Ammas göttliche Umarmung

Von Antje Stiebitz · 09.11.2013
Mata Amritanandamayi, genannt Amma, gilt vielen mittlerweile als Mahatma, als "Große Seele". Vielen Westlern ist die Frau, die alle Menschen umarmt, suspekt. In ihrer Heimat Indien initiiert sie aber viele Hilfsprojekte. Sie ist ein Phänomen, dem mit Vernunft schwer beizukommen ist.
"Sie will nichts von einem, und das spürt man halt. Man muss da nicht irgendetwas darstellen oder irgendetwas sein oder irgendjemand sein. Man wird einfach umarmt und ist herzlich willkommen. Das ist einfach eine Seltenheit, dass man keine Auflagen erfüllen muss, um etwas zu bekommen. Es ist so dieses Geben einfach."

"Ja, wie die Amma sagt, wenn man sich öffnet, wenn man Liebe gibt, dann wird das Leben einfach schöner und entspannter und lockerer und freier. Man hat weniger Ängste, weniger Stolz, weniger Wut."

"Das Herz öffnet sich, wie ich schon sagte. Das ist einfach Freude. Total viel Freude. Ja, eigentlich Freude. Das Herz springt. Man verliert das so im Alltag, dass das Herz vor Freude springt. Und hier sind die Gedanken für einen Moment stillgelegt. Das schafft sie."

Sie ist Amma. Amma kommt aus Kerala, einem südindischen Bundesstaat. Ihr Name bedeutet soviel wie "Mutter". Ihre Anhänger betrachten sie als einen Avatar-Guru. Das heißt, dass sie einen göttlichen Aspekt verkörpert und als spirituelle Lehrerin gilt. Das Markenzeichen von Amma ist, dass sie Menschen umarmt. In dieser Geste drückt sie ihre Liebe und ihr Mitgefühl aus. Die 60-Jährige soll bereits 30 Millionen Menschen rund um den Globus umarmt haben. Das sind in etwa 2000 Menschen pro Tag.

Sechs Wochen tourt sie quer durch Europa und mit ihrem Tross von 750 freiwilligen Helfern steuerte sie auch München, Berlin und Mannheim an. Im Velodrom, einer der größten Veranstaltungshallen Berlins, herrscht reges Kommen und Gehen.

In der großen Arena gewährt Amma darshan. Darshan bezeichnet im Hinduismus die Begegnung, den Blickkontakt mit dem Göttlichen. Sie sitzt auf einer Sesselbank, in einen weißen Sari gekleidet. An Körpergröße klein, rundlich, doch ihre Strahlen ist groß. Abwechselnd von rechts und von links treten Frauen, Männer und Kinder an sie heran.

Gehen vor ihr auf die Knie, und sie nimmt einen nach dem anderen in den Arm, hält sie fest, für einen Moment. Denn der nächste wartet schon. Innerhalb zweier Tage drückt die "göttliche Mutter" 15.000 Menschen an ihre Brust. Wie fühlt sie sich mittendrin in diesem Ansturm? Mit dunkler, sonorer Stimme antwortet sie auf Malayalam, einer südindischen Sprache:

"Der Ansturm, das Chaos findet im Außen statt. Im Inneren herrscht Ruhe. Wenn Liebe im Herzen ist, spielt die äußere Situation keine Rolle."

Nach der Umarmung übergibt Amma jedem prasad, gesegnete Opfergaben. Einen Apfel, ein Bonbon oder Blütenblätter. Nach hinduistischer Vorstellung haftet daran göttliche Kraft. Auf den Gesichtern der Umarmten spiegeln sich vielfältige Gefühle. Manche weinen, andere schmunzeln oder strahlen von einem Ohr zum anderen.

Wer jetzt mit dem Kopf schüttelt, darin esoterischen Unsinn erkennt oder gar eine Sekte wittert, kann unbesorgt sein. Der Theologe Friedmann Eißler von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin gibt Entwarnung:

"Es gibt keinen Grund, vor Amma zu warnen, es geht davon keine Gefahr aus, sich umarmen zu lassen. Da ist keine Botschaft mit verbunden, die jemanden in gewisse Schwierigkeiten bringt oder die jetzt von der Organisationsform, dass man in Abhängigkeiten gerät."

