Alpine Peace Crossing

Wandern auf dem Flüchtlingspfad

Eine Ansprache in den Bergen
Eine Ansprache während der Wanderung, die an das Leid der jüdischen Flüchtlinge erinnern soll. © Sonja Bettel
Von Sonja Bettel · 07.07.2014
Nach dem Zweiten Weltkrieg irrten viele Menschen, die alles verloren hatten, durch Europa. Im Gedenken an jüdische Flüchtlinge von damals gehen österreichische Bürger und Asylbewerber aus verschiedenen Nationen den alten Weg gemeinsam ab. So wollen sie auch auf die hinweisen, die zurzeit ihre Heimat verlassen müssen.
Kurz vor 6 Uhr früh geht es los. Der Himmel ist grau, es sieht nach Regen aus. Vor dem Gemeindeamt in Krimml steigen 128 Friedenswanderer in Kleinbusse, die zum Krimmler Tauernhaus fahren werden. Auch ein Dutzend Asylwerber ist beim Alpine Peace Crossing dabei, denn die Wanderung soll nicht nur an die Flucht von 5000 Juden erinnern, sondern auch auf die schwierige Situation von Flüchtlingen heute aufmerksam machen.
Im Tauernhaus hängen in der Gaststube Fotos aus dem Jahr 1947. Man sieht die jüdischen Flüchtlinge beim Marsch, etwa 200 Personen pro Tour. Und die Tauernhaus-Wirtin Liesl Geisler beim Verteilen von Tee und Eintopf an die Hungrigen.
Kurz nach 7 Uhr marschieren die 128 Wanderer als lange, bunte Schlange los, beäugt von neugierigen Kühen auf der Weide. Eineinhalb Kilometer geht es an der Krimmler Ache entlang, dann in Serpentinen auf die nächste Almfläche.
Ein 101-Jähriger wandert mit
Bei der Sennerhütte der Windbachalm wartet Marko Feingold, er wurde mit dem Auto hochgebracht. Trotz seines Alters von 101 Jahren steht er in grauer Cordhose und Strickjacke aufrecht da, korrekt gestutzter Schnauzbart, Schirmkappe. Er hat 1947 für die jüdische Fluchthilfe Bricha die Trecks über den Krimmler Tauern organisiert. Durch seine Sonnenbrille schaut er sich die Friedenswanderer in ihren bunten Outdoorjacken an und erinnert sich, wie schlecht die Flüchtlinge vor 67 Jahren ausgestattet waren.
"Alte Fetzen, kein Schuhwerk kein richtiges, für's Gebirge auf keinen Fall. Die Situation war schrecklich. Unterernährt, körperschwach. Und trotzdem haben sie den Weg geschafft."
Österreichische Bürger und Asylbewerber aus verschiedenen Nationen wandern gemeinsam.
Österreichische Bürger und Asylbewerber aus verschiedenen Nationen wandern gemeinsam.© Sonja Bettel
Palästina war ihr Ziel, und Marko Feingold war nicht der einzige Helfer auf der langen Strecke. Das alles wäre fast in Vergessenheit geraten, hätte nicht Ernst Löschner vor elf Jahren bei einer Bergtour von dem Weg der Flüchtlinge gehört. Der 71-jährige Österreicher ist ebenfalls mit dem Auto auf die Alm gekommen und begrüßt die Friedenswanderer. Mitgehen kann er heuer nicht, er hat sich eine Zehe gebrochen. Dabei hatte er 2004 die Idee zu der Wanderung.
"Ich hatte mich sehr viel mit Zeitgeschichte beschäftigt, bin in dieser Gegend aufgewachsen, hatte nie was davon gehört."
Ernst Löschner erfuhr von den Nachkommen der Tauernhaus-Wirtin und einer Historikerin von der Flucht der Juden über den Krimmler Tauern.
"Und so habe ich dann beschlossen, das erste Alpine Peace Crossing zu veranstalten und Schritt für Schritt diesen Weg zu gehen, diese Menschen zu ehren, die damals diesen Weg gegangen sind, aber gleichzeitig diesen Friedensweg den Flüchtlingen heute zu widmen."
Deshalb hat Ernst Löschner Flüchtlinge, die seit Jahren in Österreich auf ihren Asylbescheid warten und nicht arbeiten dürfen, zur Wanderung eingeladen.
"Ich begrüße euch alle ganz herzlich, und ich möchte heute euch auch auf Tschetschenisch begrüßen."
Flüchtlinge aus Nigeria, Afghanistan und Gambia
Auf der Wiese wird eine kleine Lautsprecheranlage aufgestellt, damit sie von ihren Schicksalen erzählen können.
"Mein Name ist Immanuel Akbas, ich komme aus Biafra, es ist ein Ort in Nigeria. Ich lebe seit fast 13 Jahren in Österreich und ich hab noch kein Asyl bekommen."
"Ich heiße Faes, ich komme aus Afghanistan. Ich habe meine Familie seit drei Jahren verloren. Ich weiß nicht, wo sind meine Kinder, und deswegen ist alles schwierig für mich."
"Mein Name ist David, ich komme aus Gambia. Und vor allem wollte ich mich bei euch bedanken von Herzen, dass ihr uns so stark unterstützt"
Nach der Windbachalm wird es steiler, ein kalter Wind setzt ein. Auf 2.200 Metern Seehöhe liegen die ersten Schneeflecken. Die Schlange der Wanderer wird länger und reißt auseinander. Die hintere Gruppe stöhnt über das Tempo der Vorderen, obwohl sie im Gegensatz zu den jüdischen Flüchtlingen damals gute Bergschuhe tragen.
1011 Höhenmeter Anstieg
Endlich, um 12.30 Uhr: Italien! Wir stehen am Krimmler Tauern und blicken hinüber. 1011 Höhenmeter Anstieg liegen hinter uns, 1068 Meter Abstieg vor uns. Hier müssen sich die Asylwerber verabschieden, sie dürfen Österreich nicht verlassen und gehen zurück.
Es regnet, es ist kalt, wir haben Hunger. Erich Czerny, der Bürgermeister von Krimml, ist einer der Teilnehmer. Er findet es ganz gut, dass die Wanderung nicht so gemütlich ist.
"Zu den Zeiten wo die unterwegs gewesen sind, ist sicher auch Schnee gewesen. Und ich meine, sie haben sicher ganz schlechte Kleidung gehabt und waren auch körperlich in ganz schlechter Verfassung. Und aus dem Grund tut es uns ganz gut, dass das Wetter nicht ganz so schön ist, ein wenig kalt ist und ein bisschen regnet und wir vielleicht ein bisschen mehr mitfühlen können, wie es diesen Menschen damals gegangen ist."
Eine Stunde später sind wir in Südtirol. Zwischen den Wolken ist blauer Himmel zu sehen. 1947 ging es für die jüdischen Flüchtlinge von hier aus per Bus und Schiff wochen- und monatelang weiter nach Palästina. Wir werden mit Bussen zurück nach Krimml gefahren.
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