Altmeister beim Nachwuchstraining

Von Jörn Florian Fuchs · 19.09.2009
Der 84-jährige Pierre Boulez ist immer noch umtriebig und hat in diesem Sommer vor allem mit Nachwuchskräften gearbeitet und musiziert. Die Lucerne Festival Academy bietet jungen musikalischen Talenten dafür breiten Raum.
Ein wenig polemisch könnte man sagen: Luzern, das ist das Festival der alten Männer. Denn ohne die allsommerlichen Säulen Abbado, Boulez oder Haitink sähe es am Vierwaldstättersee recht düster aus. Mit Claudio Abbado als Chef des festivaleigenen Orchesters gibt es einen Weltstar zu erleben, der sich ansonsten rar macht.

Pierre Boulez dagegen ist trotz seiner mittlerweile 84 Lenze nach wie vor umtriebig und bereist bzw. bereichert die globale Kulturwelt. In Luzern verweilt er länger und hier widmet sich der Altmeister vor allem den jungen Leuten. Die Lucerne Festival Academy bietet Nachwuchskräften breiten Raum, es wird eifrig studiert, musiziert und komponiert.

Mit Unterstützung der französischen Elektronik-Klangschmiede IRCAM gab es dieses Jahr eine ganze Reihe von Stücken mit künstlich erzeugten Raumerweiterungen. Da begegneten sich diverse Instrumente real wie virtuell, etwa in Luca Francesconis "Animus I" Posaune und Live-Elektronik. Das Soloinstrument spielte Stephen Menotti, Tom Mays programmierte den Computer.

Auch Dai Fujikuras Zyklus "prism spectra" für Solo-Viola und Elektronik wurde dank Anne Lanzilotti und Manuel Poletti zum eindrücklichen Erlebnis.

Die Nachwuchskräfte der Festival Academy präsentierten sich aber nicht nur solistisch, sondern auch sozusagen im Großformat und mit etwas eingängigerem Repertoire. Pierre Boulez realisierte mit den Musikern eine exemplarische Aufführung der beliebten "Jeux" von Claude Debussy.

Als Composers-in-Residence waren diesmal Jörg Widmann und Kaija Saariaho eingeladen. Widmann wie Saariaho sind nicht so sehr radikale Tonschöpfer, sondern eher Konsenskomponisten. Jörg Widmann vertraute seinem Freund Heinz Holliger ein technisch anspruchsvolles Oboenkonzert zur Uraufführung an und war auch als ausführender Musiker recht präsent.

In einer Fülle von Konzerten konnte man den Werdegang der in Paris lebenden Finnin Kaija Saariaho miterleben, von den frühen, eher experimentellen Stücken über die raumgreifenden Werke wie "Lonh, Solar oder Amers" ging es bis zur Auftragsarbeit "Laterna Magica", die eine flimmernd-flirrende Welt aus Bildern und Tönen evoziert.

Im Luzerner Kunstmuseum richteten Saariaho und ihr Lebenspartner, der Künstler Jean-Baptiste Barrière, die Installation "Nox Borealis" ein. Während einer guten Viertelstunde umkreisen einen da langsame, leicht verzerrte Streicherbögen und auf einer großen Leinwand ziehen Lichtfelder, Nebelschwaden und der Sternenhimmel vorüber. "Nox Borealis" wurde gleichsam umzingelt von Werken des einhundertjährigen Schweizers Hans Erni, dem das Kunstmuseum eine Retrospektive widmete und dessen künstlerisches Spektrum praktisch sämtliche Richtungen der letzten 100 Jahre abdeckt.

Gegen Ende des Festivals gab es dann stehende Ovationen für Pierre Boulez, dessen orchestrale "Notations" das Publikum in beinahe ausverkauftem Haus derart hinrissen, dass sich Boulez sogar zu einer Zugabe hinreißen ließ. Im selben Konzert war außerdem die "Sinfonia" von Luciano Berio zu hören, ein sehr selten gespieltes Stück, das einen gigantischen Arbeitsaufwand erfordert.

Berio amalgamierte und reflektierte im sensationellen dritten Satz so ziemlich alles, was die Musikgeschichte vor ihm so alles aufgeboten hat.

Am Satzende gilt der Dank dann dem Dirigenten - und da schließen wir uns dann auch gerne an und sagen: Thank you, Mister Boulez!