiegesetze machten das unmöglich, sie konnten Karriere machen in der brasilianischen Politik und im Militär. Man könnte also die aktuellen Schwierigkeiten auch aus einem anderen Blick betrachten: als Versuch der Kräfte der Vergangenheit, sich wieder nach oben zu bringen. Steht Brasilien also vor einer Art legitimiertem Putsch?
Hintergrundbericht
Am Telefon in Köln ist jetzt Nina Schneider. Sie ist Historikerin am Global South Studies Center der Uni Köln, hat in Brasilia, Essex, Konstanz und an der Columbia in New York studiert und über Propaganda in Zeiten des Militärputsches promoviert, dessen Jahrestag – 1964 war er, der Putsch – sich heute jährt. Frau Schneider, schönen guten Morgen!
Nina Schneider: Guten Morgen, Frau von Billerbeck!
von Billerbeck: Die Tage der brasilianischen Präsidentin scheinen gezählt. Welche Möglichkeiten bleiben Dilma Rousseff denn, ihre Macht zu erhalten?
Schneider: Ja, in der Tat scheint die Absetzung Rousseffs immer wahrscheinlicher, Sie haben es ja schon selber gesagt. Am Dienstag trennte sich ihr wichtigster Koalitionspartner, die PMDB, die dann auch den Vizepräsidenten stellt, Michel Temer, der dann, falls es zu einer Absetzung kommt, auch den Interimspräsidenten stellen wird. Also, das Absetzungsverfahren, das sogenannte Impeachmentverfahren, das läuft ja bereits. Zwar konnte man ihr bisher allen Beschuldigungen der Korruption zum Trotz nur einen relativ lächerlichen Tatbestand wirklich nachweisen …

Schwierig, Prozess zu stoppen

Also, sie wird letztendlich angeklagt für die Schönung der Staatsrechnung, aber rein formell reicht das aus, um dieses Amtsenthebungsverfahren durchzuführen. Also, dieses Amtsenthebungsverfahren läuft, es wird auch wahrscheinlich nicht gestoppt werden können, weil ihr da zumindest nachderzeitiger Lage sowohl im Kongress als auch im Senat schlichtweg die Mehrheiten fehlen. Und ich denke auch, dass, selbst wenn heute große Demonstrationen stattfinden, dass es schwierig wird, diesen Prozess zu stoppen.
von Billerbeck: Nicht wenige sprechen ja dieser Tage – und ich habe das anfangs auch getan – von einer Art Putsch gegen Rousseff. Trägt denn dieser Vergleich am heutigen Jahrestag des Militärputsches?
Schneider: Ja, also, wir haben ja wie gesagt heute den 52. Jahrestag des Militärregimes. Also, man darf das nicht vergessen, dass Brasilien eben eine junge Demokratie ist, von 64 bis 85 wurde Brasilien von einem Militärregime regiert, das massiv die Menschenrechte verletzt hat. Also, wir reden von Mord, von Verschwinden-Lassen, von Folter, viele Leute sind ins Exil gegangen. Die Leute haben natürlich Angst. Gerade Künstler, Opfer der damaligen Diktatur haben Angst, dass sich so etwas wiederholt. Und heute am Jahrestag mobilisieren die Universitäten, Intellektuelle, natürlich die Anhänger der PT selbst und demonstrieren mit dem Slogan: "Nie wieder Putsch!"

