Alle Codes sind nicht zu knacken

28.03.2007
Der neue Roman von Georg Klein spielt in Görlitz. Der Autor ist diesmal als Forscher unterwegs, der gegen die Neugier der Menschen donnert. Er wendet sich gegen die Entzifferung des menschlichen Erbguts, verhöhnt den Traum von der ewigen Jugend und bietet einen Ausweg aus der Geburtenrückgangspsychose.
Berechenbar ist der 54-jährige Schriftsteller Georg Klein nie gewesen. Weder in seinem Agententhriller "Libidissi", seinem 1998 erschienenen Erfolgscoup, noch im Detektivroman "Barbar Rosa", weder in seinen Erzählungen "Von den Deutschen" noch in dem neuen Roman "Sünde Güte Blitz". Der beginnt mit dem Satz: "Die Menschen sind tollkühne Tiere" und endet mit der Frage: "Was wissen wir? Was blökt die hehre Wissenschaft?"

Was sich zwischen Januar und Juni, zwischen einem Sonnabend und einem Sonntag in Görlitz, der östlichsten Stadt Deutschlands, durch die Neiße von Polen getrennt, an Unglaublichem ereignet, dreht und wendet sich um die Auflösung von Grenzen. Grenzen zwischen Ost und West, Vernunft und Phantasie, Rationalität und Irrationalität, oder um die Grenzen zwischen der harten und der weichen Wissenschaft, der Natur- und der Geisteswissenschaft.

Die Geschichte erzählt von zwei jungen Düsseldorfer Ärzten, die nicht zufällig Weiss und Schwartz heißen und sich in Görlitz niederlassen. Das hätte eine hundsgewöhnliche Ost/West- Story werden können. Aber gewöhnlich ist in Georg Kleins mit Mythenzauber, Bildungsrazzia und Anspielungsreichtum ausgeschlagenem Universum nichts. Der Leser muss aufpassen wie ein Luchs, sonst ist die Fährte verloren. Vom Blitz- und Donnergott Zeus zur Ziege des Dionysos, vom Homunkulus zur Deutschen Romantik bis zur Eiche, Symbol der Ewigkeit. Wenige Brandherde der Geistesgeschichte werden ausgelassen, denn, so Kleins implizite These, den Erfolgen der Naturwissenschaft muss misstraut werden.

Die Idee zu diesem Roman wird Georg Klein, der als Meister des Unheimlichen gilt, während eines Besuchs im Dresdner Hygiene Museum gekommen sein. Denn zwei Gnome, Geister aus dem Reagenzglas, spuken als Kopfgeburten durch den Roman. Ein nacktes Wesen mit dem beziehungsreichen Vornamen Immanuel dringt in die Wohnung von Hausmeisterin Angela ein und wird zu ihrem Begleiter. Doktor Weiss spuckt eines Tages ein längliches Etwas auf sein Kopfkissen. Er wird das weißbehaarte Wesen mit Ziegenmilch und Blutstropfen großziehen, in seinem roten Rucksack mit sich herumschleppen und während der Sprechzeiten in seiner Schublade aufbewahren. Das "Kleine" wird ihm die Kraft geben, Kranke zu heilen und der alten Schauspielerin Elvira Blumenthal Jugendlichkeit zurückzugeben.

Georg Klein, diesmal bis auf ein bisschen Blut und ein im Mondlicht funkelndes Messer ziemlich zahm, ist als Forscher unterwegs. Ein Forscher, der gegen die Neugier der Menschen donnert, gegen die Menschen, die alles genau wissen wollen, alles zerlegen, unterm Mikroskop betrachten und nie Frieden finden. Er wendet sich gegen die Entzifferung des menschlichen Erbguts, verhöhnt den Traum vom der ewigen Jugend, lässt einen Mann ein Wesen, auch wenn es ein Gnom ist, zur Welt befördern und bietet einen Ausweg aus der Geburtenrückgangspsychose.

Georg Kleins Roman "Sünde Güte Blitz" ist eine Philippika gegen den Fortschritts- und Entzifferungswahn, gegen die Hoffnung, der Mensch sei in der Lage, alle Geheimnisse, alle Codes zu knacken. Der Roman ist mit schöner Ironie durchsetzt, von Anspielungsreichtum durchdrungen und von leichtem Ernst. Ein modernes Märchen, eine gewitzt und gekonnt gebaute Abrechnung mit dem entmystifizierten Abendland.


Rezensiert von Verena Auffermann

Georg Klein: Sünde Güte Blitz
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2007
189 Seiten, 17,90 Euro