Alte Traditionen in der Neuen Welt

28.07.2009
In seinem Romandebüt schreibt der äthiopisch-amerikanische Schriftsteller Dinaw Mengestu über die kulturelle Zerrissenheit, unter der afrikanische Flüchtlinge in den USA leiden. Seine Figuren haben ihre Heimat verloren - und sind nach der Flucht nirgendwo richtig angekommen.
Dinaw Mengestu ist hauptsächlich in den Suburbs von Chicago aufgewachsen, nachdem seine Familie 1980, zwei Jahre nach seiner Geburt, aus Äthiopien in die USA geflohen war. Der Vater hatte zuvor schon die äthiopische Hauptstadt Addis Abeba verlassen müssen - auf der Flucht vor dem Terror der sozialistischen Revolution. Nach einem Literaturstudium veröffentlichte Mengestu Kurzgeschichten, unter anderem berichtete er 2007 über die Situation in Darfur. Im selben Jahr ist sein vielfach ausgezeichnetes Romandebüt "Zum Wiedersehen der Sterne" erschienen.

Die New York Times Book Review bezeichnete das Debüt als "einen großen afrikanischen Roman, einen großen Washington-Roman und einen großen amerikanischen Roman". Vor allem erkundet dieser Roman städtische Verhältnisse aus einem Blickwinkel, der nicht der Selbstwahrnehmung der Mehrheitsgesellschaft entspricht und dabei doch die Erfahrung so vieler Menschen thematisiert.

Drei afrikanische Flüchtlinge stehen im Mittelpunkt: Joseph aus dem Kongo, Kellner und lange mit dem ultimativen Gedicht über sein Land beschäftigt, der Ingenieur Ken aus Kenia und der äthiopische Ich-Erzähler Sepha Stephanos. Männer Mitte 30, die trotz aller Unterschiede den Verlust der Heimat teilen, ebenso wie emotionale Bedürftigkeit und vergebliche Träume.

Sie nennen sich "Kinder der Revolution", aber ohne jedes Aufbruchspathos. Sie sind Überlebende der nicht endenden afrikanischen Putsche und Gewaltverhältnisse, die sie sich in einem sarkastisch-makabren Spiel regelmäßig vor Augen rufen. Wie ein Abwehrzauber wirkt diese Vergegenwärtigung, um nicht über persönliche Erlebnisse sprechen zu müssen, über Schmerz und Enttäuschung und wie eine Bestätigung, dass alle drei mit gutem Grund in den USA leben.

Sie haben sich in einem "Dazwischen" eingerichtet. So hält Sepha etwa deutlich Distanz zur äthiopischen Gemeinde in den großen Wohnblocks, wo der Onkel wohnt, zu ihrem Abgrenzungsbedürfnis von den Amerikanern und dem Festhalten an eigenen Traditionen und Überzeugungen.

In Rückblenden und Erinnerungen erfahren wir das Drama hinter Sephas Flucht 1977. Auch nach 17 Jahren in den USA schwankt er in einem immer prekärer werdenden Alltag zwischen Überlebenswillen und Resignation. Er führt einen kleinen Laden am Logan Circle, einem maroden Schwarzenviertel im Übergang zur begehrten Wohngegend. Der Verdrängungsprozess bringt auch Judith, eine weiße Professorin mit ihrer Tochter Naomi, in die Nachbarschaft - und mit der Beziehung zu Kind und Mutter eine kurzzeitige Ahnung von Nähe, von Familie, von Liebe.

Mengestu ist weder Nostalgiker noch feiert er exotische Buntheit. Für seine Schilderungen von Einsamkeit, Unsichtbarkeit in der neuen Umgebung, Distanz zu den Menschen und großer Müdigkeit angesichts eines fast aussichtslosen Überlebenskampfes, findet er einen besonderen Ton, eine Mischung aus melancholischer Zurückhaltung und unterschwellig-lakonischem Humor. Sein feines Gespür für Topografien und die Besetzung des Raumes zeigt der Autor in der Art, wie Spepha die Stadt durchmisst und liest. Außerdem hat Mengestu ein unbestechliches Ohr für die feinen Zwischentöne in den Dialogen und Redeweisen unterschiedlicher Personen.

Mit erstaunlicher Leichtigkeit verbindet er in seinem Debütroman Vergangenheit und Gegenwart und zeichnet ohne Sentimentalität Strategien des Ankommens: genaue Beobachtung, die den Glanz des Unscheinbaren ebenso einfängt wie eigene Ambivalenzen, Erinnerung an die Gründe der Emigration, Trauer und immer wieder die besonderen Kraftfelder: Freundschaft und Literatur.

Besprochen von Barbara Wahlster

Dinaw Mengestu: Zum Wiedersehen der Sterne
Aus dem Amerikanischen von Volker Oldenburg
Claasen/Ullstein, Berlin 2009
251 Seiten, 19,90 Euro