Am unteren Ende der Pigmentpyramide

04.10.2012
Anhand seiner Hauptfigur, der illegal in L.A. lebenden Hausangestellten Araceli Noemi Ramirez, illustriert Héctor Tobar den alltäglichen Rassismus, den die Latinos in der der zweitgrößten Stadt der USA tagtäglich erleben. Dabei stellen sie hier schon die Hälfte der Bevölkerung.
Héctor Tobar ist in East Hollywood zur Welt gekommen, nicht die beste Gegend von Los Angeles. Seine Eltern waren Guatemalteken - und er hat in seinem Leben viele Male erlebt, was es heißt, innerhalb der "Pigmentpyramide" der USA aufzuwachsen, innerhalb der "Hierarchie der Hautfarben": Je dunkler du bist, desto weniger giltst du.

Die "Pigmentpyramide" der Vereinigten Staaten lernt auch Araceli Noemi Ramirez Hinojosa kennen, die Heldin in Tobars Roman "In den Häusern der Barbaren". Die junge Frau, die ihr Kunststudium in Mexiko City geschmissen hat, ist eine indocumentada, lebt seit vier Jahren ohne Papiere als Haushaltshilfe bei der wohlhabenden Familie Torres-Thompson im Orange County, der Pazifik ist in Sichtweite. Früher gab es noch einen Gärtner und ein Kindermädchen, aber weil die Software-Firma von Scott Torres-Thompson gerade pleite gemacht hat, werden alle gefeuert, bis auf die letzte verbleibende Hausangestellte Araceli, die sich nun auch um die beiden Söhne der Familie, Brandon (11) und Keenan (8) kümmern muss.

Eines Tages kommt es zum heftigen Ehekrach zwischen Scott und Maureen, woraufhin beide wutentbrannt ihr hochherrschaftliches Anwesen verlassen und Araceli allein mit den beiden Söhnen in der Laguna Rancho Estates zurücklassen. Anfangs geht die nicht gerade kinderliebe Araceli noch davon aus, dass die Eltern bald zurückkehren werden, aber weder Vater noch Mutter tauchen wieder auf. Woraufhin Araceli beschließt, Brandon und Keenan zu ihrem 70-jährigen Großvater zu bringen, der irgendwo in Los Angeles leben soll.

Hier beginnt die große Odyssee Aracelis mit den beiden Kindern durch die barrios von L.A., eine Irrfahrt, an deren Ende ein Polizeihubschrauber über ihrem Kopf kreist. Sie wird verdächtigt, die Kinder entführt zu haben. Nicht zufällig geschieht dies alles am Nationalfeiertag, dem 4. Juli.

Weite Teile dieses gelungenen Romans setzen sich mit den Stereotypen und Stigmata auseinander, die nach wie vor Einwanderern anhaften. Obwohl heute bereits die Hälfte der Bevölkerung der zweitgrößten Stadt der USA aus Latinos besteht und sich eine wachsende Latino-Mittelschicht heranbildet, werden sie von der Strafjustiz und den Medien oft von vornherein als potenzielle Kriminelle abgestempelt.

So ist Tobars Buch dann auch eine Abrechnung mit der "melodramatischen Maschinerie" von Internet und Fernsehen und mit dem immer schneller rotierenden "Nachrichtenkarussell", das sich umso weniger um Sorgfalt schert, je schneller es sich dreht. Weh dem, der hineingerät in den "Masse und Fahrt" aufnehmenden digitalen Datenstrom, der sich mit "jeder Menge Treibgut aus Fakten, Halbwahrheiten und Spekulationen" verbindet. Am Ende formiert sich ein von der falschen Berichterstattung aufgestachelter Lynchmob, und Araceli weiß: "Unsere Emanzipation ist längst nicht vollendet."

Dieses Buch ist deshalb klug, weil es der Gefahr entgangen ist, eine Anklageschrift herrschender Missstände zu werden. Hier wird nicht schwarz-weiß gezeichnet. "In den Häusern der Barbaren" erzählt uns von jenen Hispanics, die nun auch Hollywood zunehmend interessieren. Die Rechte an der Verfilmung seines Romans jedenfalls hat Héctor Tobar bereits verkauft.

Besprochen von Knut Cordsen

Héctor Tobar: In den Häusern der Barbaren
Aus dem amerikanischen Englisch von Ingo Herzke
Piper Verlag, München
490 Seiten. 19,99 Euro