Amerikas Alchemie

Von Josef Braml, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik · 23.06.2012
Vertreter der amerikanischen Regierung fühlen sich berufen, dem alten Kontinent die Leviten zu lesen. Doch die Europäer sollten sich nicht ins Bockshorn jagen lassen. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso hat zurecht verdeutlicht: Europas Probleme sind der gravierenden wirtschaftlichen Schieflage in den USA geschuldet.
Dort wäre politisches Handeln heute nötiger denn je, um den deregulierten Finanzmärkten wieder eine Ordnung zu geben. Wichtig wären staatliche Programme, die die Wirtschaft ankurbeln. Insbesondere die Kaufkraft der Amerikaner ist massiv eingeschränkt durch Arbeitslosigkeit, hohe Energiekosten und begrenzte Kreditmöglichkeiten.

Aufgrund der drückenden Schuldenlast hat auch die US-Regierung keine Mittel mehr, um die Wirtschaft wiederzubeleben. Präsident und Kongress blockieren sich gegenseitig. Der einzig handlungsfähige Akteur ist die US-Notenbank, die jetzt einmal mehr Geld druckt, um das Schlimmste zu verhindern - eine weitere Kernschmelze im Bankensektor.

Obamas sogenanntes Arbeitsplatzprogramm ist reine Wahlkampfrhetorik. Barack Obama wurde gewählt, weil seine Anhänger ihm zutrauten, die wirtschaftliche Lage zu verbessern und Arbeitsplätze zu schaffen. Das ist ihm bislang nicht gelungen. Wenn er dafür nicht am 6. November abgestraft werden will, braucht er Sündenböcke. Naheliegend sind die Republikaner, die im Kongress seine Initiativen blockieren. Etwas weiter hergeholt ist Europa, dessen Misere angeblich die US-Wirtschaft in Mitleidenschaft zieht.

Fernwirkungen mag es geben: Die Hauptursachen für die anhaltende wirtschaftliche Schwäche sind aber in den USA selbst zu finden. Das sind hausgemachte Strukturprobleme - etwa die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern, das Dahinsiechen der Industrie und ein marodes Bildungssystem.

Die soziale Ungleichheit schwächt die Wirtschaft. Durch politische Fehlsteuerung - vor allem Steuererleichterungen für Besserverdiener und Bezieher von Kapitaleinkommen -, haben einige wenige immer mehr vom Einkommens- und Vermögenskuchen erhalten, während sich eine wachsende Mehrheit mit immer weniger begnügen muss. Die durchschnittliche Kaufkraft der Amerikaner ist in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gesunken, vor allem in den beiden Amtszeiten von George W. Bush.

Solange Geringverdiener ihre schrumpfende Haushaltskasse durch Kredite aufbessern konnten, ist das niemandem wirklich bewusst geworden. Im Gegenteil: Der gefühlte Reichtum war schier grenzenlos. Man konnte ja sein kreditfinanziertes Haus immer wieder beleihen und als Geldautomat missbrauchen - etwa, um ein noch größeres Auto zu kaufen oder die Ausbildung der Kinder zu finanzieren. Jeder Amerikaner sollte seinen Traum vom eigenen Heim erfüllen, ganz egal, ob er das nötige Einkommen hatte, um die Kreditraten bezahlen zu können. Die Folgen sind bekannt.

Dass in Amerika nicht alles Gold ist, was heute noch glänzt, sollten auch jene Anleger wissen, die weiterhin in amerikanische Staatsanleihen investieren. Als "sicheren Hafen" kann man den Dollar nicht mehr bezeichnen. Die US-Notenbank kann ihre Politik der "quantitativen Lockerung" nur solange betreiben bis deutlich wird, dass man mit der Geldpresse die gravierenden Strukturprobleme nicht beheben kann. Sie werden nur aufgeschoben und damit vergrößert.

Auch Europäer und insbesondere exportorientierte Volkswirtschaften wie Deutschland werden mit ernsthaften Lasten konfrontiert, wenn der Dollar schwächer und der Euro zu stark sein wird. Solange der Euro schwach geredet wird, kann allen voran die deutsche Wirtschaft günstiger exportieren.

Sollten jedoch Anleger verstärkt aus dem Dollar fliehen und in den Euro flüchten, würde die Verteuerung unserer Exporte auch die deutsche Wirtschaft und Politik zum Nachdenken zwingen: Darüber wie wir etwa durch Lohnerhöhungen und staatliches Umsteuern unseren Binnenkonsum stärken können, um nachhaltig und generationengerecht aus der Krise herauszuwachsen.
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