Allah cool preisen

Von Matthias Bertsch · 15.06.2013
Kein Alkohol für die Gäste, keine Beleidigungen auf der Bühne: In Berlin fand das Finale des ersten muslimischen Poetry Slams statt. Das Projekt stieß auf großes Interesse in ganz Deutschland - und die Macher hoffen, es könnte der Beginn einer neuen Zeitrechnung sein.
"Salem aleikum! Kennt ihr diese komischen Menschen, die egal, wohin sie gehen, Kopfhörer im Ohr haben und Musik so laut hören, dass jeder Mensch mithören kann. Kennt ihr diese Menschen, die aufgrund der Musik, die sie hören, zu negativen Verhaltensweisen neigen? Ich bin einer von denen. Und ich habe zu selbsttherapeutischen Zwecken den folgenden Text verfasst."

Auf der Bühne der Berliner Akademie der Künste steht der 22-jährige Sami und slamt:

"Die Kids haben kein Geld, um sich die Alben zu kaufen, deshalb glauben sie im Internet sich die Alben zu saugen, sie berauben die Künstler, ja, sag ma, wann hat das ein Ende, Mann! Kiffen dann, koksen dann, Lack an die Wände dann, illegaler Download, geistiger Diebstahl, immer wieder also: Hackt ihnen die Hände ab!

Close you eyes, give me your hands… Es tut auch nicht weh, es tut auch nicht weh, versprochen, Versprechen gebrochen, Hände gebrochen, das Essen von gestern gebrochen, gebrochen wie das Deutsch meiner Mutter."

Wie bei jedem Poetry-Slam treten auch beim i,Slam junge Männer und Frauen mit selbstverfassten Texten gegeneinander an – und das Publikum entscheidet, wem die Dichterkrone gebürt. Und doch ist manches anders. Zum Beispiel die Koranrezitation am Anfang jeder Veranstaltung.

Die Religion ist vielen hier wichtig – die große Zahl junger Frauen mit Kopftuch im Publikum und auf der Bühne ist ein Zeichen dafür. Um ihnen das Auftreten zu erleichtern, gelten beim i,Slam besondere Regeln: Kein Alkohol im Publikum gehört genauso dazu wie keine Beleidigungen auf der Bühne.

Younes Al Amayra: "Dieser schützende Rahmen war in erster Linie, die Muslime überhaupt auf die Bühne zu bringen, weil sie sagen, Poetry Slam kennen sie teilweise, eigentlich eher weniger, fast gar nicht, aber wenn sie dann auf eine Poetry-Slam-Veranstaltung waren, dann haben sie nur Alkohol gesehen oder es geht sehr blasphemisch zu, es wird sehr viel Fäkalsprache, also es wird sehr viel geflucht, da fühlen sie sich unangenehm auf dieser Bühne, das möchten sie nicht, und wenn über Religion mal gesprochen wird, fühlen sie sich nicht ernst genommen und das war so der Grund, das heißt in erster Linie geht’s darum, sie zu motivieren dafür, ja, und deswegen dieser schützende Rahmen."

Younes Al Amayra ist Lehrer und einer der beiden Gründer des i,Slam, sein Freund und Mitstreiter, Youssef Adla, ist Student der Luft- und Raumfahrttechnik.

Youssef Adla: "Wir versuchen einfach nur, eine schönere Welt mit dem Projekt zu machen, das ist genau das, was meine Religion mir vorschreibt, also, glaube ich, ist das Gottesdienst, was wir hier veranstalten, auch wenn es sehr lustig und heiter zugeht."

Dass Glaube und Unterhaltung für Younes und Youssef zusammenpassen, macht ihr eigenes Verhalten auf der Bühne deutlich: Sie moderieren nicht nur den i,Slam mit sichtlich großem Spaß, sondern treten selbst mit einem Text auf – über Muslime als Hobbygärtner.

Younes: "Herr Dschihad"
Youssef: "Nennen Sie mich Horst!"
Younes: "Entschuldigen Sie, Herr Horst, haben Sie eigentlich auch weibliche Gartenzwerge, und wenn ja, dürfen Sie nach Mitternacht noch im Garten stehen?"
Youssef: "Ich muss dazu sagen, nachdem ich zwei Wochen im Ausland studiert habe, drei Suren und zehn Ahadithe auswendig kann, hab ich dazu eine Fatwa rausgegeben."

Youssef: "Also ich bin definitiv eine Bühnensau. Natürlich ist es für mich auch wichtig, die Macht des Wortes zu beherrschen. Es ist: Ich sag mal so: Wenn die Welt ein Spielplatz ist, dann ist definitiv das Wort die Rutsche und macht dementsprechend am meisten Spaß. Und ich denke einfach, wenn man die Sprache beherrscht, und ich meine jetzt wirklich beherrschen, nicht nur sprechen kann, wenn man die Sprache beherrscht, kann man vieles bewirken und sehr viel auf die Welt und die Menschen einwirken."

