Alphatiere auf der Bühne

Von Johannes Nichelmann · 01.06.2012
Der Berliner Kneipenchor tritt mehrmals pro Monat in verschiedenen Clubs auf - mit 30 Leuten zwischen 19 und 40 Jahren. Zu ihrem Repertoire gehören Songs von Grönemeyer, Lana Del Rey, Katy Perry, Alicia Keys oder der Münchner Freiheit.
Bokelberg: "Ahhhh! Hallo! Guten Abend, alle zusammen! Schön, dass Ihr so zahlreich erschienen seid. Wir sind der Berliner Kneipenchor, und wir haben Euch ein paar Lieder mitgebracht. Und wir würden uns sehr freuen, wenn Ihr alle mit uns zusammen singen würdet."

Auf einer kleinen Bühne im Berliner "Schokoladen" steht Nils Bokelberg, einst Gesicht des Musiksenders "Viva". Mit einer Flasche Bier in der Hand führt er durch das Programm des "Berliner Kneipenchors". 30 Leute, zwischen 19 und 40 Jahren, singen mit ihm und halten sich ebenfalls an irgendeinem Getränk fest. In der zweiten Reihe steht Benjamin Wild. 29 Jahre alt, schwarzes lockiges Haar, Tenor. Er macht, wie die meisten im Chor, irgendwas mit Medien. Sein Hobby, im Chor zu singen, fällt im jungen Berlin auf.

Wild: "Die sagen dann: ‚Ach! Echt? Krass! Was macht Ihr denn da?’. Und dann sag ich: ‚Na ja, wir singen so Phoenix und Katy Perry und Alicia Keys und Grönemeyer und Münchner Freiheit’ und dann sagen die: ‚Ach! Echt? Das ja geil!’. Und dann sag ich: ‚Ja, komm doch mal zum Konzert’. Und dann sagen die: ‚Ja, wo denn?’"

""Eine Stelle, an der ich singen kann, ohne das ich mich schämen muss, hat mir gefehlt."

Ein paar Stunden vor dem Konzert. Die Sängerinnen und Sänger treffen sich für den Soundcheck. Während sie sich auf der Bühne aufbauen und die Technik eingerichtet wird, schaut Mathias Hielscher aus der Entfernung zu. Er war früher Bassist in der Band "Virginia Jetzt". Gemeinsam mit Ex-Sänger Nino hat Hielscher den Chor gegründet.

Hielscher: "Die Idee kam daher, dass mein Freund Nino einen Chor gesucht hatte in Berlin, in dem er irgendwie genau neues Material singen kann. In dem es nicht zu streng zu geht und man sich vielleicht nicht in der Kirche trifft, sondern in einer lockeren Runde und da es das nicht gab, hab ich ihm vorgeschlagen, das selber zu machen und Freunden von uns eine Email zu schreiben."

Das war Anfang 2011. Seitdem trifft sich der Chor jeden Dienstag in einem Hotel in Berlin-Friedrichshain zur Probe. Hielscher selbst singt nicht mit im Chor. Er kann nicht singen. Der Veranstaltungsunternehmer kümmert sich um die Organisation. Der Name des Chors, erzählt er, kommt von den englischen Pub-Chören. Da sei es ganz normal ganz locker nach der Arbeit gemeinsam ein paar Lieder zu schmettern. Deswegen: Berliner Kneipenchor.

Hielscher: "Ich fand das schön! So eine: ‚Berliner Philharmoniker’. ‚Berliner Kneipenchor’ - das klingt irgendwie gut."

Die studierte Jazzsängerin Jana Klepers stellt sich auf einen Stuhl. Der steht vor der Bühne. Von den Scheinwerfern geblendet schauen die Chormitglieder zu ihr. Sie ist die musikalische Leiterin.

Klepers: "Ich war zuerst aktiver Sänger im Chor und dann hat sich schnell herauskristallisiert. "Ach Jana könnte doch noch mal das Einsingen machen und irgendwann hab ich dann halt angefangen zu dirigieren. Also meine Aufgabe durchzuführen ist nicht immer so leicht, bei den Leuten, die im Chor sind. Das sind wirklich Rampensäue."

Alphatiere auf der Bühne. Wer mitmachen will, erzählt Klepers, dürfe kein kleines Mäuschen sein. Ohnehin sei der Chor voll. Nur Tenöre werden gesucht, wie überall. Auf der Bühne stehen Menschen, die aussehen, als wären sie aus einem Highschoolfilm entsprungen. Alle sind hübsch, alle lächeln und versprühen einen außergewöhnlichen Charme. Seit ein paar Wochen ist Dicken Stone dabei. Der 25-jährige Brite will sein Deutsch verbessern.

Stone: "”I like 'Männer' by Herbert Grönemeyer. I heard that he was like a german institution. But I never heard it before. It was also crazy learning german I didn‘t understand. But its a realy cool arrangement.”

"Männer nehmen in den Arm. Männer geben Geborgenheit. Männer weinen heimlich. Männer brauchen viel Zärtlichkeit. Oh Männer sind so.""

Selda: "... verletzlich. Männer sind auf dieser Welt einfach unersetzlich. Und dann gibt es halt den Refrain. Den sing ich als Alt: Männer haben es schwer, nehmen es leicht. Außen hart und innen ganz weich. So."

"Wir sind eine richtige Familie. Wir kennen uns, also die Hälfte. Also ich glaube fast alle kennen sich irgendwie privat auch so irgendwie."

Selda, 35 Jahre alt, ist Schauspielerin. Sie trinkt rasch den letzten Schluck Wein aus ihrem Glas, denn von weitem deutet Dirigentin Jana Klepers - alle müssen auf die Bühne.

Mehrmals pro Monat tritt der Chor irgendwo auf. Nach dem Konzert will Mathias Hilscher der Truppe noch sagen, dass sie für ein großes Fest angefragt worden sind. Dreitausend Leute im Publikum. Soviel waren es noch nie.

Hielscher: "Es gab ein paar Anfragen für Sommerfeste von diversen Parteien. Es gibt dann auch schon mal die private Anfrage. Manche Sachen passen dann nicht so gut zu uns und dann sagen wir, wir wollen eigentlich keine, wollen nicht unbedingt für die FDP singen oder so."

Über 100 Zuhörer im "Schokoladen" hören eine Stunde lang wie gebannt zu und singen mit. Beim "Berliner Kneipenchor" sitzt nicht jeder Ton und die Begleitmusik ist vielleicht mal zu laut - aber das stört überhaupt nicht. Die Sängerinnen und Sänger legen eine großartige Show hin.


Immer mehr Menschen in Deutschland singen im Chor. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft deutscher Chorverbände (ADC) stellt Deutschlandradio Kultur jeden Freitag um 10:50 Uhr im Profil Laienchöre aus der ganzen Republik vor: Im "Chor der Woche" sollen nicht die großen, bekannten Chöre im Vordergrund stehen, sondern die Vielfalt der "normalen" Chöre in allen Teilen unseres Landes: mit Sängern und Sängerinnen jeden Alters, mit allen Variationen des Repertoires, ob geistlich oder weltlich, ob klassisch oder Pop, Gospel oder Jazz und in jeder Formation und Größe.