"Also ich gehe von Wochen aus"

Hamadi El-Aouni im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 18.03.2011
Der tunesische Politikwissenschaftler Hamadi El-Aouni glaubt, dass durch die Flugverbotszone in Libyen die Ära Gaddafis schrittweise beendet wird. Das hätten die ersten libyschen Reaktionen auf die UN-Resolution gezeigt.
Jan-Christoph Kitzler: Ist diese Entscheidung nun gut oder kommt sie zu spät oder zieht sie die westliche Welt ohne Not in einen militärischen Konflikt? Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat sich in New York nach langen Wochen des Herumeierns – so muss man es wohl sagen – jetzt doch noch für eine Flugverbotszone über Libyen ausgesprochen. Dabei waren die Aufständischen gegen das Regime von Muammar al-Gaddafi schon fast am Ende. Gaddafis Truppen gehen bis zur Stunde mit großer Härte gegen sie vor, vor allem mit Luftangriffen.

Die Frage ist, was jetzt kommt, nach der Einigung über das Flugverbot, und wer das durchsetzt. Das will ich besprechen mit dem Politikwissenschaftler Hamadi El-Aouni, der in Berlin lebt und an der Freien Universität lehrt. Guten Morgen!

Hamadi El-Aouni: Guten Morgen!

Kitzler: Sind Sie denn erleichtert, dass jetzt doch noch die Entscheidung für die Flugverbotszone gefallen ist?

El-Aouni: Also auf jeden Fall, weil Gaddafi gestern damit gedroht hat, Bengasi mit der Luftwaffe anzugreifen, und von Haus zu Haus die Aufständischen zu verfolgen.

Kitzler: Die Frage ist ja: Kommt diese Einigung jetzt nicht viel zu spät? Also die Aufständischen wurden ja schon sehr, sehr weit zurückgedrängt, es gab große Opfer.

El-Aouni: Also spät ist sie, aber zu spät mit Sicherheit nicht, weil seit der Veröffentlichung des Kommuniqués und der Zustimmung des UN-Sicherheitsrats hat Gaddafi beziehungsweise seine Stellvertreter, sein stellvertretender Außenminister den Ton völlig geändert und spricht sogar von Zusammenarbeit mit dem UN-Sicherheitsrat in dieser Hinsicht.

Kitzler: Was halten Sie denn von diesen Aussagen? Ist es wahrscheinlich, dass das Gaddafi-Regime jetzt einlenkt, oder werden im Hintergrund weiter Fakten geschaffen?

El-Aouni: Also ich glaube nicht, also Gaddafi wird wahrscheinlich hin und her versuchen, sich zu befreien, aber ich glaube, dass die Ära Gaddafis hierdurch schrittweise beendet wird.

Kitzler: Die Frage ist ja, wer diese Flugverbotszone jetzt durchsetzt. Sind Sie da optimistisch, dass auch zum Beispiel US-amerikanische Flugzeuge da jetzt eingreifen?

El-Aouni: Also es hat sich schon zusammengesetzt, also die Staaten, die diese Maßnahme in Kraft gesetzt würden, haben schon gestern miteinander gesprochen, das sind die USA, Frankreich, Großbritannien, Kanada. Die Italiener haben ihre Luftwaffe zur Verfügung gestellt, und es soll von, es ist von zwei arabischen Staaten die Rede, die womöglich finanziell diese Sache, also zu dieser Sache beitragen würden.

Kitzler: Sie haben es schon angedeutet, aber warum ist denn diese Entscheidung jetzt Ihrer Meinung nach der Anfang vom Ende des Gaddafi-Regimes?