Ähnlichkeiten und Unterschiede zu 1964

Das Problem ist, es gibt zwar viele Ähnlichkeiten, aber es gibt auch tatsächlich Unterschiede. Damals war ja das Militär ein wichtiger Akteur, das ist heute anders. Heute ist es auch so, dass dieses Absetzungsverfahren, das ist ja formell legal. Das ist in der Konstitution so vorgesehen. Das Problem ist aber, dass die Art und Weise, wie es durchgeführt ist, sehr fragwürdig ist. Aber es ist, wie Sie auch in der Anmoderation schon erwähnt haben, es ist wieder so, dass eine legitim gewählte, reformorientierte Regierung abgesetzt wird in einer konzertierten Aktion, wo Medien, Wirtschaft, die konservativen Eliten zusammenhalten; aber neu ist auch, dass es auch einen Unmut unter der desillusionierten Linken gibt, die sich eben diesen Anti-Dilma-Protesten auch anschließt.
Wir dürfen nicht vergessen, das Land befindet sich auch in einer Rezension und es gibt sicherlich viele Punkte, die man auch kritisieren kann. Die Frage ist nur, ob das einen Impeachmentprozess rechtfertigt, der eben mit fragwürdigen Mitteln versucht, eine Regierung abzusetzen.
von Billerbeck: Was sind denn genau die fragwürdigen Mittel und welche Rolle spielen dabei auch die Medien? Man hat ja hierzulande auch manchmal den Eindruck, dass bestimmte Teile dieser Berichterstattung bei uns gar nicht ankommen.
Schneider: Ja, genau. Also, es ist so, dass im Laufe … Es läuft ja in Brasilien dieses Antikorruptionsverfahren und da sind tatsächlich zahlreiche Rechtsbrüche begangen worden. Das wird sowohl in den brasilianischen Medien wenig diskutiert, in den europäisch schon gar nicht. Also, nur um ein Beispiel zu nennen: Expräsident Lula, den wir in Deutschland ja auch kennen, wurde von 50 Polizisten in seinem Haus abgeholt, in Handschellen abgeführt und bei der Polizei vernommen. Das ist ein richterlicher Befehl, der eigentlich nur legitim ist, wenn sich jemand zweimal verweigert, zur Polizei zu gehen. Sprich, es war ein symbolischer Coup, man wollte Angst machen, man wollte radikalisieren, man wollte der PT zeigen: So nicht!

Lula in Handschellen

von Billerbeck: Und das bringt ja auch Bilder. Ein Lula in Handschellen, das ist ja auch ein deutliches Bild.
Schneider: Genau, das sind Bilder. Und Sie können sich vorstellen, dass das natürlich bürgerkriegsähnliche Ängste und Zustände, einfach auch eine Polarisierung und eine Radikalisierung der Bevölkerung mit sich bringt. Beide Seiten sind ja, diese Pro-Impeachment-Leute sind ja auch zum Teil radikal. Nicht alle, man muss da natürlich differenzieren, es gibt auch genauso gut … Ich habe auch Freunde, die ganz klar gegen die Rousseff-Regierung sind und die ganz klar auch das Impeachment unterstützen, aber es gibt eben auch sehr Radikale in diesem Lager.
von Billerbeck: Nun beginnen am 5. August die Olympischen Spiele in Rio. Unter welchen politischen Bedingungen werden die denn stattfinden und wer kommt vor allem nach der Präsidentin?
Schneider: Ja, also, die Wahrheit ist: Zurzeit kann das eigentlich keiner vorhersehen, weil keiner weiß, wie wird die Bevölkerung reagieren. Die politische Lage bleibt schwer einzuschätzen, die Hoffnung ist, dass es nicht zu einer Radikalisierung der Bevölkerung kommt. Sie müssen sich ja auch vorstellen, was passiert jetzt, wenn das Impeachment weitergeht? Also, die Kommission, die beauftragt wurde zu entscheiden, ob sie nun abgesetzt wird, und die ganz klar für eine Absetzung sprechen wird, ist selber bis zum Hals von Korrupten besetzt.
Deshalb ist dieser Vorwurf der Einseitigkeit eben so stark. Also, wie soll eine Amtsenthebungskommission, die selber voller Verbrecher ist, um es mal klar zu sagen, woher soll die die moralische Legitimität nehmen, eine Präsidentin abzusetzen mit dem Vorwurf der Korruption? Das ist höchst problematisch. Und das Problem ist, dass eben nach Dilma auch jemand kommen muss, der das Land aus der Krise führen kann, der die Politiker zusammenhalten kann, der einer Radikalisierung entgegenwirken kann.
Also, wahrscheinlich ist, dass der Vizepräsident an die Macht kommt, der selber korrupt ist, und dann haben wir eine Regierung, die nicht vom Volk legitimiert ist, also die nicht gewählt ist, die fragwürdig an die Macht gekommen ist, unter anderem mit illegitimen Mitteln, mit Einschüchterung, und die selbst im Korruptionsskandal verwickelt ist. Also, die Wahrscheinlichkeit, dass dann, nachdem sozusagen das Ziel erreicht ist und die Rousseff-Regierung abgesetzt wird, die Wahrscheinlichkeit, dass dann die Korruption weiter bekämpft wird, ist natürlich sehr minimal. Weil, wer bekämpft schon sich selber?
von Billerbeck: Nina Schneider war das mit Einschätzungen über die Gefahr eines legitimierten Putsches in Brasilien. Ich danke Ihnen!
Schneider: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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