Lydia Möcklinghoff: "Die Supernasen"

Liebeserklärung an den König der Monotasker

Ameisenbär in freier Wildbahn in Pantanal in Brasilien
Ameisenbär in freier Wildbahn in Pantanal in Brasilien © picture alliance / dpa / Rolf Kremming
Lydia Möcklinghoff im Gespräch mit Andrea Gerk · 22.11.2016
Das Buch "Die Supernasen" ist eine Liebeserklärung an den Ameisenbär. Sein Gehirn ist so klein, dass es sich nur auf eine Sache konzentrieren kann. Autorin Lydia Möcklinghoff ist Zoologin, Science Slammerin und - Ameisenbärenforscherin.
Lydia Möcklinghoff ist Zoologin, Science Slammerin und, jawohl, Ameisenbärforscherin.
"Ein sehr schönes, sehr charismatisches Tier", so Lydia Möcklinghoff im Deutschlandradio Kultur. Und "der König der Monotasker".
"Also, die Männer wissen wahrscheinlich, wie das funktioniert. Er kann sich immer nur auf eine Sache konzentrieren. Und dadurch schlittert er immer so leicht an unserer Realität vorbei, was ihn wahnsinnig faszinierend macht."
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Ameisenbärforscherin und Autorin des Buches "Ich glaub mein Puma pfeift",Lydia Möcklinghoff bei der Beobachtung eines Ameisenbären© picture alliance / dpa / Rolf Kremming
Zum Ameisenbär ist Lydia Möcklinghoff durch Zufall gekommen, als während ihres Studiums ein Aushang an der Universität ein Praktikum in Brasilien anbot - für sofort. "Ich war in keinen Kurs reingekommen, stand überall auf den Wartelisten und dann bin ich einfach gefahren."
Seit zehn Jahren lebt Möcklinghoff jetzt in Brasilien und erforscht den Ameisenbär, der zu den bedrohten Tierarten zählt. Aber vielleicht ist angesichts der Tatsache, dass der Ameisenbär langsam ist, schlecht sieht und nur ein erbsengroßes Gehirn hat, eher die Sensation, dass er überhaupt so lange überlebt hat.

Den Artenschutz populär machen

Wie er das macht, schildert Lydia Möcklinghoff in ihrem neuen Buch "Die Supernasen. Wie Artenschützer Ameisenbär & Co. vor dem Aussterben bewahren".
Sie habe damit auch das Ziel verknüpft, das Thema Artenschutz populär zu machen. Für die Zukunft hat sie bereits ein neues Forschungsgebiet: das Gürteltier. Ebenfalls "ganz unerforscht", betont sie.
Das Gürteltier wurde nicht nur zum Maskottchen der Fußball-WM in Brasilien, sondern es veranstaltet offenbar auch gern Sexparties.
Das Gürteltier wurde nicht nur zum Maskottchen der Fußball-WM in Brasilien, sondern es veranstaltet offenbar auch gern Sexparties.© picture alliance / dpa / Marcelo Sayao
Aber sie lassen sich in der freien Wildbahn Brasiliens beobachten und legen zum Teil ungewöhnliche Verhaltensweisen an den Tag.
"Zum Beispiel machen Gürteltiere Sexpartys. Die sind eigentlich immer einzeln unterwegs, und auf einmal sieht man 13 Gürteltiere auf einem Haufen, überall sitzen sie aufeinander, und machen da ihre kleinen Partys zu. Und da gibt es viele Fragen: Zum Beispiel, wie verabreden die sich?"

Lydia Möcklinghoff: "Die Supernasen. Wie Artenschützer Ameisenbär & Co. vor dem Aussterben bewahren"
Hanser-Verlag, München 2016
320 Seiten, 22 Euro


Das Interview im Wortlaut:
Andrea Gerk: Stundenlang kniet Lydia Möcklinghoff, manchmal mit eingeschlafenen Füßen, in der brasilianischen Savanne, nur um einer Kreatur nahe zu sein, die schlecht sieht, nicht besonders gut hört und deren Gehirn so groß wie eine Walnuss ist. Der Ameisenbär hat es der Zoologin angetan, und in ihrem neuen Buch erzählt sie von diesem aussterbenden Sonderling und seinen Artgenossen. Jetzt bin ich mit Lydia Möcklinghoff in einem Studio in Köln verbunden. Guten Morgen, Frau Möcklinghoff!
Lydia Möcklinghoff:
Gerk: Sie machen sich zwar in Ihrem Buch über diesen tapsigen Dummkopf sehr lustig auf sehr witzige Art. Aber Sie verbringen ja Ihr Leben quasi mit diesem Ameisenbär, und man spürt auch die ganze Zeit, wie sehr Sie ihn mögen. Warum hat es Ihnen ausgerechnet dieser Ameisenbär so angetan?
Möcklinghoff: Eben weil es so ein besonderes Tier ist. Ich sage immer, er ist der König der Monotasker. Die Männer wissen wahrscheinlich, wie das funktioniert, er kann sich immer nur auf eine Sache konzentrieren, und dadurch schlittert der immer so leicht an unserer Realität vorbei, was ihn wahnsinnig faszinierend macht. Auf der anderen Seite ist es ein, wie ich finde, sehr schönes, sehr charismatisches Tier, über das tatsächlich noch nichts bekannt ist, also kaum Verhaltensuntersuchungen, und dadurch kann man ihn nicht schützen.
Gerk: Suchen sich denn so Forscherinnen auch die Tiere aus, die zu ihnen passen, oder findet da, wie bei Hund und Herrchen, so im Lauf der Zeit so ein Anpassungsprozess statt?

