Amadeu Antonio Stiftung

"Mischung aus Sozialdarwinismus und Rassismus"

Moderation: Christine Watty · 15.01.2014
Eine "Operation Schutzschild", um Rassismus und Gewalt gegen Asylbewerber zu bekämpfen, fordert Anetta Kahane. Wenn Bürger sich engagieren, dann sehen die "Rassisten und Nazis ziemlich alt aus", so die Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung.
Christine Watty: Ein kleiner Ausschnitt aus den Ereignissen der letzten Monate, nicht chronologisch: Nach einem Brand in einem Asylbewerberheim in Germering wird ein ausländerfeindlicher Hintergrund nicht ausgeschlossen. In Berlin haben Unbekannte Knallkörper an den Türen eines Asylbewerberheimes angebracht. Auf Facebook hat sich eine Gruppe zusammengefunden, die gegen die "Asylschwindler" und eine Unterkunft in ihrer Stadt wettert. – Ich könnte noch viel mehr aufzählen. Die konkreten Angriffe auf Flüchtlingsheime haben sich im vergangenen Jahr verdoppelt, die Aufmärsche vor den Unterkünften für Asylbewerberheime sogar versechsfacht. Wie kann das nach der Empörung um die Machenschaften der NSU sein? Herrschte da nicht eine ziemlich deutliche „Nie wieder“-Stimmung in diesem Land?
Wir fragen Anetta Kahane, die Vorstandsvorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, während auch heute der Prozess übrigens natürlich gegen Beate Zschäpe fortgesetzt wird. Erst mal guten Morgen, Frau Kahane.
Anetta Kahane: Guten Morgen.
Watty: Zunächst zu diesen beklemmenden Anstiegszahlen von rechtsextremen Übergriffen. Ich nehme mal an, dass die nicht jeder, der sich nicht ausführlich mit diesem Thema beschäftigt hat, so auch erwartet hätte. Wieso sind das so viele mehr?
Kahane: Ja es erinnert ein bisschen an die Situation Anfang der 90er-Jahre. Damals kamen sehr viele Asylbewerber pro Jahr nach Deutschland und es gab so eine Stimmung, die politisch auch gewollt war, den Asylbewerbern das Leben möglichst schwer zu machen, damit nicht noch mehr kommen. Es war sozusagen die Einleitung zu dem "Asylkompromiss". Und die Politik hat nicht dagegen gesteuert, sondern hat das geradezu noch gefördert, damit sie dann diese Grundgesetzänderung machen konnte. Ein bisschen erinnert mich das jetzt. Es ist nicht ganz so schlimm wie damals und es gibt auch sehr viel mehr Gegenöffentlichkeit. Aber es zeigt doch, dass das noch nicht überwunden ist, diese Art von Feindlichkeit gegenüber Menschen, die von woanders kommen. Das ist so eine Art Mischung aus Sozialdarwinismus und Rassismus.
Watty: Könnte man zudem auch die These aufstellen, neben diesen politischen Hintergründen, die Sie beleuchtet haben, dass die Angriffe auch steigen, weil die Täter wissen, wie leicht es ist, sich der juristischen Verfolgung zu entziehen, weil da eben dieser große Prozess steht, um den sich vieles dreht, aber man feststellt, wie da versagt wurde?
Anetta Kahane
Anetta Kahane© dpa / picture alliance / Karlheinz Schindler
"Die Logik ist so extrem absurd"
Kahane: Das würde ich mal behaupten. Es ist ja ganz deutlich geworden, dass nach dem Aufdecken des NSU relativ wenig auf der lokalen Ebene passiert ist. Es sind wenig Polizisten oder Verfassungsschützer zur Verantwortung gezogen worden, wenn überhaupt. Und es ist deutlich geworden, was für eine Riesenschlamperei da herrscht und dass diese Organe, diese ordnungspolitischen Organe sich gerne selbst irgendwie bedeckt halten über das, was sie versäumen. Und das ist natürlich auch ein Ansporn für Leute, da mal Knallkörper zu schmeißen oder Leute anzugreifen, weil sie das Gefühl haben, es wird nicht wirklich ernst genommen.
Nehmen wir mal den Fall, den Sie vorhin nannten, mit dem Asylbewerberheim dort in München. Ich war an dem Tag gerade da und das war ganz interessant. Am ersten Tag hieß es, fremdenfeindlicher Anschlag ist nicht ausgeschlossen. Am zweiten Tag hieß es, doch, ist ausgeschlossen. Warum? - Weil das Verwaltungsgebäude angezündet wurde, wo zwar auch Asylbewerber wohnen, aber die Polizei der Meinung war, Rechtsextremisten würden natürlich nur Wohnhäuser anzünden und kein Verwaltungsgebäude, wo auch Asylbewerber wohnen. Also die Logik ist so extrem absurd, dass sich da Täter ganz sicher fühlen können.
