Allein mit meinem Spiegelbild

Von Hans Bräunlich · 22.12.2007
Ein schönes Nachtschattengewächs mit Morgenstörung hat einer ihrer Verehrer die kleine, zarte, bis ins Alter mädchenhaft wirkende Frau einmal genannt. Mascha Kaléko wurde vor 100 Jahren als Tochter jüdischer Eltern in Galizien geboren. Ende der 20er Jahre fand sie in Berlin Anschluss an die Literarische Boheme und traf sich im "Romanischen Café" mit Kurt Tucholsky, Else Lasker-Schüler oder Erich Kästner.
Die Dichtung von Mascha Kaléko: heiter-melancholisch, ironisch, aber auch wehmütig und verzweifelt gleicht einer versteckten Biografie eines von Liebe, Einsamkeit und bitteren Verlusten geprägten Lebens. "Ich werde still sein, doch mein Lied geht weiter" - in dieser Langen Nacht mit Mascha Kaléko, die 1975 in Zürich starb.

"Ich bin vor nicht zu langer Zeit geboren", lautet die erste Fassung ihres Gedichts Interview mit mir selbst. Die zweite Fassung - zwanzig Jahre später vollendet - beginnt:

"Ich bin als Emigrantenkind geboren
In einer kleinen klatschbeflissenen Stadt,
Die eine Kirche, zwei bis drei Doktoren
Und eine große Irrenanstalt hat."

Weiterlesen: berlin-judentum.de

Büchermarkt: Gedichte für die Großstadtmenschen - Zum 100. Geburtstag von Mascha Kaléko

"Die Zukunft suchte ich in vielen Spiegeln;
Doch blieb sie mir ein Buch mit sieben Siegeln.
Nun reck ich mich im Spiegel dieser Zeit
Und such darin nach der Vergangenheit...
Wo blieb das kleine Mädchen mit den Zöpfen...
Dem blauen Schulkleid mit den Perlmuttknöpfen..."

Die Lyrikerin Mascha Kaléko - Zur Heimat erkor sie sich die Liebe - Von Marcel Reich-Ranicki

Zehn vertonte Gedichte als Podcast

Jutta Rosenkranz
Mascha Kaléko
Biografie. dtv Taschenbücher Bd.24591
dtv premium
2007 DTV
Mascha Kaléko wurde um 1930 in Berlin bekannt, sie gehörte zur künstlerischen Bohème um Kurt Tucholsky, Walter Mehring, Werner Finck und andere. Ihre ironischen, witzigen und gefühlvollen Großstadtverse werden geliebt. "Sie weiß auf alles eine Antwort, Laufmaschen, Halsweh, Eifersucht und billige Cafés - nichts ist ihr fremd. Sie reimt. Und das klug und mit Verstand! Sie ist eine Philosophin der kleinen Leute, vergaloppiert sich nie. Trotz Sentimentalität! Nie ist sie süßlich, verlogen, nein eher herb und sehr gescheit ... Ich hätte sie gern gekannt." Anna Rheinsberg

Mascha Kaléko - "Mein Heimweh hieß Savignyplatz."
Ausstellung des Literaturhauses Berlin, konzipiert und realisiert von Jutta Rosenkranz
Geöffnet: 27. November 2007 - 20. Januar 2008
Täglich, außer montags, 11 bis 19 Uhr
Geschlossen vom 21.12. bis zum 26.12. sowie vom 30.12. 2007 bis zum 2.1. 2008
Eintritt: 5,- / ermäßigt 3,- Euro

Die Berliner Dichterin Mascha Kaléko (1907-1975) wurde Ende der Zwanziger Jahre mit ihren heiter-melancholischen Großstadtgedichten in der Tradition von Heinrich Heine, Kurt Tucholsky und Erich Kästner bekannt, doch schon bald entwickelte M. Kaléko ihren eigenen Stil als einzige weibliche Stimme unter den Lyrikern der Neuen Sachlichkeit. Ihre beiden erfolgreichen, im Rowohlt Verlag erschienenen Gedichtbände "Das lyrische Stenogrammheft. Verse vom Alltag" (1933) und "Kleines Lesebuch für Große. Gereimtes und Ungereimtes" (1935) wurden mit antisemitischen Begründungen von den Nationalsozialisten verboten. 1938 emigrierte M. Kaléko nach Amerika, 1959 übersiedelte sie nach Israel. In ihren Texten spiegeln sich persönliches Schicksal und zeitgeschichtlicher Hintergrund auf eindrucksvolle Weise.

