Allegorie einer hierarchischen Gesellschaft

Von Jörg Taszman · 19.04.2011
Eine junge Frau wird als Hausmädchen bei einer schwerreichen südkoreanischen Familie angestellt, vom Hausherrn verführt und geschwängert. Dessen Ehefrau und Schwiegermutter wollen sich rächen, doch das Hausmädchen durchkreuzt ihre Pläne.
Ein junges Mädchen springt von einem Dach und ist tot. Unter der Menge, die ebenso geschockt wie voyeuristisch zuschaut, ist auch Eun-Yi, eine junge Arbeiterin. Sie kommt aus einfachen Verhältnissen und schuftet in einer engen, ungesunden Garküche. Als man ihr die Stelle eines Hausmädchens bei einer sehr wohlhabenden Familie anbietet, nimmt Eun-Yi diese soziale Verbesserung dankbar an. In der geräumigen Villa soll sie einer alteingesessene Haushälterin zur Hand gehen und sich vor allem um das kleine Mädchen der Familie kümmern. Die Kleine reagiert zunächst kühl.

"Du bist Nami nicht wahr? Ich bin das neue Hausmädchen."
"Ich habe Dir doch erzählt, dass heute ein neues Hausmädchen kommt."
"Ich weiß."
"Willst du nicht erst deine Mutter begrüßen?"
"Erst geh ich mich umziehen und mir die Hände waschen."
"Tür zu?"
"Ja."

Regisseur Im Sang-Soo geht es zunächst um eine drastische Gegenüberstellung in einer stark hierarchischen Gesellschaft. So werden die Hausangestellten fast wie das Eigentum der Familie betrachtet, die auch in ihren Dienstmädchenzimmern zu wohnen haben. Der Hausherr, ein junger, steinreicher Industrieller, kommt immer erst spät abends nach Hause. Seine kleine Tochter stellt ihm freudig das neue Hausmädchen vor.

"Das ist Frau Eun-Yi Li. Sie ist unser neues Hausmädchen Sie ist geschieden und lebt allein. Sag mal, hast du gar keine Kinder?"
"Bitte nehmen Sie doch Platz. Geh zu Mama und sag ihr, Sie kann oben bleiben. Ich komme gleich zu ihr. Ich darf mich vorstellen: Noon Go. Namis Vater.
Ich will Ihnen nur sagen, Sie werden sich jetzt und in Zukunft um meine Kinder kümmern und mir das Essen zubereiten. Also sind Sie eine wichtige Person. Und ich werde ein Auge auf Sie haben."

Der Herr des Hauses wirft mehr als nur ein Auge auf die hübsche, schüchterne und sehr ergebene Eun-Yi. Völlig selbstverständlich betritt er eines Abends ihr Zimmer, lädt sie auf ein Glas Wein ein und verlangt fordernd, dass sich die junge Frau für ihn auszieht. Gekonnt und dabei nicht gefühllos verführt er Eun Yi und beide gehen eine immer leidenschaftlicher werdende Sexbeziehung ein. Das bleibt weder unbemerkt noch ohne Folgen: Die junge Frau wird schwanger.

Wütend und eifersüchtig rächen sich die Ehefrau und ihre Mutter an der scheinbar wehrlosen Eun-Yi. Bis dahin scheint der Film von Im Sang-Soo einer sehr vorhersehbaren Dramaturgie zu folgen. Aber der Filmemacher manipuliert den Zuschauer zunächst subtil und raffiniert, dann immer offener. So führt er seine Geschichte zu ungeahnten Wendungen. Im Sang Soo wollte ganz bewusst die sozialen Unterschiede in Korea benennen.

Im sang-Soo: "In Deutschland und Europa ist es ja auch ein wenig so, dass man diesen 'american way of life' etwas verachtet. Was ich mit meinem Film jedoch ausdrücken wollte, ist dass alle Mitglieder dieser wohlhabenden Familie versuchen, den Stil des einstigen europäischen Adels zu imitieren."

"Das Hausmädchen" ist ein Remake eines südkoreanischen Films von 1960, der vor allem in seiner Heimat zu einem großen kommerziellen Erfolg wurde. Im Sang Soo hat nach eigener Aussage in seiner Version die gesellschaftlichen Konflikte mehr heraus gearbeitet und sieht in der Hauptfigur des Hausmädchens eine Metapher für die gesamte südkoreanische Gesellschaft.

Im Sang-soo: "Was ich mit der Figur der Haushälterin, des einstigen Hausmädchens, ausdrücken wollte, war, dass es für uns Koreaner höchste Zeit geworden ist, nicht nur alles materialistisch zu sehen, sondern auch wieder spiritueller. Wir müssen uns von dieser Sklavennatur in uns, den Hausmädchen in uns befreien. Um das zu erreichen , müssen wir spontaner werden und vor allem erst einmal zugeben, dass wir diese Art des sklavischen Denkens und Tuns in uns tragen. Es ist wie im Film. Wir müssen durch einen Schock aufgeweckt werden, um zuzugeben, dass wir dieses 'Hausmädchen-Sein' in uns haben. Und in meinem Film sieht man eigentlich ganz genau, dass die einzige, die sich nicht wie ein traditionelles Hausmädchen benimmt, das eigentliche Hausmädchen ist. Sie bliebt sich treu und glaubt an ihre Emotionen."

Der Film, der im Vorjahr am Wettbewerb von Cannes teil nahm, verdeutlicht die Stärke und Genrevielfalt des aktuellen koreanischen Kinos. Es ist ein sehr effektiver und gut gemachter Genrefilm mit überzeugenden Darstellern, einer kräftigen Prise Erotik und am Ende ziemlich gutem, dabei wirklich subtilem Horror. Für alle, die einmal fernab des amerikanischen oder europäischen Films intelligentes Unterhaltungskino goutieren möchten, ist "Das Hausmädchen" eine willkommene Abwechslung.
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