Watty: Dann ist es wahrscheinlich sogar eine gute Überleitung zu der Tatsache, dass sich dann die Täter auch so fühlen, als hätten sie Verbündete auf der vermeintlich guten Seite. Sowohl was den NSU-Prozess betrifft, als auch diese Geschichte aus Bayern, die Sie noch mal geschildert haben, dass man vielleicht das Gefühl hat, selbst auf der Seite von Verfassungsschutz und Polizei sind ja im Zweifel nicht Leute, die das unterstützen würden, aber zumindest nicht die, die sich sofort massiv auf die Suche nach den Hintergründen machen und die Wahrheit ans Licht bringen wollen.
Kahane: Wissen Sie, das große Thema beim NSU-Prozess und dem, was jetzt auch wieder passiert, ist für mich die Frage, ob es in Deutschland einen Tiefenstaat gibt. Also ob es sozusagen auch Absprachen gibt oder das Verbergen oder Abwehren von Aufklärung. Man hat den Eindruck oft, gerade im Zusammenhang mit dem NSU-Prozess. Und wir haben es ja auch gesehen bei dem Untersuchungsausschuss zum NSU. Das ist ganz furchtbar. Es gibt einen ganz starken Willen, das aufzuklären, und es gibt auch sehr viele engagierte Leute, auch innerhalb der Polizeien, die das vorantreiben wollen. Aber die Frage ist: Wieso werden sie an welchen Stellen blockiert?
Das ist etwas, was mich wütend macht, und das macht sehr viele Leute und gerade die Opfer, die Angehörigen macht das sehr wütend und zeigt, dass da noch nicht ganz klar ist, worum es geht. Das ist ein Zukunftsthema. Es ist nicht nur ein kosmetisches Thema, wir wollen hier keine Nazis, weil das nicht gut aussieht für Deutschland, sondern es ist ein Zukunftsthema: Ist Deutschland in der Lage, eine Gesellschaft zu gestalten und auch zu schützen, die zukunftsfähig ist, und das ist nun mal mit Einwanderung und nicht ohne Einwanderung nur zu haben.
Watty: Sie sagen, das macht Sie wütend, und das kann man natürlich auch hören. Es gab gestern ein Zitat eines der Opferanwälte, der geschimpft hat darüber, dass die Staatsanwaltschaft offenbar kein Interesse habe, wirklich Einblicke in die Strukturen des NSU zu gewinnen. Heißt das, dieses Versagen geht tatsächlich auch wirklich ganz konkret innerhalb dieses Prozesses weiter, auch Ihrer Meinung nach? Sie beobachten diesen Prozess natürlich auch genau.
"Es ist formal wahrscheinlich richtig, aber es ist ein Fehler"
Kahane: Ja, es gibt bestimmte Bereiche, wo man den Eindruck hat, dass die Staatsanwaltschaft und auch das Gericht sehr formal sich an der Anklageschrift entlang bewegen. Und die Anklageschrift ist so verfasst, dass die beiden inzwischen nicht mehr lebenden Täter die Haupttäter sind und die anderen Nebentäter, und dass das nicht auf den gesamten terroristischen Netzwerkcharakter hinweist, was dort passiert ist, sondern sich fokussiert auf einzelne Personen. Dadurch kann man immer sagen, nein, das tut jetzt nichts zur Sache, wir wollen jetzt die Strukturen nicht weiter untersuchen. Ich halte das für einen Fehler. Es ist formal wahrscheinlich richtig, aber es ist ein Fehler, weil er noch mal deutlich macht, dass in die Tiefe nicht geguckt wird, und das finde ich ganz fatal. Das ist ein ganz, ganz schlechtes Signal auch für unsere Justiz.
Watty: Im Gespräch im "Radiofeuilleton" hören Sie Anetta Kahane, Vorstandsvorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung. – Wenn wir jetzt noch mal auf das Thema der Gegenbewegung schauen: Sie haben gesagt, es gibt natürlich eine viel, viel größere Gegenbewegung als in den 90er-Jahren noch. Wessen Aufgabe ist es aber, vor Rechtsextremismus zu schützen? Wir haben auf der einen Seite den Staat, der an vielen Stellen scheitert, andererseits eine größere Gegenbewegung. Kann die überhaupt über dieses Scheitern des Staates, das Sie so benennen, hinweg helfen und alleine dafür sorgen, dass sich was ändert?
