Amalie Skram - "Professor Hieronimus"

In der Hölle

Von einer Türklinke aus Kupfer in der Asklepios Klinik in Hamburg-Wandsbek wird eine Bakterienprobe genommen.
Statt Heilung, beschreibt Amalie Skram eine Welt der Unterdrückung. © picture alliance / dpa / Asklepios Klinik
Von Peter Urban-Halle · 06.05.2016
In "Professor Hieronimus" gingen auch Erfahrungen der norwegisch-dänischen Schriftstellerin Amalie Skram mit ein. Das Buch entstand in der Zeit des frühen Freud und späten Ibsen. Der Psychiatrie- und Emanzipationsroman aus dem Jahr 1895 wurde jetzt neu aufgelegt.
Im Grunde handelt es sich beim vorliegenden Buch um einen Doppelroman, nämlich "Professor Hieronimus" und die Fortsetzung "In St. Jørgen". Auf Zuraten ihres Mannes, aber auch weil sie selber einsieht, dass sie, zwischen familiären Pflichten und künstlerischem Anspruch zerrieben, langsam, aber sicher auf eine Depression zusteuert, willigt die Malerin Else Kant ein, sich in die Nervenheilanstalt des berühmten und verehrten Professor Hieronimus einweisen zu lassen. Hier erhofft sie die dringend benötigte Ruhe, um endlich wieder zu sich selbst zu kommen.
Damit sitzt sie in der Falle. Statt die erhoffte Erholung und Heilung zu erhalten, gerät sie in eine Welt der Unterdrückung, wo jede Selbstbestimmung radikal verhindert wird. Dies geschieht weniger durch Gewaltanwendung, als durch Beruhigungsmittel und Psychoterror. Wer über "die Qualen der Hölle geschrieben hat", heißt es schon bald, "ist zweifellos auf einer psychiatrischen Station gelandet". (Übrigens war acht Jahre zuvor, 1887, die umwälzende Reportage "Zehn Tage im Irrenhaus" der Amerikanerin Nellie Bly erschienen – erstmals auf Deutsch 2011 bei Aviva –, die allerdings noch schlimmere Zustände schildert; ob Skram sie kannte, ist unklar.)
Der Herrscher dieser Hölle ist Hieronimus. Mit perfiden Methoden versucht er den Widerstandsgeist seiner Patientin zu brechen. Er weist ihr eine Zelle an, die man im Gefängnis, aber nicht in einer Heilanstalt erwartet, er lügt ihr vor, ihr Mann wolle sie nicht sehen, er öffnet die an sie gerichteten Briefe (die zu lesen sie sich hartnäckig weigert, eben weil sie von den Fingern dieses "Folterknechts", wie sie ihn nennt, geöffnet wurden). Er ordnet an, sie müsse Tag und Nacht auf ihrem Bett liegen – sie wolle ja Ruhe, fügt er genüsslich hinzu.

Kritik an Zuständen und am Krankheitsbegriff

"Professor Hieronimus" ist eine konkrete Kritik an den Zuständen, aber auch eine Kritik am Krankheitsbegriff selbst. Wie ein roter Faden zieht sich die Erkenntnis durch beide Romanteile, dass in der geschlossenen Anstalt einfach "alles als Ausdruck von Geisteskrankheit gedeutet wird" (während sogenannte Anomalität draußen vielleicht als überspannt, in künstlerischen Kreisen gar als genial gilt). Auch die Frau, die auf ihren Mann wütend ist, ist für Hieronimus geisteskrank.
Damit ist der Doppelroman auch eine Kritik an den üblichen Geschlechterrollen. Mit Ibsens Dramen kam die "Frauenfrage" in die Literatur, Amalie Skram hat sie weitergeführt. Naturalistisch wie Ibsen ist Skram im technischen Sinn, weil sie das soziale Elend detailliert zeigt, aber nicht im deterministischen Sinn: Ihre Else lehnt sich nicht nur gegen Hieronimus, sondern auch gegen ihren Mann auf; und Amalie Skram hat den Blick für das, wie es heißt, "verdeckte Tabuisierte, das Rätselhafte des Körpers".
Der Doppelroman von 1895 wurde von Mathilde Mann bereits 1897 auf Deutsch vorgelegt (unter dem Titel "Professor Hieronymus" und "Im Irrenhaus"). Nun liegt dieser wichtige Text in einer neuen Übersetzung wieder vor, die den einerseits nüchtern-berichtenden, andererseits aufgebracht-verzweifelten Passagen der Hauptfigur gewissenhaft nachspürt.

Amalie Skram: "Professor Hieronimus"
Aus dem Norwegischen von Christel Hildebrandt
Guggolz Verlag, Berlin 2016
464 Seiten, 24,00 Euro