"Tatsächlich hat sich der Ameisenbär eher mich ausgesucht"

Möcklinghoff: Also ich hoffe – es gibt so leichte Größenunterschiede in der Gehirnkapazität irgendwie, aber nein – tatsächlich hat sich der Ameisenbär eher mich ausgesucht, es war totaler Zufall. Ich habe einen Aushang an der Uni gesehen, wer kann sofort nach Brasilien fahren, es gibt die Möglichkeit eines Praktikums, aber nur jetzt. Also, ich hatte – ich war in keinen Kurs reingekommen, stand überall auf den Wartelisten – dann bin ich einfach gefahren.
Gerk: Sie schreiben ja auch in dem Buch, dass es auch die Region ist, die Sie anzieht, dass Sie jetzt nicht so im tropischen Regenwald arbeiten wollen würden, sondern in diesem Panta-Tal (Anmerkung der Redaktion: Sie meint Pantanal). Wie sieht es denn da aus, für uns, die wir da noch nicht gewesen sind.
Möcklinghoff: Genau, das Pantanal. Das ist ein Sumpfgebiet – das hört sich jetzt erst mal nicht so superattraktiv an. Tatsächlich ist es aber ein Mosaik aus Wäldern, Seen, dann offene Schwemmflächen. Es wird einmal im Jahr weitestgehend überflutet, genau jetzt, gerade jetzt ist Regenzeit. Und zur Trockenzeit gehen diese Seen, werden die dann kleiner, und dann gibt es wahnsinnig viele Tiere zu beobachten, die eben auch den Weg vom Wald bis runter zu den Seen überbrücken müssen. Also, der Regenwald ist superbeeindruckend, super schön, zugegebenermaßen ziemlich stressig, da zu arbeiten, weil es immer feucht ist. Vor allem sieht man aber eben nicht so viele Tiere, weil die eben natürlich alle im Wald sitzen. Und im Pantanal kommen die raus, und dann kann man die wirklich sehr schön beobachten.
Gerk: Und wenn Sie da ins Pantanal fahren, dann werden Sie in Ihrer Heimatstadt Köln immer wieder von Leuten angesprochen, die sagen, na, machst du wieder schön Urlaub in Brasilien? Aber sie haben ja doch einen ganz schön harten Job, kann man in Ihrem Buch so lesen, auch Ihre Kollegen in anderen Regionen dieser Welt. Was sind denn für Artenschützer so die größten Herausforderungen?
Möcklinghoff: Ja, das ist wirklich so, alle immer: Ach, schön, trink einen Caipi für mich mit. Aber tatsächlich ist es wirklich harte Arbeit mit wenig Freizeit, und natürlich gibt es im Pantanal Mücken ohne Ende – wie gesagt, Sumpfgebiet. Wenn man in den Wald geht, wird man eimerweise mit Zecken überworfen, und es ist Dornenwald, man muss sich da irgendwie mit der Machete durchschlagen. Das ist schon nicht unbedingt ein Zuckerschlecken. Es macht Spaß, aber es ist kein Zuckerschlecken. Und womit auch andere Forscher überall auf der Welt zu kämpfen haben, sind natürlich auch Tiere wie Mücken und so weiter, aber eben auch dann politische Instabilität. Ich schreibe in meinem Buch auch über eine Freundin, die musste aus einem Naturschutzpark vor dem Bürgerkrieg fliehen. Und dann sind es natürlich auch klimatische Bedingungen – so Grönlandforscher müssen da ihre Zelte ganz schön fest anbinden, dass sie nicht fliegen gehen im eiskalten Wind. Und natürlich arbeitet man völlig abgelegen. Mein Studiengebiet ist sechs Stunden weg von der nächsten Stadt. Da kommt man, wenn die Straße gut ist in Anführungsstrichen, offroad innerhalb von sechs Stunden hin. Ansonsten, wenn jetzt gerade die Überschwemmungen kommen, dann kommt man nur noch mit einem kleinen Flugzeug hin.
Gerk: Und müssen Sie denn da auch vor Ort bei den einheimischen Behörden und bei den Menschen überhaupt erst mal so eine Art Missionarsarbeit leisten, um Bewusstsein für den Artenschutz zu wecken? Denn das ist ja auch bei uns gar nicht so weit verbreitet und bekannt.