El-Aouni: Weil Gaddafi, wenn diese Maßnahmen in Kraft gesetzt werden, also sich nicht mehr bewegen würde. Also das heißt, er wird nicht nur die Aufständischen nicht mehr zerstörerisch angreifen können, sondern er wird sich finanziell nicht mehr bewegen, er wird keine Mittel mehr zur Verfügung haben, er wird nur mit Zustimmung des UN-Sicherheitsrats politisch aktiv werden et cetera. Also er weiß es auch seit gestern, und ich glaube, symptomatisch war gestern die Reaktion also Gaddafis nicht direkt, sondern mittelbar:

Sofort nach der Entscheidung des UN-Sicherheitsrats meldete sich der stellvertretende Außenminister Khaled Kaim und sagte, dass diese Resolution ein Angriff gegen das Menschenrecht sei. Eine Stunde später meldet sich derselbe stellvertretende Außenminister und sagt: Libyen ist damit einverstanden, wir akzeptieren den sofortigen Waffenstillstand, wir werden zusammenarbeiten, wir fordern den UN-Sicherheitsrat auf, eine Untersuchungskommission nach Libyen zu schicken et cetera, et cetera.

Kitzler: Die Frage ist jetzt natürlich: Welche Zukunft hat Libyen überhaupt? Zurzeit scheint ja weder das Regime von Gaddafi, noch scheinen die Oppositionellen in der Lage zu sein, das Land irgendwie zu kontrollieren.

El-Aouni: Also die Opposition wird sich schon zusammensetzen. Der provisorische Nationalrat hat schon, also beinhaltet, mehrere politische Schattierungen, Orientierungen Libyens. Und ich glaube schon, dass nach der Ära Gaddafi die Aufständischen womöglich ihre Plattform vergrößern werden und die Verantwortung in Libyen übernehmen würden.

Kitzler: Verantwortung müssen sie übernehmen, aber Verantwortung muss ja vielleicht auch der Westen übernehmen. Was ist die Rolle, die der Westen jetzt einnehmen muss in dieser Situation?

El-Aouni: Also ich glaube, der Westen wird einfach nur Gaddafi daran hindern, die Aufständischen anzugreifen. Der Westen wird darauf achten, dass diese Strafmaßnahmen auch respektiert werden. Der Westen wird ebenso die Gelder Libyens den Aufständischen zur Verfügung stellen et cetera. Das sind schon riesige Maßnahmen. Nur, es gibt durchaus Schwierigkeiten. Schwierigkeit Nr. 1: Welche Länder werden immer diese Maßnahmen durchsetzen? Und b): Was wird dann passieren, wenn Gaddafi trotzdem dagegen reagiert oder dagegen was tut? Und da könnte sich die Lage etwas verkomplizieren.

Kitzler: Die Frage ist natürlich auch, wie lange sich Gaddafi, dieser Abgang von Gaddafi noch hinzieht. Wie groß ist denn die Gefahr, dass der Westen jetzt dauerhaft da in einen militärischen Konflikt gezogen wird?

El-Aouni: Also ich glaube es ehrlich gesagt nicht. Es gibt zwar gewisse Risiken, dass der Westen, dass Gaddafi bewusst den Westen provozieren würde, aber seine gestrige Reaktion, glaube ich, geht eher in die entgegengesetzte Richtung, sodass er sich damit abfinden wird.

Kitzler: Der UN-Beschluss sieht ja Luftangriffe oder Luftkontrollen der Flugverbotszone vor, aber nicht den Einsatz von Bodentruppen. Ist das nicht eine große Schwächung dieses Mandats?

El-Aouni: Oh doch, also die UNO-Resolution sieht vor, dass die Zivilisten nicht angegriffen werden, also das heißt, das öffnet Tür und Tor, Gaddafis Armee anzugreifen, wenn diese sich in Richtung Bengasi oder andere Zivilbevölkerungen bewegen würde.

Kitzler: Wagen Sie eine Prognose, wann sozusagen die Lage in Libyen sich beruhigt?

El-Aouni: Also ich gehe von Wochen aus.

Kitzler: Das sagt der Politikwissenschaftler Hamadi El-Aouni, er lehrt unter anderem an der Freien Universität in Berlin. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch!

El-Aouni: Gern geschehen!

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