Alphabetisierungsdekade startet

    Wer "A" sagt, soll es auch schreiben können

    Eine weibliche Hand mit Kugelschreiber schreibt in der Volkshochschule Rostock bei einem Analphabten-Grundkurs in ein Heft.
    Analphabeten-Grundkurs an der Volkshochschule © picture alliance / Bernd Wüstneck
    28.11.2016
    Die Bundesregierung startet heute die Alphabetisierungsdekade. Zehn Jahre lang wollen Bund und Länder für bessere Lese- und Schreibfähigkeiten der Deutschen kämpfen.
    Deutschland rühmt sich seines Bildungssystems und seiner Aufstiegschancen, doch fast jeder zehnte Deutsche hat nach Hochrechnungen schon Probleme, eine Bedienungsanleitung zu lesen, und ebenso viele haben große Probleme mit dem Schreiben.
    Wissenschaftlich lautet der korrekte Begriff für diese Menschen: "funktionale Analphabeten". Sie kommen mit Buchstaben, Wörtern und einfachen Sätzen nur sehr begrenzt zurecht und haben Mühe, zusammenhängende Texte zu lesen und zu verstehen.
    Analphabetismus im engeren Sinne - also der Zustand, dass jemand weder lesen noch schreiben kann - betrifft nach einer Studie 2,3 Millionen Erwerbsfähige. Sie können höchstens einzelne Wörter entziffern und schreiben, nicht aber ganze Sätze. Etwa 300.000 Mitbürger können nicht mal ihren Namen korrekt schreiben.

    Ein Zehnjahresprogramm für Deutschland

    2011 hatte das Bundesbildungsministerium die sogenannte "leo.level-one Studie" initiiert, die diese Zahlen ans Licht brachte. 2015 kündigten Bund und Länder eine Alphabetisierungskampagne an - und nun wurde das Zehnjahresprogramm gestartet. Koordiniert wird es von Karin Küßner vom Bundesinstitut für Berufsbildung.
    Viele Analphabeten hätten in der Schule niemals richtig lesen und schreiben gelernt oder es später wieder verlernt, sagte Küßner im Deutschlandradio Kultur. "Diese Menschen haben dann Strategien entwickelt sich zu behelfen, zum Beispiel durch Auswendiglernen oder indem sie andere Menschen um Hilfestellung bitten." Zum Beispiel würden sie Aufgaben, die mit Lesen oder Schreiben zu tun haben, an Kollegen delegieren.
    Denn die Mehrzahl der funktionalen Analphabeten hat einen Job, betonte Küßner. "57 Prozent der funktionalen Analphabeten sind erwerbstätig. Der Anteil der Arbeitslosen beträgt nur 16,7 Prozent." Besonders betroffen seien bestimmte Branchen und Arbeitsverhältnisse:
    "Beispielsweise Personen, die in prekären Arbeitsverhältnissen sind, als Geringbeschäftigte angestellt sind zum Beispiel in Branchen wie Bau, Logistik oder der Reinigungsbranche."

    Genaues Monitoring und Bildung

    Ziel der Dekade soll es nun sein, zum einen die Sensibilität für dieses Thema zu schärfen und zum anderen Hilfsangebote anzubieten.
    "Ein wesentlicher Punkt ist die Sensibilisierung der Öffentlichkeit, um dieses Thema mal aus der Tabuzone zu nehmen", sagte Küßner. Außerdem solle die Lernmotivation der Betroffenen gefördert werden, damit diese den Mut fänden, Lesen und Schreiben zu lernen, denn jährlich geben es nur circa 30.000 Personen, die tatsächlich Kursangebote wahrnehmen. "Also, da gibt es noch viel zu tun."
    Weltweit können nach Unesco-Angaben 758 Millionen Menschen über 15 Jahren nicht lesen und schreiben.

    Hören Sie hier das Gespräch mit Karin Küßner:
    Weitere Infos: "ichance" heißt die Internet-Seite, die die Dekade begleitet
    Mehr zum Thema