Kahane: Na ja, der Staat scheitert ja nicht komplett. Der Staat ist ja immer in verschiedene Sektionen eingeteilt und da weiß der eine Teil des Staates nicht, was der andere tut. Der Staat ist ja im Prinzip keine Person, sondern das ist eine Verwaltung. Und die Verwaltung – manche funktionieren sehr gut und machen eine gute Arbeit und andere eben nicht, gerade im Bereich der Ordnungsorgane, und da muss was getan werden.
Jetzt noch mal zurück zu der Frage, ob die Zivilgesellschaft das schaffen kann. Wir haben in den 90er-Jahren, um noch mal zum Anfang zurückzukommen, das Gefühl gehabt, die Zentrifugalkräfte, die die Nazis vorantreiben, sind so stark, dass wir da gar nicht hinterher kommen. Ich würde sagen, wir haben ein ganzes Stück schon geschafft. Also wir, die Zivilgesellschaft, und dazu würde ich auch Menschen zählen, die im Staat, beim Staat arbeiten und sich auch dort engagieren, denn die gibt es auch. Die Zivilgesellschaft und die Personen, die sich verantwortlich fühlen und die zuständig sind, auf der einen Seite und die Tiefe des Staates und ihr beschämendes Agieren in Sachen Rechtsterrorismus auf der anderen Seite. Das Rennen ist noch nicht entschieden. Ich bin da ein bisschen optimistischer, als ich es noch vor 10, 15 Jahren war. Aber ich fühle ja doch, ich habe schon den Eindruck, dass wir ein Stück weit auch zurückgerollt werden jetzt. Zwei Jahre nach Aufdeckung des NSU hat sich gezeigt, dass der Staat sich auch nicht mehr so gerne in die Karten gucken lassen will und da versucht, jedenfalls bei der ordnungspolitischen Front, sich zu schützen. Also das Rennen ist noch nicht entschieden, wir tun unser bestes.
Watty: Das finde ich schön, dass Sie so etwas Hoffnungsfrohes in diese Antwort gesteckt haben. Zum Abschluss trotzdem noch mal die Frage: Wenn wir auf diese Zahlen der gestiegenen Übergriffe auf Asylbewerberunterkünfte schauen, dann können wir aber trotz der Hoffnung natürlich nicht erwarten, dass das auch wieder ganz schnell zurückgeht. Was machen wir denn damit?
"Dann sehen diese ganzen Rassisten und Nazis ziemlich alt aus"
Kahane: Ich träume immer von einer, ich nenne das mal jetzt ganz knapp, Operation Schutzschild. Was ich mir vorstelle ist, jetzt nicht so viel zu diskutieren darüber, was der Staat macht und was die Zivilgesellschaft und wer jetzt zuständig ist und warum die Nazis und Verbote ja oder nein, sondern dass die Bürger vor Ort ganz konkret an der Stelle, wo solche Übergriffe passieren oder wo Asylbewerber hingebracht werden, dass die sich da schützend vor die Leute stellen. Denn Sie müssen sich mal vorstellen: Das sind Leute, die kommen aus einer vollkommen verzweifelten Situation. Haben eine irrsinnige Irrfahrt hinter sich und möchten jetzt alles andere, als noch von außen angefeindet werden. Es ist für sie alles fremd und da reicht es dann nicht, nur Spielzeug vorbeizubringen. Da wäre es schön, wir haben es ja in Hellersdorf gesehen, wenn die Bürger das dort gemacht haben, dass die Leute sich auch kümmern, dass sie Kontakt aufnehmen, dass sie die Leute beschützen. Dass sie sie mitnehmen und integrieren in die Nachbarschaft und in das nachbarschaftliche Leben. Das, finde ich, ist die aller-, aller-, allerwichtigste Aufgabe, die wir im Moment haben, und da fließt auch alles ein, was wir in den letzten 20 Jahren gelernt haben darüber, wie man mit Rechtsextremismus umgeht. Wenn das nämlich passiert, wenn die Bürger sich da engagieren, dann sehen diese ganzen Rassisten und Nazis ziemlich alt aus.
Watty: Danke schön an Anetta Kahane von der Amadeu Antonio Stiftung für dieses Gespräch. Schön, dass Sie heute Morgen hier waren. Vielen Dank.
Kahane: Bitte.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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