"Das Thema Artenschutz ist viel präsenter als hier in Deutschland"

Möcklinghoff: Tatsächlich ist es bei uns weniger verbreitet und bekannt als in Brasilien. Wir haben da echt Boden gut zu machen. Die Brasilianer sind hier immer so verschrien, wir zeigen mit dem Finger auf sie, aber das ist eigentlich zu Unrecht, denn sie machen gar keinen so schlechten Job. Sie haben zum Beispiel die Geschwindigkeit der Abholzung in den letzten zehn Jahren um 70 Prozent reduziert. Also ich sag mal, ich bin mit vielen Leuten auf Facebook, auch natürlich mit Brasilianern befreundet. Und da ist schon das Thema Artenschutz viel, viel präsenter als hier in Deutschland. Da muss ich überhaupt keine Missionarsarbeit leisten, sondern eher, die Brasilianer sollten mal rüberkommen und Missionarsarbeit leisten.
Gerk: Dabei ist das ja schon schockierend. Ich wusste das auch nicht und habe das erst bei Ihnen gelernt, dass ja täglich zwischen drei und 130 Arten aussterben, und dass auch eben – warum weiß man da drüber so wenig?
Möcklinghoff: Ich glaube, es ist wirklich eine dramatische Situation, und die Natur ist wirklich stellenweise sehr kurz davor, zusammenzubrechen. Und ich glaube, dass sich keiner dafür interessiert, obwohl es so ein total brisantes Thema ist. "Keiner" ist vielleicht gemein, aber wenige – liegt daran, dass wir teilweise gerade so in den Städten den Kontakt zur Natur ein Stück weit verloren haben. Wir leben hier in unserer städtischen Blase, und man hat so das Gefühl, man bekommt ja alles im Supermarkt. Dass das natürlich nicht im Supermarkt wächst und produziert wird und sauberes Wasser natürlich auch keine Selbstverständlichkeit ist, da haben die Leute so ein bisschen, glaube ich, den Kontakt zu verloren.
Gerk: Jetzt denkt man ja als Laie, na gut, wenn jetzt so ein schusseliger Ameisenbär nicht mehr lebt, was ist daran so schlimm? Aber da hängt ja doch eine ganze Kette an Folgen dran, nicht?
Möcklinghoff: Genau. Der Ameisenbär ist zum Beispiel in Uruguay schon ausgestorben. Jetzt liegt Uruguay nicht direkt in Trümmern, weil es keine Ameisenbären mehr gibt. Deswegen kann man jetzt natürlich sagen, na gut, dann ist ja egal, ob es jetzt den Ameisenbären gibt oder nicht, aber ich beschreibe so ein Ökosystem immer wie so einen Jenga-Turm, also dieses Spiel mit diesen Holzklötzchen – wenn man eine rauszieht, ein Klötzchen rauszieht, also eine Tier- oder Pflanzenart, dann kracht das Ding nicht direkt zusammen, büßt aber sofort Stabilität ein. Zieht man noch ein Klötzchen raus, hält es vielleicht auch noch. Aber je mehr Klötzchen fehlen, desto instabiler wird der Kram, und es ist quasi unmöglich, wenn man sich so einen kompletten Jenga-Turm ansieht, im Vorfeld zu sagen, bei welchem Stein er denn dann zusammenkracht. Und das ist tatsächlich wirklich bei Ökosystemen auch so. Die haben diesen einen Punkt, und dann kann man sich auf den Kopf stellen, dann kracht der Kram zusammen, und dann haben wir ein echtes Problem.
Gerk: Sie schreiben ja darüber sehr schöne, sehr gut lesbare Bücher. Sie haben an sogenannten Science Slams teilgenommen. Ist das auch Ihnen wirklich so ein Anliegen, die Leute überhaupt mal aufzuklären, was da draußen los ist?
Möcklinghoff: Ja, klar. Das ist wirklich so ein Stück weit meine Mission, das Thema Artenschutz eben in die Mitte der Bevölkerung zu bringen. Weil klar, um mich rum, ich bin Biologin, um mich rum interessiert sich jeder dafür und weiß ganz genau, was das Problem – nein, was das Problem ist, weiß keiner, aber weiß genau, dass es ein Problem gibt. Und ich versuche das eben in die Mitte der Bevölkerung zu bringen, das alle es mitbekommen und dass es vielleicht ein bisschen präsenter wird.
Gerk: Müsste da auch politisch was passieren?

