Als wäre man im Himmel

Von Maria Riederer · 23.04.2011
Es ist ein Werk der Superlative und auch ein wenig geheimnisumwoben: die Oper "Licht" von Karlheinz Stockhausen, einem der wichtigsten Komponisten der modernen klassischer Musik. Im Staatenhaus der Kölner Oper wurde ihr siebter Teil uraufgeführt.
Die Zuschauer sitzen in Liegestühlen in einem völlig runden, weiß ausgekleideten Raum, der Blick ist schräg an die Decke und die Wände gerichtet, an denen Lichtbilder von Planeten und technischen Instrumenten kreisen. Auch die Töne kreisen durch den Raum, Sänger und Instrumentalisten tragen weiße Raumanzüge und bewegen sich, gehend oder auf mechanischen Fahrgestellen, zwischen den Zuschauern hindurch. Eine Fagottistin der Kölner Musikfabrik erklärt Stockhausens Intention hinter diesem Szenario.

Eine Fagottistin: "Wir gehören alle zum Kosmos dazu, das ist ein bisschen die Idee, wir sind alle wie Moleküle in einem Ensemble. Und diese Anzüge, die ein bisschen an die ersten Menschen auf dem Mond erinnern, beziehen sich auf diese Botschaft."

Thomas Ulrich: "In der ersten Szene mit der Sphärenharmonie, da stehen die Musiker im Publikum verteilt und bilden mit ihren Melodien, die von Instrument zu Instrument wandern, die Bewegung der Planeten ab."

Thomas Ulrich ist Theologe und Gastdramaturg an der Kölner Oper.

"Das ist ein altes, antikes Thema, diese Vorstellung, die Sterne, die Planeten bewegen sich auf vorgegebenen Bahnen und Tönen, und dieser Klang, der da entsteht, ist die kosmische Ordnung, die sich da als Musik manifestiert, es ist eine unhörbare Ordnung, die dann durch die musikalischen Instrumente und die Stimmen zu Musik wird. Und der Sonntag beginnt mit diesem Motiv, dass die Planeten, dass unser Sonnensystem klingt zu Ehre Gottes."

Stockhausen hat den "Sonntag aus Licht" in fünf Stücke geteilt. Nach der Sternenmusik kommt ein Engelschor, der in sieben Sprachen singt. Der dritte Teil beschwört die materielle und geistige Schöpfung Gottes, dann folgt ein Rückblick auf die Wochentage, verkörpert durch Sänger, durch Düfte, Farben und die Elemente. Im letzten Stück – "Hoch-Zeiten" – vollzieht sich die mystische Vereinigung zwischen dem männlichen und weiblichen Element als Abbild für die Verbindung Gottes zu den Menschen. Mittendrin Eva und Michael, die Protagonisten des Sonntags.

Thomas Ulrich: "Die verkörpern sozusagen kosmische Kräfte oder kosmische Energien, die in jedem Menschen auch präsent sind, also psychologisch könnte man sagen, es sind so Teilpersönlichkeiten jedes Menschen, und diese Kräfte sind deswegen auch keine Opernpersonen im konventionellen Sinne, sondern sie sind eben übergreifende Energien und Schwingungen, wie Stockhausen sagt, und Musik selber ist ja eine Schwingungskunst und insofern treten diese Personen vor allem und zunächst einmal als Melodien auf bei Stockhausen."

Von der Kölner Inszenierung kann man getrost behaupten: Das Auge hört mit. Die komplizierten sphärischen Harmonien in Stockhausens Oper werden von der katalanischen Gruppe La Fura dels Baus mit viel Spektakel auf die Erde geholt. Mit Tänzern und Lichtbildern in 3D-Technik, mit Farben, Düften, Feuer und Wasser feiert die Truppe ein Hochamt der Sinne.

Thomas Ulrich: "Ich meine, der Sonntag hat auch etwas sehr oratorisches, aber ich finde es gerade auch eine Stärke dieser Produktion in Köln, dass von der Tradition des Regieteams aus Barcelona her das dann in ein Aktionstheater sich verwandelt. Es kommt dem Werk doch auf jeden Fall zugute und ist auch keine fremde Zutat, denn Stockhausen selber war ja ein sehr fantasievoller Mensch, der alle möglichen Verrücktheiten sich auch ausgedacht hat und das auch bewusst gepflegt und herausgestellt hat und ich denke, ihm würde es auch gefallen."

