Amsterdamer Rotlichtviertel

Das erste Prostitutionsmuseum der Welt

Das Amsterdamer Rotlichtviertel "De Wallen"
Anfang des Jahres hat das Prostitutionsmuseum im Amsterdamer Rotlichtviertel eröffnet. © AFP / ANP / Koen van Weel
Von Annette Riedel · 11.04.2015
Das Prostitutionsmuseum in Amsterdam ist kein Erotik-Museum. Das Konzept wurde gemeinsam mit Prostituierten entwickelt und erzählt ohne Voyeurismus vom Alltag in den Bordellen. Wer möchte, kann sich selbst in einem Fenster präsentieren oder sexuelle Fantasien beichten.
Ein regnerischer Spätnachmittag im Amsterdamer Rotlichtviertel, dem Wall. Straßenmusikanten, eine Gruppe angetrunkener Jugendlicher, Touristen aus aller Welt. Zwischen Käse-Laden, Waffel-Geschäft, Hanfmuseum und Erotik-Shop, ein schmales, fünfstöckiges Backsteingebäude. Früher ein Bordell, heute das erste und einzige Prostitutionsmuseum der Welt.
Seit Anfang des Jahres versucht es, den Besuchern des Rotlichtviertels Bordell-Alltag, Prostituierten-Alltag zu vermitteln – unaufgeregt, direkt, ohne Voyeurismus. Das Prostitutionsmuseum ist kein Erotik-Museum. Es geht zurück auf eine Idee von Ausstellungsmacher Melcher De Wind.
"Ich spreche ein bisschen Deutsch, aber nicht genug für’s Radio. Vielleicht ein bisschen wie Rudi Carrell."
Gemeinsam mit Prostituierten, mit Menschen aus dem Milieu, hat Melcher De Wind das Museum konzipiert.
"Ich habe mein Leben lang in Amsterdam gewohnt. Prostitution ist ein wesentlicher Teil von Amsterdam. Und deshalb hat es mich immer interessiert, warum und was da passiert. Es gibt viele Ideen über Prostitution. Wenige wissen oder verstehen, warum es Prostitution gibt und wie das funktioniert hier in Amsterdam."
Teil des Museumskonzeptes ist, dass die Besucher sich für Momente in die Rolle von Prostituierten versetzen sollen, indem sie sich versuchsweise selbst mal in ein Fenster in einem typischen Bordellzimmer setzen, so wie es fast 300 im Viertel gibt: rotes Licht – natürlich – Disco-Musik aus einer kleinen Musikanlage, Kühlschrank, Schmink-Utensilien, Bürste, Kondome, ein Bett im Nebenraum, am Fenster ein Barhocker.
"Wenn man da so im Fenster sitzt, das ist wie Fleischbeschau. Wenn man sich vorstellt, dass man da wirklich unten in der Etage sitzt und alle gaffen …"
Mehrheit der Besucher sind Frauen
Die beiden jungen deutschen Frauen sind zwei von 12 bis 15.000 Besuchern, die seit der Eröffnung im Frühjahr ins Prostitutionsmuseum gekommen sind. Die Mehrheit sind Frauen.
"Das verstehe ich. Männer, die hierher kommen, die haben oft eine Idee, was sie hier machen wollen. Frauen, die sind interessiert; sie verstehen es nicht. Sie wollen mehr wissen, was hier passiert."
Auch bei dem britischen Paar – sie sitzt gerade auf dem Barhocker im Fenster – war siediejenige, die die Idee hatte, das Prostitutionsmuseum zu besuchen.
"Ich fühle mit den Prostituierten. Eine Menge Leute verurteilen Prostitution. Sie sagen: sie würden das nie tun. Ich finde, dass kann man überhaupt nicht wissen, wenn man nicht in einer Situation ist, wie manche dieser Frauen. Manche haben sicher auch ihren Spaß daran; andere sicher nicht. Sie haben vielleicht einfach keine andere Wahl. Hier in Amsterdam werden sie wenigstens halbwegs menschlich behandelt. Anderswo in Europa wie Frisch-Fleisch."
Seit 14 Jahren ist Prostitution in den Niederlanden legal – anders als in manchen europäischen Ländern, in Großbritannien etwa. Legalität ist wichtig zum Schutz der Prostituierten, sagt Museumsmacher Melcher De Winter:
"Jetzt kann die Regierung Regeln aufstellen, die jeder befolgen muss und dafür sorgen, dass die Regeln eingehalten werden. Hier sehen sie zum Beispiel die zehn Regeln für Prostitution, die für alle gelten. Prostitution ist dadurch sicherer geworden."
25.000 Freier in sieben Jahren
Theoretisch. In der Praxis verstoßen viele Freier gegen diese Regeln. Kein Sex ohne Kondome, beispielsweise. Gegen Geld geht fast alles. Oder die Rekrutierung unerfahrener junger Mädchen, oft aus Ost-Europa, die zur Prostitution gezwungen werden. Melcher De Wind:
"Das sind oft ganz Junge, die in Osteuropa versuchen mit Tanzen Geld zu verdienen. Denen wird suggeriert, dass sie, wenn sie hier nach Holland kommen, eine Tanz-Karriere machen können. Am Ende stehen sie hinter einem Fenster."
Wie Anna, die polnische Prostituierte, die Melcher De Wind ihre Geschichte erzählt hat, die man im Museum nachlesen kann. Sieben Jahre lang, sieben Tage die Woche, zwölf Stunden täglich hat sie insgesamt 25.000 Freier gehabt, die jeweils 30 bis 50 Euro für zehn Minuten Sex bezahlt haben. Sie hat von dem vielen Geld wenig gesehen. Von dem, was sie in die Hand bekam, musste sie täglich 150 Euro Zimmer-Miete begleichen. Andere haben mit dem Leben bezahlt.
"Was Sie hier sehen ist ein Altar, was wir hier gemacht haben – aus Respekt für alle Prostituierten, die ermordet worden sind in Holland jedes Jahr. Das sind 2,3 Prostitutierte jedes Jahr."
Kurz vor dem Ausgang des Prostitutionsmuseums gibt es einen Beichtstuhl. Im Beichtstuhl liegen Stifte und Zettel, auf denen die Museumsbesucher gewissermaßen "beichten" können – anonym sexuelle Fantasien oder Entgleisung aufschreiben können.
"Alle Leute haben auch ihre eigenen Fantasien und Geschichten. Wenn man eine eigene Fantasie 'beichtet', relativiert das das Urteil, dass man über eine Prostituierte hat."
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