Die Ausstellung zeigt Leben und Werk der Dichterin vor dem Hintergrund der drei wichtigsten Stationen ihres Lebens: Berlin, New York und Jerusalem. Dabei steht Berlin, wo Mascha Kaléko zwanzig Jahre lang wohnte und das sie nach der Emigration wieder besuchte, im Mittelpunkt. Das wechselhafte Schicksal der Metropole während der Weimarer Republik, im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit wird in ihren Gedichten, Prosatexten und Briefen deutlich. Berlin war die einzige Stadt, in der sie sich heimisch fühlte.
Der 100. Geburtstag von Mascha Kaléko ist ein guter Anlaß, erstmals Leben und Werk dieser Berliner Dichterin in einer Ausstellung zu würdigen. Das Literaturhaus Berlin nahe dem Kurfürstendamm ist der ideale Ort dafür, denn Mascha Kalékos früheres Wohnhaus in der Bleibtreustraße liegt nur wenige Minuten entfernt.

Die Finanzierung von Ausstellung und Begleitprogramm wird durch den Hauptstadtkulturfonds ermöglicht.

Literaturhaus Berlin
literaturhaeuser.net
literaturport.de

Mascha Kaléko
Die paar leuchtenden Jahre
Mit e. Essay v. Horst Krüger. Hrsg.
eingel. u. m. d. Biographie 'Aus den sechs Leben der Mascha Kaleko'
v. Gisela Zoch-Westphal dtv Taschenbücher Bd.13149 366 S. 19,5 cm 300g , in deutscher Sprache.
2003 DTV
Das große Mascha-Kaleko-Lesebuch: Gedichte, Chansons, Liefer und Prosatexte.

Horst Krüger:
Meine Tage mit Mascha Kaléko
(1974)
Warum soll ich es verschweigen? Ich hatte von ihr kaum etwas gehört, kannte den Namen nur flüchtig - eine Zufallsbekanntschaft. Es war in Berlin, im Herbst 1974. Wir hatten gemeinsam eine Lesung zu bestreiten, und als ich sie dort zum ersten Mal sah, spürte ich sofort ihren seltsamen Reiz. Sie war schon als Erscheinung - ja, was war sie?
Und: Frauenarchiv Uni Düsseldorf

Mascha Kaleko
Das lyrische Stenogrammheft
Gedichte aus der Welt der Großstadt.
2007 Rowohlt TB.
Die "lyrischen Stenogramme" aus der Welt des Acht-Stunden-Alltags, der Großstadt und der Liebenden haben seit ihrem ersten Erscheinen nichts von ihrer romantischen Ironie und politischen Schärfe eingebüßt. Mascha Kaléko, die ihren Ruhm im Berlin der dreißiger Jahre errang, erinnert mit ihren eigentümlich-zärtlichen Gedichten an Erich Kästner. Von Alfred Polgar, Hermann Hesse und Thomas Mann wurde sie als Dichterin der Großstadt gefeiert.

Mascha Kaléko
Mein Lied geht weiter
Hundert Gedichte.
Ausgew. u. hrsg. v. Gisela Zoch-Westphal.
dtv München 2007
"Ich werde still sein; doch mein Lied geht weiter", so schreibt Mascha Kaléko in ihrem Gedicht "Letztes Lied". Ihren hundertsten Geburtstag nehmen wir zum Anlass, die beliebte Lyrikerin mit einem Geschenkbuch zu feiern, um ihr Lied wieder neu erklingen zu lassen.

Zum 100. Geburtstag der Dichterin Mascha Kaléko - Gisela Zoch-Westphal
Als ich ihr zum ersten Mal begegnete, in Zürich am 19. Juni 1968, hatte ich noch nie ihren Namen gehört, noch nie ein Gedicht von ihr gelesen. Unvorstellbar, von heute aus gesehen! Damals wurde in kleiner Runde auf Einladung des deutschen Generalkonsuls Christoph Niemöller das Erscheinen eines Gedichtbandes "Verse in Dur und Moll" gefeiert. Jeder Gast bekam es zum Abschied mit einem Autogramm der Dichterin geschenkt. Als ich zu Hause darin blätterte, ließen mich die Verse nicht mehr los. Anderntags kaufte ich mir die beiden lieferbaren Bücher "Das himmelgraue Poesiealbum" und "Das lyrische Stenogrammheft" und erfuhr, dass dieser Versband Mascha Kaléko in den frühen Dreißigern in Berlin und darüber hinaus zu einer literarischen Berühmtheit hatte werden lassen. Ich las und las wieder: Ja, diese Vereinigung von Witz und Melancholie in ihren Versen, in denen Erich Kästners Sarkasmus aufblitzt, ihn aber in zärtlich-weibliche Rhythmen kleidet, ist ganz unverwechselbar.

