"Allein der Verzicht auf V-Leute ist noch keine Garantie für den Erfolg"

Joachim Herrmann im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 23.03.2012
Der bayerische Staatsminister des Innern, Joachim Herrmann (CSU), setzt im Kampf gegen die NPD auf politische Geschlossenheit. Es sei jetzt entscheidend, dass die Sicherheitsbehörden für das neue Verbotsverfahren ihre Hausaufgaben machten.
Jan-Christoph Kitzler: Der Versuch, die rechtsextreme NPD zu verbieten, ist eine lange Geschichte, schon Ende der 60er-Jahre wurde laut darüber nachgedacht, in den 90er-Jahren des 20. Jahrhunderts hatte das Thema wieder Konjunktur, und ab dem Jahr 2000, nach einem weiteren antisemitischen Anschlag wurde das Verbotsverfahren ganz offiziell angeschoben. Das vorläufige Ende der Geschichte kennen wir: Das Ganze scheiterte 2003 recht kläglich vor dem Bundesverfassungsgericht wegen der V-Leute, die in die NPD eingeschleust worden sind.

Inzwischen wird wieder über ein NPD-Verbot diskutiert, gestern haben die Innenminister von Bund und Ländern über das Thema beraten, und ich spreche jetzt mit einem, der dabei war, mit dem bayrischen Innenminister und CSU-Politiker Joachim Herrmann. Schönen guten Morgen nach Erlangen!

Joachim Herrmann: Guten Morgen!

Kitzler: Gestern gab es ja noch keine Entscheidung über einen neuen Anlauf, das NPD-Verbot zu starten. Warum tun sich die Innenminister in dieser Frage eigentlich so schwer?

Herrmann: Natürlich muss ein neues Verfahren sehr sorgfältig vorbereitet werden, denn wir wollen auf keinen Fall noch einmal scheitern, wie das 2003 der Fall war, weil dort eine Sperrminorität von Richtern nicht zu überzeugen war. Deshalb gehen wir das jetzt sehr sorgfältig an, und wir haben gestern beschlossen, jetzt offiziell ab dem zweiten April alles Material von Bund und Ländern zusammenzutragen, was hier entscheidend wichtig sein kann in einem solchen Verbotsverfahren, und gleichzeitig ab dem zweiten April auf V-Leute in den Führungsriegen in der NPD, also im Bundesvorstand, im Landesvorstand oder allen herausragenden Funktionen zu verzichten.

Kitzler: Aber das Verbot der NPD ist grundsätzlich gewollt, darüber gibt es Einigkeit, oder?

Herrmann: Darüber gibt es Einigkeit, wir haben ja schon im Herbst letzten Jahres, im Dezember, klar beschlossen in der Innenministerkonferenz, dass wir auf ein erfolgreiches NPD-Verbotsverfahren hinarbeiten wollen. Die Ministerpräsidentenkonferenz hat das ebenso einstimmig beschlossen, da gibt es also eine klare Haltung.

Kitzler: Bis Anfang April wollen Sie auf V-Leute verzichten in der NPD-Führung - das ist eine Lehre aus dem Verbotsverfahren, was gescheitert ist. Ist das eine notwendige, aber möglicherweise noch keine hinreichende Bedingung für das Verfahren?

Herrmann: Ja, es ist eine notwendige Bedingung, denn das ist allein schon für eine Fairness des Verfahrens aus der Sicht des Bundesverfassungsgerichts notwendig, weil jetzt, wenn die Vorbereitungen für den Prozess beginnen, natürlich auch der Staat nicht gleichzeitig durch V-Leute beispielsweise erfahren darf, wie die Prozessstrategie der NPD ist. Das muss man in einem rechtsstaatlichen Verfahren akzeptieren.

Aber klar ist, allein der Verzicht auf V-Leute ist noch keine Garantie für den Erfolg, sondern entscheidend kommt es natürlich darauf an, dass wir dem Bundesverfassungsgericht belegen können, nicht nur, dass die NPD eine verfassungsfeindliche Partei ist - darin sind sich, glaube ich, ohnehin alle einig - sondern dass sie eben auch gefährlich ist, und dass von ihr wirklich eine echte Gefahr für die Demokratie in unserem Land, für das friedliche Zusammenleben der Menschen in unserem Land ausgeht.

