Alfred Bodenheimer

Ein Religionsexperte als Krimiautor

Alfred Bodenheimer
Der Autor Alfred Bodenheimer © picture alliance / dpa / Foto: Verlag Nagel & Kimche AG/dpa
Von Raphael Rauch  · 31.07.2015
Wer einen religiösen Ermittler sucht, der nicht Pater Brown heißt, wird bei Alfred Bodenheimer fündig. Der Leiter des Zentrums für Jüdische Studien an der Universität Basel hat zwei Krimis geschrieben, in der ein Rabbiner ermittelt.
Der Tatort ist ein Bahnsteig bei Zürich. Eine Frau wird von einem Zug überfahren. Wollte sie sich das Leben nehmen, war es ein Unfall – oder gar Mord? Gabriel Klein, der gewiefte Rabbiner, kommt ins Grübeln. Carmen Singer, so heißt die Tote, war Mitglied seiner Gemeinde. Sie hat den Rabbi verehrt, und das mehr als üblich. Sie war in ihn verliebt und hat ihn sogar gestalkt. Nun ist sie tot, und diese Nachricht macht auch Rabbi Klein zu schaffen. Er spitzt die Ohren, hat einen Verdacht und geht der Spur nach. Es geht um Liebe und Verrat, um Insider-Geschäfte an der Zürcher Börse, aber auch um den Alltag eines gestressten Rabbiners. Davon handelt "Das Ende vom Lied", so heißt der zweite Krimi von Alfred Bodenheimer.
"Der Rabbiner muss unglaublich viele Eigenschaften in sich verbinden und viele Tätigkeiten: Er ist Gelehrter, er ist Seelsorger, er ist Rechtsausleger, er ist Berater in allen möglichen Dingen und muss auch viel einstecken können."
Im Hauptjob ist Alfred Bodenheimer nicht Krimi-Autor, sondern Professor an der Universität Basel. Er ist Experte für Religionsgeschichte und Literatur des Judentums, hat viele wissenschaftliche Bücher und Aufsätze geschrieben. Die Krimis sind für ihn Neuland.
"Ich habe mir gedacht: jetzt machst du mal was ganz anderes. Das aber nicht so ganz anders ist, dass du dich darin nicht auskennen würdest. Also wo ich Bescheid weiß, was aber gleichzeitig eben ne ganz andere Welt ist und ne ganz andere Form von Schreibe. Eine Welt zu erschaffen ja – wer einen Roman schreibt, erschafft eigentlich eine Welt neu. Das alles mal miteinander spielen zu lassen, da ist ein Spieltrieb auch dabei."
Zum Spieltrieb gehört auch Spontaneität. Die Idee, einen Krimi zu schreiben, sei ihm plötzlich gekommen, während eines Freisemesters in Israel.
"Als praktizierender Jude schreibe ich am Schabbat nicht"
"Das Ganze hat vielleicht den Clou, dass mir die Idee zwar nicht am Morgen nach dem Aufstehen gekommen ist, sondern am Freitagnachmittag und dann ist Schabbat. Und als praktizierender Jude schreibe ich am Schabbat nicht. Das heißt, ich habe eigentlich 24 Stunden lang mir das Ding durch den Kopf gehen lassen und dann bin ich wirklich am Schabbatende, also Samstagabend dann, hab‘ ich mich hingesessen und habe das Ganze in einer Woche durchgeschrieben, also vor dem nächsten Schabbat war die erste Version dann fertig."
Zürich, die Stadt an der Limmat, ist Zentrum der Krimis. "Es ist ein Privileg, in Zürich leben zu dürfen, das man mit Langeweile bezahlt", so stichelt zumindest in Gedanken der Vater von Rabbi Klein. Langweilig wird’s dem Rabbi aber nicht und dem Leser auch nicht. Zürich ist die größte Stadt der Schweiz, ein spannendes Pflaster für einen Krimi.
"Das Besondere an Zürich ist sicher, dass es im deutschsprachigen Raum, wie alle Schweizer Gemeinden, eine Gemeinde ist, die den Holocaust unbeschadet überstanden hat. Das heißt: Eine Gemeinde mit einer Tradition, die nicht zerbrochen worden ist. Das macht natürlich für das Selbstverständnis der Schweizer Juden sehr viel aus, von der Charaktereigenschaft her sehr an die Schweiz akklimatisiert, gleichzeitig natürlich auch irgendwie global ausgerichtet. Das ist so ein bisschen das Charakteristikum an Zürich, auch eben dass es Quartiere gibt, wo das Judentum sehr klar sichtbar wird."
Es geht um historische und religiöse Fragen
Der Leser bekommt die Vielfalt des jüdischen Zürichs präsentiert. Eine Welt, die Bodenheimer gut kennt. Zwar kommt er aus Basel, hat aber 15 Jahre in Zürich gelebt. In seinen Krimis geht es aber nicht nur um den Alltag und die Abgründe der Gemeindemitglieder, sondern auch um historische und religiöse Fragen. So will Dafna, die Tochter des Rabbiners, von ihrem Vater wissen: Wie würde er reagieren, wenn man stichhaltig beweisen könnte, dass es gar keinen Gott gibt? Rabbi Klein antwortet, dass er wohl unter Schock stünde – und trotzdem ein Nachtgebet sprechen würde. Die Antwort überzeugt Dafna nicht. Im Krimi liest sich das so:
"Dafna sah ihn kopfschüttelnd an. ´Du klingst wie ein Junkie.` Klein nahm noch einen Schluck Kirsch. „Ja, wahrscheinlich ist es genau das, was wir Juden sind. Junkies. Dabei gab es schon so viele wirksame Therapien: das Christentum. Die Aufklärung. Den Sozialismus. Und noch ein paar andere. Tolle Therapien, die viele geheilt haben. Die Junkies, bei denen das alles nichts geholfen hat, sind Juden geblieben."
Juden als Junkies – ein Vergleich, den die Romanfigur anstellt, um zu erklären, warum Juden trotz schlimmster Verfolgungen am Judentum festhielten, sagt Alfred Bodenheimer:
"In diesem Gespräch, wo es eigentlich darum geht: Warum machen wir das alles, ist für mich die letzte Erklärung: Wir tun das, weil wir das unbedingt tun wollen oder tun müssen. Und das hat irgendwo etwas, ich will nicht sagen: was von einer Sucht, aber von einem letztlich nicht nur unbedingt rational Erklärbarem. Sondern etwas, an dem man so sehr hängt, was einem so sehr viel bedeutet, dass man alle Widerstände sozusagen ignoriert oder überwindet, um es weiterhin zu tun."
"Das Ende vom Lied", so heißt Alfred Bodenheimers zweiter Krimi. Der dritte Roman ist bereits in Planung und soll an einer Universität spielen. Ein Mord im akademischen Bereich klingt vielversprechend. Und wohl keiner kennt sich da besser aus als ein Professor, der Krimis schreibt.

Alfred Bodenheimer: Das Ende vom Lied
Verlag Nagel & Kimche AG, Zürich
208 Seiten, 18,90 EUR

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