Mascha Kaléko
Liebesgedichte
Ausgewählt von Elke Heidenreich
Insel Taschenbuch 3263
Frankfurt am Main und Leipzig 2007

Elke Heidenreich liest Mascha Kaléko
1 Audio-CD
"Weil du nicht da bist..."
Alltagspoesie. 60 Min..
Gelesen v. Elke Heidenreich Random House Audio
2005 Random House Audio
Eine Lyrikerin vom Range eines Kästner, Tucholsky oder Ringelnatz
Mascha Kaléko wurde 1912 als Tochter jüdischer Einwanderer geboren und fand in den zwanziger Jahren Anschluss an die literarische Bohème Berlins. In der Nazizeit zwangsemigriert, konnte sie nach dem Krieg nie wieder an ihre Erfolge als Schriftstellerin anknüpfen und starb 1975 in Zürich. Mascha Kaléko wird zur Zeit in Deutschland wiederentdeckt: ihre Gedichte sind unverkrampft und zugänglich - 'Gebrauchspoesie' für den Alltag. Die von Elke Heidenreich zusammengestellte Auswahl von Gedichten entstammt den Büchern 'Das Lyrische Stenogrammheft', 'Verse für Zeitgenossen', 'Die paar leuchtenden Jahre' und 'In meinen Träumen läutet es Sturm'.

Alle Kaléko-Texte stammen aus folgenden Buch-Ausgaben:

Mascha Kaleko
Das lyrische Stenogrammheft / Kleines Lesebuch für Große
Rowohlt-Taschenbuch, 1959

Mascha Kaleko
Verse für Zeitgenossen
Rowohlt-Taschenbuch, 1980 (aktuell erschienen: 2007)
Mascha Kalékos Gedichte von Liebe, Abschied, Einsamkeit und Sehnsucht sind von jener "aufgeräumten Melancholie", die Thomas Mann an ihr rühmte. Sie sind so zugänglich, weil sie Dinge beschreiben, die wir alle erleben -in Strophen, die ihren Charme einer eigentümlichen Mischung von Aktualität und Musik, romantischer Ironie und politischer Schärfe verdanken.

Mascha Kaleko
In meinen Träumen läutet es Sturm
Gedichte und Epigramme aus dem Nachlaß.
dtv, 1981 (neu erschienen 2007)

Mascha Kaleko
Der kleine Gott der Webfehler
dtv, 1981

Mascha Kaleko
Heute ist morgen schon gestern!
dtv, 1985

Mascha Kaleko
Das himmelblaue Poesie-Album
dtv, 1986

Mascha Kaleko
Ich bin von anno dazumal
dtv, 1987

Mascha Kaleko
Papagei und Mamagei
dtv, 1986

Mascha Kaleko
Tag und Nacht Notizen
Verlag Eremiten-Presse
Düsseldorf MCMLXXXI

Außerdem wurden Zitate verwendet aus:

Irene Astrid Wellershoff
Vertreibung aus dem Kleinen Glück - Das lyrische Werk der Mascha Kaléko
Dissertation, Aachen 1982

Gisela Zoch-Westphal
Aus den sechs Leben der Mascha Kaléko
Arani Verlag, Berlin, 1987

Horst Krüger
Meine Tage mit Mascha Kaléko
in: "Spötter-dämmerung"
Hoffmann und Campe Verlag,
Hamburg, 1981

Siegfried Krakauer
Die Angestellten
in: "Schriften I"
Suhrkamp Verlag, 1971

"Nach meinem Tode (Trauer streng verboten)
Verlass ich diesen elenden Planeten.
Wenn Plato recht hat - Plato ist mein Mann -:
Erst wenn man tot ist, fängt das Leben an.

Kapitel Eins beginnt mit dem Begräbnis,
Der Seele letztes irdisches Erlebnis.
Auf meines freue ich mich heute schon!
Da gibt es keine Trauerprozession.

Kein Lorbeerkranz vom Bund der Belletristen:
Kein Kunstvaein hat mich in seinen Listen,
Kein Dichterzirkel... Sagen wir es schlicht:
Gesellig war die sanft Entschlafene nicht.

Der Redakteur, den sie einst tödlich kränkte,
Als er sein Mäntlein nach dem Winde hängte,
Hat ihren Nachruf lange schon gesetzt.
Der schließt: "M. K. war reichlich überschätzt."

Diverse Damen, deren Herren Gatten
Zuzeiten eine Schwäche für mich hatten,
Die werden selbst im Regen Schlange stehen,
Um mich auch wirklich mausetot zu sehen.

Die strengen Richter meiner wilden Jugend
Entdecken der Verstorbnen edle Tugend...
und eingedenk der menschlichen Misere
vergießt so mancher eine Anstandszähre.

Den wahren Freunden - ach, sie sind zu zählen! -
Werd ich vielleicht zuweilen etwas fehlen.
Moral: Was euch im Leben zu mir zog,
Hebt es nicht auf für einen Nekrolog!..."