Karlheinz Stockhausen wurde 1928 ist im katholischen Rheinland geboren. Dort entstand auch seine tiefe Verbindung mit Michael, einer Engelsfigur im Altenberger Dom. Bis Michael zu einer kosmisch-musikalischen Idee wurde, hatte der Komponist seinen Kinderglauben längst hinter sich gelassen – und blieb doch ein gläubiger Mensch.

Thomas Ulrich: "Ich denke, mit Stockhausens Religiosität ist es so wie mit jeder lebendigen Religiosität, sie orientiert sich nicht an vorgefertigten Dogmen, die man dann einfach glauben muss, sondern sie ist ein Ergebnis seiner Lebensgeschichte, die ihn in alle Welt geführt hat - nicht nur so besuchsweise sondern auch für längere Zeiten, wo er sich beschäftigt hat mit den Religionen der Welt, und das hat alles Spuren hinterlassen in seinem Denken und in seinem Glauben. Aber er hat immer wieder, gerade auch in den letzten Jahren, immer wieder gesagt, dass Christus doch das religiöse, Zentralgestirn, wie er sich ausdrückt, ist, also das ist das religiöse Genie sozusagen (lacht), dem er sich auch verpflichtet fühlt."

Als Stockhausen in den 70er-Jahren begann, den Licht-Zyklus zu schreiben, stieß er mit seinen Gedanken auf Unverständnis. In einer Podiumsdiskussion der Bonner evangelischen Akademie zum Thema "Was hat die Religion in der Kölner Oper zu suchen?" erinnert sich Stockhausens langjährige Mitarbeiterin Suzanne Stephens an diese Zeit:

Suzanne Stephens: "Das fing an mit Michaels Jugend und dann Donnerstag aus Licht, das war die erste Oper, wo nur auf Nebensächlichkeit, überhaupt nicht über die Musik gesprochen wurde, sondern über Stockhausens Spiritualität, über Stockhausens Privatmythologie, was überhaupt nicht privat ist sondern wirklich grundiert war auf alle Religionen der Welt."

Der Vorwurf einer synkretischen Privatmythologie entstand durch die Vielzahl an Quellen, die Stockhausen zitierte, wenn er über die Inhalte seiner Werke sprach: Vom Christentum über die Opferkulturen der Azteken bis zum Urantia-Buch, das von sich beansprucht, Einblicke in die Geheimnisse von Zeit und Raum zu geben, und die letzte Offenbarung des Göttlichen an den Menschen zu sein.

Heute – keine vier Jahre nach dem Tod des Komponisten - scheint die Öffentlichkeit mit den Gedanken im "Sonntag aus Licht" wesentlich gelassener umzugehen. Die Kölner Operndirektorin Birgit Meyer führt das auf die Wirkung der Musik zurück.

Suzanne Stephens: "Ich glaube, dass Herr Stockhausen nicht die Menschen bekehren wollte, sondern er hat seine eigenen Überzeugungen zum Ausdruck gebracht und sich selber dazu bekannt. Die Musik hat eine ganz große Authentizität, da kommt so 'ne tiefe Überzeugung raus, und das ist Stockhausen gelungen in seiner Musik, seine Überzeugung, seine Religion, das ist ihm gelungen, das in Schwingungen zu übersetzen und die sind angekommen.

Werk und Inhalt zu trennen, finde ich nicht möglich. Musik – auch wenn keine Worte da sind – ist eine Kraft, wie Herr Stockhausen immer sagte "ein schnelles Raumschiff zum Göttlichen". Deswegen allein durch die Schwingungen wissen wir. dass man eben spürt in der Luft – ob man gläubig war oder nicht – man spürte was Besonderes."

Welche Assoziationen diese Schwingungen bei den Opernbesuchern hervorrufen und ob die Musik für alle das berühmte "Flugschiff zum Göttlichen" ist, empfinden die Zuschauer auf ganz unterschiedliche Weise.

Ein Zuschauer: "Die Düfte, die erinnerten schon an eine katholische Kirche, also es roch schon bisschen so nach Weihrauch oder. Ich könnte jetzt nicht eindeutig sagen, was weiter im Vordergrund steht, das spektakuläre oder das religiöse Moment.

Wir sind auf 'ner Waldorfschule und da hat es mich so bisschen dran erinnert, auch das Anthroposophische ist ja manchmal in diese Richtung, mit Wochentagen und Zuordnung von Düften und Farben und allem, daran hat es mich bisschen erinnert. Ich finde das interessant, wenn man so versucht, auf so vielseitige Weise darzustellen, wie es Menschen geht und wie sie sich fühlen und am Schluss auch Spiritualität und Religiosität so zu verkörpern - also, ich find's gut."