Alter

Der Gehstock als Waffe

Ein brauner Krückstock lehnt an einem Sessel.
Der Krückstock: Kann zur Not vielleicht dazu dienen, Angreifer in die Flucht zu schlagen. © picture alliance / dpa / Foto: Hans Wiedl
Von Franziska Rattei · 19.07.2014
Ältere Menschen können schnell zu Opfern werden. In Bremen lernen Senioren, Gefahren aus dem Weg zu gehen und sich selbst zu verteidigen. Nicht jeder findet das gut, aber die teilnehmenden Rentner haben ihren Spaß.
Bis seine Schüler kommen hat Olaf Hünnekens noch ein paar Minuten Zeit. Der Enddreißiger mit breitem Kreuz packt aus, was er für die heutige Trainingsstunde mitgebracht hat. Er hängt ein knappes Dutzend hölzerne Spazierstöcke an einen Tisch und legt auch schon mal die Namensschildchen der Teilnehmer zurecht. Das eigene hat er am Kragen seines schwarzen T-Shirts fest geklippt. Draußen, unter einem kleinen Baum, versammeln sich schon die ersten Kursteilnehmer.
Senioren im Gespräch: „... haben uns noch gar nicht guten Morgen gesagt. / Wollen wir rein? / Bei diesem schönen Wetter ist draußen natürlich auch schön, aber wir gehen lieber rein. / Wir freuen uns."
Kurz darauf hat sich der Raum im Erdgeschoss dann gefüllt. Zehn Bremer Seniorinnen und Senioren schieben Stühle und Konferenztische beiseite und bereiten einen Stuhlkreis vor.
Trainer und Teilnehmer: "So, einen wunderschönen guten Morgen wünsche ich. / Guten Morgen! / Ich hoffe, Ihr seid alle fit?! / Na, ja..."
Potenziellen Angreifern aus dem Weg zu gehen
Seit drei Monaten lernen die Senioren verschiedene Armbewegungen und Schrittfolgen, um potenziellen Angreifern aus dem Weg zu gehen und um deren Kraft umzulenken. "Viereck", "Dreieck" oder "Trichter" nennt Olaf Hünnekens die Abläufe, die er aus verschiedenen Selbstverteidigungstechniken und Kampfkünsten zusammengestellt hat. Der Trainer ist seit mehr als 20 Jahren im Geschäft, aber mit den Kursen für Senioren hat er erst vor Kurzem angefangen. Eine Marktlücke, wie sich gezeigt hat. Die Plätze waren schnell vergeben. Die Senioren wollen vorsorgen. Überfallen wurde noch keiner von ihnen. Heute steht "der Kreis" auf dem Programm.
Olaf Hünnekens: "Um die Bewegung erst mal zu erlernen, mache ich erst mal den Kreis und dazu in Verbindung den Schritt zur Seite. Mehr nicht. Ok? Jeder ein Partner, verteilt Euch ein bisschen, auf geht's. Also wir brauchen bisschen Platz am Rand, dass wir die Idee besser verstehen."
Immer zwei Teilnehmer bilden ein Team. Annegret Helmke-Heemann und Rudi Weiß haben sich schnell gefunden. Sie: 72 Jahre alt, sportlich in schwarz-roter Bluse und weißer Hose. Er: ein paar Jahre jünger, mit Goldrandbrille und grauem Haar. Um sich die Bewegungen leichter zu merken, denkt der Rentner sich gern Eselsbrücken aus:
Rudi Weiß, Annegret Helmke-Heemann: "Also ich dreh am Lenkrad und schalte. / Super. Aber ich hab Automatik."
Während Annegret das Angreifen andeutet und ihre Arme nach vorne streckt, wehrt Rudi ihre Versuche mit der Kreisbewegung ab: Von der Seite her bewegt er seinen Handrücken auf den Unterarm seiner Partnerin zu. Ganz leicht, ohne eigene Kraft anzuwenden, schiebt er ihre Hand weg und legt die eigene Faust dann auf ihren Bauch. Im Ernstfall würde er dem Gegner in die Magengegend oder in die Weichteile boxen.
Man sollte wirklich sich wehren. Man sollte nicht warten bis der andere schlägt. Du musst aktiv werden. Das würde ich heute machen.
Annegret, Rudi Weiß: "Wir machen weiter. / Wir machen weiter jetzt. / Los, zack. / Streck mal aus."
Auf der Suche nach dem Selbstverteidigungskurs
Annegret tut sich ein bisschen schwerer, die Bewegungen zu erlernen. Motiviert ist sie trotzdem. Seitdem ihr Schäferhund tot ist, fühlt sie sich nicht mehr sicher auf der Straße. Sie hat lange nach einem Selbstverteidigungskurs für Senioren gesucht; bis sie in der Regionalzeitung eine kleine Notiz vom "Treff gesunde Nachbarschaft" der Paritätischen Dienste Bremen gefunden hat.
Helmke-Heemann, Weiß: "Der Kursus ist für mich super, aber es reicht mir nicht. Und ich freu mich schon auf den nächsten Kursus, weil ich das gern noch mehr festigen möchte. Denn je mehr wir das üben, desto besser werden wir ja. Und sicherer. Und umsichtiger. Und aufmerksamer. Ne, bist Du auch der Meinung? / Jetzt bin ich fit, jetzt kann jeder kommen."
Regelmäßiges Training und viele Wiederholungen helfen, das Gelernte zu automatisieren. Und wer weiß, dass er sich im Notfall selbst verteidigen kann, tritt schon von vornherein viel sicherer auf. So werden alte Menschen weniger interessant für potenzielle Täter, zum Beispiel Handtaschenräuber. Die Polizei sieht die Selbstverteidigungskurse von Olaf Hünnekens trotzdem kritisch. Sie befürchtet, dass die Rentner sich überschätzen und mit potenziellen Tätern anlegen. Dabei gewinnen eigentlich immer die Angreifer.
Weiß: "Oh, ich könnt' den ganzen Tag so weiter machen. Ich muss nur genug Opfer haben."
Inzwischen hält Rudi einen Spazierstock in der Hand, Annegret ebenfalls. Genau wie vorher macht Rudi eine Kreisbewegung auf Annegrets Arms zu. Aber mit dem "Kraftverstärker", das kann ein Spazierstock, ein Regenschirm oder eine zusammengerollte Zeitung sein, haben die Senioren eine größere Reichweite, um ihre Gegner abzuwehren.
Hünnekens: "Ihr habt´s gleich geschafft!"
Olaf Hünnekens ist zufrieden mit seinen Senioren. Den "Kreis", das heutige Kursthema, haben alle gut verstanden. Die Stimmung ist locker, die Rentner sind es auch – eine erwünschte Nebenwirkung sozusagen. Denn neben allem anderen ist der Selbstverteidigungskurs auch ein Angebot für ältere Menschen, in Gesellschaft aktiv zu sein.
Hünnekens: "Ich bedanke mich wieder recht herzlich wieder für Eure Aufmerksamkeit, recht herzlich für Euer Engagement."
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