Auf die Menschen einzuwirken, um ihre Sicht der Dinge zu erzählen – anstatt, wie es viele der Muslime erleben, Gegenstand von Fremdzuschreibungen zu sein -, ist für die Slammer von entscheidender Bedeutung – egal ob sie religiöse, satirische oder politische Texte vortragen – wie Faten:

"Mein Text heißt ‚Kein Märchen aus 1001 Nacht‘. Letztens fragte mich die Freiheitsstatue: ‚Was heißt Freiheit?‘ Da muss wohl was schiefgelaufen sein, dachte ich, wenn die Freiheitsstatue ausgerechnet eine Palästinenserin fragt, was Freiheit heißt."

Für die 23-jährige Politikstudentin aus Berlin ist der Palästina-Konflikt von zentraler Bedeutung.

"Es sind halt immer Sehnsüchte und ne sehr starke Identifikation, die ich habe, mit meiner Heimat, die ich als Heimat auch bezeichne, es gibt ja keinen Plural, aber für mich ist das halt, auch wenn eine ferne Heimat, ich setz dann immer … was ist Heimat für dich, ich sag dann immer Sehnsucht und das spiegelt sich in meinen Texten wieder."

"Ich mache Ali-baba nach und rufe 'Blockade öffne dich, Blockade öffne dich, Blockade öffne dich!', doch nichts geschieht, und ich habe auch keinen Teppich, um über die Mauer nach Jerusalem zu fliegen, und ich kann Sindbads Segel nicht setzen, weil sie meine See blockieren. Frieden, du bist so fern wie 1001 Nacht, weil sie hart dafür arbeiten. Ihre Arbeit heißt Siedlungsbau, und Siedlungsbau heißt Landraub, und Landraub heißt Machtausbau, und Machtausbau heißt: Ich muss raus, ich muss raus, ich muss raus, hallt es in meinem Kopf."

Am Ende des i,Slam-Finales setzt sich schließlich Sami gegen Faten durch - mit dem Text "Liebesleben":

"Ich liebe dich, und ich pflege dich rund um die Uhr, ich schlage dich nicht mit der Faust, mein Schatz, ich trete dich nur. Du schläfst im Flur auf dem harten Boden, dein blaues Kleid hat mich angezogen. Ich habe dich in meiner Wohnung ausgezogen. Ich ehre dich, du bist unglaublich nackt, doch bist du angezogen, dann schau ich auf dich herab."

Das Publikum ist zunächst unsicher, ob es lachen soll oder darf, bis Sami seine Schuhe auszieht – und damit deutlich macht, dass er von ihnen und nicht von seinen Freundinnen spricht.

"Wo auch immer du bist, ich genieß die Zeit mit dir, bevor du grottenhässlich wirst und bald krepierst, möchte ich dir wieder etwas sagen, ich möchte dir meine Liebe offenbaren: Ich liebe dich, danke schön!"

Für das Publikum, die meisten sind junge Muslime zwischen 15 und 25, ist dabei nicht so wichtig, wer das Finale gewonnen hat, als dass sie sich beim i,Slam unter Ihresgleichen fühlen.

Besucherin: "Wir sind ja aus allen Städten hierher gereist, ich komm aus Hamburg und ich studier auf Lehramt und ich denke, dass es jetzt langsam, aber sicher eine neue Ära sozusagen, dass wir ne neue Ära starten, dass wir Dinge anders angehen, um auf uns aufmerksam zu machen und auf unsere Probleme, und ich denke, dass das langsam aber sicher am Kommen ist, dass wir einfach noch zu jung sind, als i,Slam, um sagen zu können, wir gehören jetzt dazu, zu der großen weiten Welt."

Auch Bülent Ucar hat sich das Finale des i,Slam angesehen. Der Direktor des Instituts für islamische Theologie der Universität Osnabrück freut sich darüber, dass das Projekt i,Slam bei jungen Muslimen in Deutschland auf so große Resonanz gestoßen ist.

"Manche mögen das kritisieren als Produkt der so genannten Hiphop-Kultur, ich würde dem nicht zustimmen, ich glaube, dass es eine Bereicherung für das muslimische Leben in Deutschland ist, und es zeigt, dass das muslimische Jugendleben sich auch immer mehr mit der Lebenswirklichkeit hier vor Ort in Deutschland verschränkt, ein wunderschönes Beispiel."

Mit dem Finale in Berlin ist die erste Runde des i,Slam zu Ende gegangen, aber Younes und Youssef lassen keinen Zweifel daran, dass sie weitermachen wollen: In der nächsten Runde soll der i,Slam auf Österreich und die deutschsprachige Schweiz ausgeweitet werden. Doch vorher ist noch ein anderes Projekt geplant: Am 16. August soll in Berlin der i,Slam-we,Slam veranstaltet werden: ein interreligiöser Poetry-Slam, bei dem Muslime, Christen und Juden auf der Bühne gegeneinander antreten.