"In Brasilien sind die Gesetze gar nicht so schlecht"

Möcklinghoff: Ja, klar, es muss politisch was passieren, es muss – teilweise sind die Gesetze, also in Brasilien zum Beispiel sind die Gesetze tatsächlich gar nicht so schlecht. Das Problem ist nur eher die Umsetzung, dass sich keiner dran hält. Das verbessert sich tatsächlich, zum Beispiel bei der Abholzung in Brasilien verbessert sich das zum Beispiel durch die Satellitentechnologie. Also die Gesetze sind gut, im Amazonas muss man, wenn man Land besitzt, 80 Prozent schützen und darf nur 20 Prozent nutzen. Das ist super, aber bisher hat sich halt keiner dran gehalten. Jetzt sieht die Polizei live quasi über Satellit, was passiert, und kann direkt eingreifen. Das heißt, da bessern sich Sachen. Aber natürlich, überall müsste man was verbessern. Das ist natürlich auch immer so ein trade-off: Wir wollen ja trotzdem ökonomisch leben, das heißt, man muss so eine Balance finden zwischen ökologischer Lebensweise und Landnutzung und eben ökonomischer Landnutzung, weil klar, alle wollen Geld machen. Da kann man keinem einen Vorwurf machen.
Gerk: Können wir denn als Einzelne hier in Deutschland auch was tun, außer jetzt zu spenden, irgendwelche Projekte zu unterstützen? Wie können wir denn was gegen das Artensterben tun?
Möcklinghoff: Ja, da gibt es sehr viele Sachen, die man machen kann. Das ist schwer, das zu präzisieren, aber es würde schon helfen, anzufangen, darüber nachzudenken, sich zu interessieren, was man machen kann und einfach zum Beispiel nicht die fünf Minuten, die man zum Supermarkt laufen würde, dann mit dem Auto zu fahren und so was alles. Also, wenn man einfach anfängt, so ein bisschen drüber nachzudenken. Es sind teilweise profane Sachen – Recycling-Klopapier nutzen und so einen Kram. Das brauche ich jetzt nicht – das weiß eigentlich auch jeder. Einfach sich ein bisschen drüber Gedanken machen und sich einfach anfangen zu interessieren. Ich meine, es ist auch ein spannendes Thema, es macht auch – also ich versuche, das ja in meinem Buch nicht alles so schwarzzumalen, sondern es ist ja auch – es kann ja auch, es gibt ja auch lustige Sachen im Artenschutz, auch wenn das Thema Artensterben traurig ist. Also man kann sich dafür auch interessieren, ohne dass man gleich das Gefühl hat, um einen rum bricht überall die Welt zusammen.
Gerk: Auf jeden Fall vor allem, wie gesagt, wenn man Ihr sehr unterhaltsames Buch liest. Sie haben ja auch schon schöne Zukunftspläne, habe ich dann am Schluss gelesen. Wenn Sie in Rente sind, dann wollen Sie Gürteltierforscherin werden. Warum denn ausgerechnet das Tierchen?

"Gürteltiere machen zum Beispiel Sexpartys"

Möcklinghoff: Tatsächlich, man denkt ja immer, man weiß alles über Säugetiere. Das ist aber nicht so. Gürteltiere sind ganz unerforscht, und wir beobachten die eben immer in freier Wildbahn und wissen halt Sachen über ihr Verhalten, die aber tatsächlich in der Literatur unbekannt sind. Zum Beispiel machen Gürteltiere Sexpartys. Die sind eigentlich immer einzeln unterwegs, und dann auf einmal sieht man 13 Gürteltiere auf einem Haufen, überall sitzen sie aufeinander. Und das ist – und so machen die dann wirklich da ihre kleinen Partys. Und da gibt es viele Fragen zu. Zum Beispiel, wie verabreden die sich? Flyer werden sie wohl kaum schreiben. Das ist schon ganz spannend, und tatsächlich hat letztes Jahr jemand was publiziert, von wegen, das Verfolgungsverhalten des Gürteltiers, wo wir alle gedacht haben, nein, nein, verfolgen tun die sich nicht.
Gerk: Lydia Möcklinghoff hat tolle Zukunftspläne. Vielen Dank für dieses Gespräch. Und das Buch "Die Supernasen. Wie Artenschützer Ameisenbär und Co. vor dem Aussterben bewahren" ist im Hansa-Verlag erschienen. 320 Seiten kosten 22 Euro. Und nachlesen können Sie diese Angaben zu allen Büchern, über die wir in der Sendung sprechen, auch bei uns im Internet unter www.deutschlandradiokultur.de.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.