Kitzler: Die V-Leute aus der NPD-Führung sollen abgezogen werden - wie definieren Sie das eigentlich, Führung? Wie viele der gut 130 V-Leute, von denen man ausgeht, können noch im Einsatz bleiben?

Herrmann: Es haben inzwischen Verfassungsrichter, die damals mitgewirkt haben, ausdrücklich erklärt, dass die Bedenken damals sich nicht darauf bezogen, ob beispielsweise ein Hausmeister, der Mitglied der NPD ist und Informationen weitergibt, hier entsprechend weiter als V-Mann tätig ist, sondern entscheidend ist, dass die Leute, die die politischen Leitentscheidungen der NPD treffen, nicht gleichzeitig als Informanten für den Verfassungsschutz unterwegs sein dürfen, und dass eben im Hinblick auf die Fairness des Verfahrens der Staat auch nicht gleichzeitig Informationen über die Prozessstrategie der NPD erhalten kann.

Ich glaube, das ist relativ klar, darüber waren sich auch die Innenminister gestern einig, und deshalb haben sie das auch einstimmig so vereinbart, auf V-Leute aus dem Führungsbereich wird ab dem zweiten April verzichtet. Trotzdem ist entscheidend jetzt natürlich, wir müssen genügend belastbares Material zusammentragen und dabei möglichst auch drauf achten, dass wir kein Material aus den letzten zwei, drei, vier Jahren dabei haben, das wesentlich von V-Leuten beeinflusst ist.

Kitzler: Halten Sie es eigentlich auch für nötig, dass eine klare Verbindung der NPD mit den Taten der Neonazizelle, die zehn Morde verübt hat, nachgewiesen wird?

Herrmann: Die Erkenntnisse, die wir heute haben, sind natürlich für ein solches Verfahren auch höchst interessant. Man wird - so hat das der Generalbundesanwalt kürzlich erklärt - wohl kaum behaupten können, dass diese Neonazizelle in Thüringen, dieses NSU-Trio, unmittelbar ein Teil der NPD war. Aber dass es ganz konkrete persönliche Bezüge zwischen diesen Terroristen und NPD-Funktionären gegeben hat, das haben die bisherigen Ermittlungen ja schon gezeigt, und alles, was sich da ergibt in diese Richtung, alle Querbezüge zur NPD, müssen natürlich in ein solches Verbotsverfahren eingebracht werden.

Kitzler: Wann sind die Innenminister so weit, dass sie sagen können, jetzt bringen wir das Verfahren auf den Weg?

Herrmann: Die Zielsetzung ist, dass wir diese Materialsammlung bis Herbst abschließen, dass das dann in der Gesamtheit so auch den Bundesorganen, das heißt, dem Bundestag, dem Bundesrat, der Bundesregierung, in einem Gesamtbericht vorgelegt werden kann, denn am Schluss entscheiden ja diese Verfassungsorgane, ob sie eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht erheben.

Kitzler: Der Fall wird so oder so die Gerichte beschäftigen, die NPD will ja bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen. Wie lange, denken Sie, wird sich das Verfahren insgesamt noch hinziehen?

Herrmann: Da gehen die Einschätzungen auch von namhaften Juristen weit auseinander. Es gibt Einschätzungen, dass das Gericht in einem guten Jahr, einem halben Jahr mit einem solchen Verfahren fertig werden kann, andererseits gibt es auch Leute, die meinen, es würde sich wesentlich länger hinziehen, das ist aus meiner Sicht heute letztendlich nicht verlässlich vorauszusagen, entscheidend ist, dass jetzt tatsächlich die Sicherheitsbehörden in unserem Land ihre Hausaufgaben machen, dass wir alle zusammentragen, und es liegt wirklich viel Material vor über die Verfassungsfeindlichkeit und die Gefährlichkeit der NPD, und dass wir dann wirklich in einer großem politischen Geschlossenheit der Demokraten in unserem Land auch klar gegen die NPD vorgehen.

Kitzler: Der bayrische CSU-Politiker und Innenminister Joachim Herrmann über den schwierigen, komplizierten Weg zum NPD-Verbot, haben Sie vielen Dank und einen schönen Tag wünsche ich!

Herrmann: Ich danke Ihnen auch, ebenso, alles Gute!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Fahndungsfotos der Mitglieder der sog. Zwickauer Zelle: Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos (v.l.).
Fahndungsfotos der Mitglieder der sog. Zwickauer Zelle: Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos (v.l.).© picture alliance / dpa /Frank Doebert
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