Vielleicht wird das Phänomen Amma verständlicher, wenn man ihre persönliche Geschichte betrachtet und ihre Verwurzelung im Hinduismus bedenkt: Amma kam in einer Fischerfamilie an der Küste Keralas zur Welt. Schon als kleines Mädchen benahm sie sich ungewöhnlich. Sie brachte hungrigen Nachbarn etwas zu Essen und spendete Traurigen Trost, indem sie sie umarmte. Das war unerhört. Und zwar gleich zweifach: Berührungen über Geschlechter- und Kastengrenzen hinweg sind für indische Frauen ein absolutes No-Go. Eine Revolution.

Ihre Familie war entsetzt, das Mädchen wurde angefeindet. Doch die Umarmten berichteten von der besonderen Wirkung ihrer Berührung. Ihre Gabe sprach sich herum, immer mehr Menschen kamen zu ihr, wollten sie sehen. Inzwischen gilt sie wie der bekannte Widerstandskämpfer und Pazifist Mohandas Karamchand Gandhi, als Mahatma, als "Große Seele". Und wie Gandhi überzeugt sie vor allem dadurch, dass sie aktiv wird, die Ärmel hochkrempelt:

"Nicht nur Worte und diese Umarmung, sondern sie hat dann sehr bald auch Hilfsprojekte organisiert, und das ist immer größer geworden, sie hat die erste Stiftung schon vor über dreißig Jahren gegründet. Da kamen Krankenhäuser dazu, da gibt es eine Universität, sozusagen in ihrer Verantwortung, also jedenfalls in ihrem Namen, die in Indien auch anerkannt ist. Und die Krankenhäuser sollen gute Qualität haben und für Arme kostenlose Versorgung anbieten."

Als in Indien 2004 ein Tsunami wütet, baut sie 40.000 Häuser, die sofort bezogen werden können. Als Ende letzten Jahres ein tödlicher Vergewaltigungsfall das Land erschütterte, entwickelten Forscher ihrer Universität ein Alarmgerät, das Frauen wie eine Uhr ums Handgelenk tragen können. Amma ist kein entrückter Guru. Sie nimmt am aktuellen Geschehen teil, thematisiert Probleme, hilft konkret und sofort. Natürlich macht sie das nicht alleine, sondern gemeinsam mit einer Vielzahl von Unterstützerinnen und Unterstützern.

Im Westen betrachtet man Amma gerne als ein "emotionales Phänomen" und wirft ihr mangelnde Intellektualität vor. Amma selbst referiert in einer Rede im Genfer Palais de Nations über die Sprache des Intellekts und die Sprache des Herzens. Menschen, die die Sprache des Intellekts sprechen, wollten beeindrucken und sorgten sich vor allem um ihr Ego. Menschen, die die Sprache des Herzens sprechen, wollten helfen und suchten eine Verbindung des Herzens. Unglücklicherweise überwiege in der heutigen Zeit die Sprache des Intellekts.

Die westliche Wertschätzung der Ratio könnte aber auch erklären, warum Amma eben auch im Westen so erfolgreich ist, obwohl der Hinduismus in unserer Gesellschaft keine Tradition hat. Friedmann Eißler:

"Diese Hochtechnisierung, auch das Alltagsabläufe im Grunde doch perfekt organisiert werden müssen in vielen Fällen, damit es irgendwie funktioniert, auch bis in die Familien hinein. Da wird natürlich sehr stark ein Defizit empfunden an einem Raum, der mich einfach sein lässt wie ich bin. Dieses sich mal in etwas ganz anderes hinein begeben und da aufgefangen werden.

Die Kirchen haben das in den vergangenen Jahren, Jahrzehnten schon auch erkannt, dass da Defizite da sind, vor allem in der protestantischen Kirche, war hier die Konzentration auf das Wort, auf den Intellekt sehr im Vordergrund. Aber das ist ein Bereich, wo Menschen sagen: Ich brauche hier für mich noch was anderes und dann gehe ich da hin und hole mir das auf diese Weise ab."

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