Alte Festlichkeit und neue Kargheit

Von Georg Magirius · 03.04.2010
"Jesus Brot, Jesus Wein – vor dem Tod Leben wird sein. Dank für Brot, dank für Wein." Viele kennen dieses Lied – aber nur wenige den Texter. Doch Friedrich Karl Barth ist fast immer dabei, wenn im Protestantismus gesungen wird – nicht nur auf Kirchentagen, sondern auch in vielen Gottesdiensten.
CD Meine Lieder Peter Janssens, CD 1074, LC 4679 Track 5 Komm, bau ein Haus Text: Friedrich Karl Barth, Peter Horst – Musik Peter Janssens, peter janssens musik verlag 48291 Telgte, von 1994.

"Komm, bau ein Haus,
das uns beschützt,
pflanz einen Baum,
der Schatten wirft,
und beschreibe den Himmel,
der uns blüht,
und beschreibe den Himmel,
der uns blüht."


Heiter, spielerisch und kindlich visionär – so klingt die Glaubenssprache Friedrich Karl Barths. Der in Bad Wildungen bei Kassel lebende Pfarrer und Dichter hat seit mehr als 40 Jahren Lieder wie diese gedichtet – oft zusammen mit seinem Freund Peter Horst, vertont von Peter Janssens, die beide inzwischen verstorben sind.

Die Lieder aber sind in Gesangbücher und das Gedächtnis unzähliger Menschen eingegangen. Oft sind sie zuerst auf Kirchentagen gesungen worden, sie sind auf frische Weise klassisch geworden und wirken wie die Kirchentagsbewegung insgesamt: Unbeschwert und festlich. Barths Worte wirken federleicht, können beflügeln und übergehen dennoch nicht die Schattenseiten des Lebens.

CD Unkraut leben/ Wann kommt der Tag, Musik: Peter Janssens, CD 1026.3 LC 4679 Track 4 Ich bin verloren Text: Friedrich Karl Barth, peter janssens musik verlag 48291 Telgte, Pietbiet 1997 (ursprünglich aus: Lieder zum Kirchentag in Berlin 1977).

"Ich bin verloren
im Augenblick,
einsamer kleiner Vogel
auf einem großen Dach."


Friedrich Karl Barth:

"Das war kurz vor meinem Schlaganfall, da fühlte ich mich ganz beschissen. Und ich habe dieses beschissene Gefühl in dieses Lied gebracht: Ich bin ein kleiner Vogel, einsam auf dem Dach – der saß so auf einem Dach wie hier eins ist, drüben – so ein kleiner Vogel in einem gewittrigen Nachmittag. Und da habe ich gesagt: Ich will entkommen, wünsch' mir große Flügel und einen weiten Tag."

"Ich wünsch' mir große Flügel,
im Augenblick
will ich entkommen,
wie eine schwarze Nacht
fühl' ich das ganze Elend,
im Augenblick
bin ich verloren."


Dem Dunklen und Schweren entkommen – das ist der Impuls, weshalb Friedrich Karl Barth 1958 Theologie zu studieren beginnt. "Die aus dem Krieg kommende Vätergeneration war theologisch sprachlos", sagt er. Allenfalls Phrasendrusch habe in den Kirchen geherrscht. Nach seinem Studium in Bethel, Tübingen und Marburg wird Barth Vikar in Kassel, dann Pfarrer im hessischen Bad Hersfeld. 1971 schließlich – mit 32 Jahren – wird er Leiter der neu gegründeten Beratungsstelle für Gottesdienst in Frankfurt. Eine gute Schule für seine Suche nach einer Glaubenssprache, die Menschen heute erreicht, war vor allem der erste Studienort Bethel. Der Theologiestudent hört nämlich nicht nur Vorlesungen, sondern arbeitet auch in den von Bodelschwinghschen Anstalten, wo geistig Behinderte leben.

"Dann hatten wir die harte Wirklichkeit der Kranken in Bethel. Und am Wochenende musste gepflegt werden. Und später musste ich meinen Freund pflegen beziehungsweise damit fertig werden, dass der eben schwer krank war. Damit bin ich nicht fertig geworden – bis heute nicht. Aber die Fragestellung ist immer geblieben: Wie macht man das mit dem Glauben? Und irgendwann bin ich auf die Sprache gekommen."

CD: Damit die Erde Heimat werde/ Wir fassen uns ein Herz, Musik: Peter Janssens, CD 1060.3 LC 4679 Track 20 Hüte dich arme Seele Text: Friedrich Karl Barth, Peter Horst, peter jannsens musik verlag 48291 Telgte, Pietbiet 1997 (ursprügnlich aus: Lieder zum Kirchentag Düsseldorf 1985)

"Hüte dich arme Seele,
dass dein Spiegel nicht birst,
dass dein Wasser nicht kippt,
dass deine Tiefe nicht stirbt."


