Alzheimer-Früherkennung

Hohes Risiko – was soll's!

Von Sigrun Damas · 04.01.2014
Bei Alzheimer-Früherkennungstests bekommen von 100 getesteten Menschen bis zu 20 eine Fehldiagnose. Außerdem sind nur fünf Prozent aller Fälle von Alzheimer-Demenz auf eine erbliche Veranlagung zurückzuführen.
Er ist jetzt 74. Und er wird langsam vergesslich. Lothar Schefter merkt selber, dass er sich immer mehr aufschreiben muss. Ansonsten kommt er im Alltag aber noch gut zurecht, und Orientierungsprobleme hat er auch nicht. Deswegen sagt sein Arzt: Eine Alzheimer-Demenz ist es nicht. Oder noch nicht? Lothar Schefter ist beunruhigt.
„Ich würde gern wissen, was mich in der Zukunft erwartet. Inwiefern diese Entwicklung, die ich ja als Laie nicht beurteilen kann, sich fortsetzt und was dann daraus entstehen kann."
Simone Schwibinger ist 50, betreibt mit ihrem Mann ein Weingut und steht mitten im Leben. Aber auch sie beschäftigt die Frage, ob sie bald Alzheimer bekommt. Denn ihre Mutter erkrankte mit Mitte 40 daran, ihr Vater mit Mitte 60:
"Und natürlich fing dann die Angst an. Dass man den ganzen Tag drüber nachdenkt, wenn man selbst was vergisst."
Simone Schwibinger und Lothar Schefter – beide stehen jetzt vor der Frage, ob sie einen Alzheimer-Früherkennungstest machen sollen. Lothar Schefter entscheidet sich dafür. Er wendet sich an die Gedächtnissprechstunde der Berliner Charité. Forscher glauben, dass die Alzheimer-Krankheit lange Jahre vor dem Ausbruch der ersten Symptome schon im Kopf angelegt ist. Und Hinweise auf diese Spur im Kopf können sie heute mit verschiedenen Verfahren nachweisen.
„Zunächst werde ich Ihnen eine Liste mit zehn Worten zeigen. Ihre Aufgabe ist es, die Worte laut vorzulesen. Im Anschluss möchte ich Sie dann bitten, so viele Worte wie möglich zu erinnern!"
"Krankenhaus, Hammer ...“
Der Gedächtnistest – er ist die erste und wichtigste Station der Alzheimer-Früherkennung. Und nur, wenn jemand hier Schwächen zeigt, schließen sich weitere Untersuchungen an.
"Fallen Ihnen noch weitere Wörter ein?"
"Leider nein, ist ein Berg von Buchstaben."
Lothar Schefter hat in der Tat eine Gedächtnisschwäche. Die Ärzte machen jetzt mit einem MRT Bilder von seinem Gehirn. Oliver Peters von der Berliner Charité erklärt, warum:
"Das MRT ist eine wichtige Methode, die zunächst als Ausschlussdiagnostik dient. Das heißt, wir können darüber nachweisen, ob vielleicht eine andere Ursache für die Gedächtnisstörung identifiziert werden kann. Das könnte ein Tumor sein oder ein stummer Infarkt, ein Schlaganfall, den der Patient vielleicht gar nicht bemerkt hat."
Aber es gibt auch Anbieter, die mit einem Alzheimer-Frühtest per MRT werben. Sie messen die Größe bestimmter Gehirnareale und leiten daraus ein Alzheimer-Risiko ab. Oliver Peters hält das nicht für ausreichend:
"Alleine dieses überproportionale Schrumpfen in der Region, die für das Gedächtnis zuständig ist, erlaubt nicht die Diagnose der Erkrankung."
Im Gehirnwasser suchen die Ärzte nach alzheimer-typischen Eiweißen
Lothar Schefters Gehirn sieht im MRT unauffällig aus. Deswegen folgt jetzt ein weiterer Test: Oliver Peters entnimmt aus dem unteren Rücken von Lothar Schefter Gehirnwasser. Denn das zirkuliert nicht nur im Kopf, sondern auch entlang des Rückens. Im Gehirnwasser suchen die Ärzte nach alzheimer-typischen Eiweißen. Diese heißen Amyloid und Tau und spielen beim Untergang von Nervenzellen eine Rolle. Lothar Schefter hat auffällige Eiweiß-Werte. Die bittere Schlussfolgerung:
"Sie haben ein sehr hohes Risiko, binnen der nächsten Jahre an einer Demenz zu erkranken."
Lothar Schefter bleibt gefasst:
"Ich muss natürlich mit Fakten leben. Wenn mir ein Experte das so sagt, dann muss ich meinen Lebensstil darauf aufbauen, Vorsorge treffen."
Der Pensionär hat ein hohes Risiko. Mehr aber nicht. Hier setzen Kritiker an, wie der Marburger Neurologe Richard Dodel.
„Es gibt keinen hundertprozentigen Test auf dem Gebiet der Alzheimerschen Erkrankung. Es gibt Unsicherheit auch, die sind im Bereich 10 bis 15 bis 20 Prozent."
Konkret heißt das: Von 100 getesteten Menschen bekommen bis zu 20 eine Fehldiagnose. Simone Schwibinger hat sich auch deswegen gegen den Frühtest entschieden:
"Und die Frage ist: Was macht man damit: Wenn man diesen Test dann hätte. Wird die Angst noch größer? Kann man dann gar nicht mehr leben?"
Erblich bedingt ist eine Alzheimer-Demenz nämlich nur in maximal fünf Prozent aller Fälle. Dann ist ein Gendefekt die Ursache. Bei allen anderen Fällen rätseln Forscher bis heute über die Ursachen. Was sie aber wissen: Selbst wenn die alzheimer-typischen Eiweiße im Kopf nachgewiesen sind, bedeutet das nicht, dass ein Mensch zu Lebzeiten wirklich dement wird.
Denn viele Faktoren wie Diabetes, Bluthochdruck oder wenig soziale Kontakte beeinflussen das individuelle Alzheimer-Risiko. All diese Faktoren erfassen die aktuellen Methoden der Früherkennung aber nicht. Der Neurologe Richard Dodel rät deswegen von Alzheimertests ab:
"Im Moment, da wir keine krankheits-modifizierenden Therapie haben, denke ich nicht, dass es sinnvoll ist, eine Früherkennung anzubieten."
Heilbar ist eine Alzheimer-Demenz bis heute nicht. Medikamente können bisher nur die Symptome der Erkrankung lindern.
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