Altersleichtigkeit

28.03.2008
Für seinen neuen Lyrikband hat Peter Rühmkorf halbvollendete Gedichte, liegengebliebene und aufgegebe Verse noch einmal zu "Best of the rest" verdichtet. Die Gebärde der Zerrissenheit ist einer merkwürdigen Altersleichtigkeit gewichen. Es ist ein Lesevergnügen für alle, die Spaß an augenzwinkernden Gedichten haben.
Am Anfang des Werkes steht der Paradiesvogelschiß. In dem verbirgt sich ein guter Kern, aus dem was werden kann, ein Samen, der aufgeht im Garten. Erst ist es nur ein ärmlicher Spross, die Blättchen eher "bleiern" als grün. Aber das wächst und wächst, über alle Hecken und Sträucher hinaus und setzt "mein Haus in den Schatten", wie der Dichter bemerkt.

Mit der "Ballade von den geschenkten Blättern" beginnt Peter Rühmkorfs neuer Lyrikband. Die Parabel vom Paradiesvogelschiß setzt ein ganzes Dichterleben ins Bild, das zu vielen, vielen "bleiernen Blättchen" geführt hat. Um am Ende vielleicht noch einmal die Sonne zu sehen, wird beschlossen, dem "seltsamen Gast" mit der Axt zu Leibe zu rücken.

Anders gesagt: man könnte diese ganzen zeitlebens aufgehäuften Papiere mit halbvollendeten Gedichten, mit liegengebliebenen und aufgegeben Versen unbesehen ins Archiv geben. Aber steht nicht "auf jedem Blatt ein goldener Spruch", der es wert wäre, ins offizielle Werk aufgenommen zu werden? Sicher doch, und deshalb gibt es in diesem Buch zunächst einmal eine große Blütenlese, ein Best of the rest, wenn man der Auskunft der einleitenden Ballade glauben darf.

Bevor er 36 neue Gedichte präsentiert, versammelt Rühmkorf auf 80 Seiten verstreute Gedankensplitter, lyrische Aphorismen, Gelegenheitspoesie, Gedichtfragmente, manchmal auch nur denkwürdige Formulierungen, Pointen oder Reime, die zu gut sind, um preisgegeben zu werden ("Dies Gedicht für Nicole Kidman / könnt ich praktisch jeder widmen"). All das Gute und sehr Gute eben, das von den weniger geglückten Seiten übrig blieb und für diesen Band wohl noch einmal geschliffen und überarbeitet wurde.

Man mag es als eine Art Nachlass zu Lebzeiten mit Werkstattgeruch lesen; spätere Rühmkorf-Philologen werden womöglich viel damit zu tun haben, die Kontexte der einzelnen Verse zu rekonstruieren, die hier ganz für sich stehen und dabei gute Figur machen.

Es ist ein Lesevergnügen für alle, die Spaß an guten und augenzwinkernden Versen haben. Nie war Rühmkorf so dicht an Robert Gernhardts komischer Sinnspruchlyrik, die oft aus der Selbstverpflichtung zum originellen Reim geboren wurde: "Wären diese Silben Salben / würden sie euch etwas sagen, / überzeugen, / überlisten, / und ihr würdet wie die Schwalben / unter meinem Giebel nisten."

Die Gebärde der Zerrissenheit, das Gefühl von Tragik ist einer merkwürdigen Altersleichtigkeit gewichen. Je mehr das organische Fundament zu wünschen übrig lässt, desto weniger ist der dichtende Mensch offenbar überhaupt noch zum Ernst aufgelegt. Es darf und soll gelacht werden – wenn einem schon nichts anderes übrigbleibt. Und Rühmkorf fühlt sich dabei durchaus zeitgemäß: "Im Augenblick wird KOMIK großgeschrieben / No Problem, weil: wir liefen nach Belieben..." Nur gelegentlich verspürt der Pointenproduzent Unbehagen und "sinnt dem Salzgehalt verflossener Jugendtränen nach".

Zwischen Brecht und Benn wurde Rühmkorfs Position immer wieder verortet. Jetzt ist er noch näher zu Benn gerückt, der sich als Vorbild für ironisch knisternde Altherrenpoesie einfach mehr empfiehlt. Der Benn-Sound klingt immer wieder leise durch, sowohl bei den gereimten Stücken wie in den in freien Versen gehaltenen längeren Gedichten wie "Rückblickend auf mein eigenes Leben..." – dem vielleicht besten Text des Bandes.

Vergänglichkeitsanwehungen, Herbstgedanken und Verelendungsmotive gab es seit je in Rühmkorfs Werken. Nun wird dergleichen zur führenden Stimme: "Keine Herzattacke ohne den Beistand von deinem / Lieblingskardiologen / Und der BARMER ERSATZKASSE, / und wenn du morgens wieder mal dunkeltrunken deinen / Rattenbau erreichst, / Gratuliere, ah, im Kühlschrank brennt noch Licht."

Rühmkorf verbindet das hartnäckige Insistieren auf den irdischen Freuden mit Vanitas-Klagen, deren komisch gebrochenes Pathos von sehr weit herkommt. So wie im Barock die scheinbar individuelle Emphase oft eine Sache von gutem Handwerk und lyrischen Mustern war, so ist auch in Rühmkorfs Todes-Gedichten etwas von einer routinierten Beziehungsanbahnung zu spüren, etwa in "Grabspruch", vier Versen von sarkastischem Übermut: "Schaut nicht so bedeppert in diese Grube. / Nur immer rein in die gute Stube. / Paar Schaufeln Erde und wir haben / ein Jammertal hinter uns zugegraben."

Und was ist aus Rühmkorf, dem erotischen Kraftlackel geworden? Aus dem Sänger der geschlechtlichen Freuden, der "Damen" und "Weiber" gleichermaßen gern zu Bett lud? Am Ende des Buches stehen noch einige Liebesgedichte – hier findet man in komprimierter Form jene Szenarien des unerwünschten Verlangens alter Männer, wie sie bei Philip Roth und Martin Walser zu Romanen werden: "Das sind so Schmerzen, die sich nicht mal / zu erkennen geben dürfen. / Leiden, für die es hierzuland kein Mitleid gibt."

Aber was denn auch, hat der Dichter-Erotomane doch einst reichlich Ernte eingefahren, wie er in "Dichterliebe" bekennerstolz verrät. Auch wenn ihm heute das Nachsehen bleibt: "Es wehen so kleine Fräulchen / wegauf und wegab und dahin / und spitzen verworfene Mäulchen / nach wem? wenn schon ich es nicht bin."

Immer wieder dankbar ist man für Rühmkorfs Verbindung von Klugheit und Poesie, für seine treffend formulierte Nachdenklichkeit, für all die "Verbindungsfäden zwischen Satz und Seele".

Rezensiert von Wolfgang Schneider

Peter Rühmkorf:
Paradiesvogelschiß. Gedichte

Rowohlt Verlag/ 2008
143 Seiten, 19,90 €