Der Tod des besten Freundes Roderich kurz nach dem Studium hinterlässt in der Seele des angehenden Pfarrers eine tiefe Spur. Sie scheint aber auch zur Brücke zu werden, über die seine Worte anderen nahe kommen. Sie berühren, bewegen – und bringen Menschen in Bewegung, im konkreten Sinn des Wortes. Als Leiter der Frankfurter Beratungsstelle für Gottesdienst war Barth 1973 mit verantwortlich an einem großen Aufbruch des Kirchentags, der damals einen Vortrags-, Papier- und Resolutionencharakter hatte.

"Der Düsseldorfer Kirchentag war ja ein ziemlich kleiner Kirchentag. Es waren noch ganze 7000 Leute, das muss man sich vorstellen, das hatten wir anschließend in unseren Veranstaltungen unten weg, der Kirchentag in Düsseldorf war sozusagen die Krise. Entweder es ist geglückt, ihn hinüber zu heben in die Ebene des gefeierten Lebens - oder er wäre an sich selber kaputt gegangen als das besprochene Leben."

Barth konzipiert mit anderen zusammen die Liturgische Nacht, jenen Meilenstein, dessen festlicher Charakter den Kirchentag bis heute prägt. 4000, also mehr als die Hälfte der Dauerteilnehmer, kamen in Düsseldorf zu dem fünfstündigen nächtlichen Fest. Neue Lieder wurden gesungen, es wurde gemalt und getanzt – und es gab ein feierliches Mahl. Die Liturgische Nacht in Düsseldorf war auch der Anfang einer langen Zusammenarbeit des katholischen Musikers Peter Janssens mit dem evangelischen Liederdichter Barth. Sie traten nicht – wie man das heute vielleicht sagen würde – in einen interkonfessionellen Diskurs, nein, es war viel einfacher: Beide verband die Musikalität des Glaubens.

"Und da ist es vollkommen egal, ob jemand katholisch ist oder evangelisch ist. Ökumene heißt doch eigentlich, dass wir alle miteinander Menschen sind mit gleichen Problemen. Mit gleichen Sorgen, mit gleiche Hoffnungen, mit gleichen Wünschen, vergleichbaren Wünschen – und dass wir in Liedern Wege haben, die man begehen kann, die Traurigkeiten stillen können, die Fröhlichkeiten, Hoffnungen stillen können, die das alles aber auch bewegen oder auslösen können. Das ist eine ökumenische Angelegenheit und eine Kirche, die darauf meint verzichten zu können, die können wir ruhig vergessen."

CD: Meine Lieder Peter Janssens, CD 1074, LC 4679 Track 14 Brich mit den Hungrigen dein Brot Text: FK Barth/Peter Horst, Musik Peter Janssens, peter jannsens musik verlag 48291 Telgte, von 1994

"Brich mit den Hungrigen dein Brot
Sprich mit den Sprachlosen ein Wort
Sing mit den Traurigen ein Lied,
teil mit dein Einsamen dein Haus.

Such mit den Fertigen ein Ziel,
brich mit den Hungrigen dein Brot,
sprich mit den Sprachlosen ein Wort,
sing mit den Traurigen ein Lied."


Barths Verse klingen manchmal wie eine Litanei, wie Kinderverse oder Abzählreime. Sie sind einfach, ohne banal zu sein – denn immer ist da auch ein Widerhaken, der zum Denken reizt. Sie sind merkwürdig und prägen sich rasch ein. Heute verfolgt der 72-Jährige die Kirchentagsbewegung eher aus der Distanz. Vielleicht ist es gerade dieser Abstand, der ihn mit geschärftem Blick auf den anstehenden Ökumenischen Kirchentag in München schauen lässt. Barth geht es nicht darum, dass von ihm einst geprägte Formen bestehen bleiben. Wichtig ist ihm aber das, weshalb er sich einst selber an die Arbeit machte: Eine Sprache, die Menschen heute tröstet und berührt.

"Inzwischen würde ich dazu raten, eine große Strenge in allem, was geschieht, walten zu lassen. Und auch eine Kargheit. Entschuldigung – diese Buttonsucht, diese Fähnchensucht oder dieser Schwachsinn , wieder mit einem Tüchlein zu winken. Es war schon was, als die Frauen das erste Mal in Hannover diese Tücher umgebunden haben, es war schon was, aber es wird doch nicht dadurch besser, dass man das ununterbrochen wiederholt. Von meinen Kindern und Enkeln erwarte ich, dass sie ihren eigenen Kopf so anstrengen, wie wir das damals gemacht haben, um ihre eigenen Symbole zu entdecken, ihre eigenen Spielräume zu entdecken, vor allen Dinge ihre eigene Sprache."