Alexander Girard im Vitra Design Museum

Der Meister der Muster

Grafik mit Entwürfen für Streichholzschachteln für das Restaurant La Fonda del Sol, Alexander Girard, 1960 / Nachlass Alexander Girard, Vitra Design
Streichholzschachtel als Kunstobjekt: Designer Alexander Girard liebte farbenfrohe Muster. © Vitra Design Museum
Von Johannes Halder · 13.03.2016
Bunt, bunter, Alexander Girard: Der 1907 in New York geborene Innenarchitekt hat mit seinen farbenfrohen Tapetenmustern und geschwungenen Möbeln Design-Maßstäbe gesetzt. Das Vitra Design Museum in Weil zeigt die erste umfassende Ausstellung seines Lebenswerks.
Ganz schön bunt hier. Starke Farben, opulente Formen, eine überbordende Fülle an Tapetenmustern und Textilien, an typografischem Dekor und sinnenfroh verspielten Dingen.
Der Gestalter Alexander Girard war offensichtlich äußerst produktiv. Er hat Radiogeräte entworfen, aber auch Möbel: schalenförmige Sessel mit einladenden Sitzmulden und Armlehnen wie Flügel, Tische mit geschwungenen Konturen oder - ganz typisch - deckenhohe Regalwände mit viel Platz für dekorative Dinge, die eine Wohnung erst mit Leben füllen. 1949 hatte er in Detroit eine wegweisende Schau kuratiert. Motto: "For Modern Living" – "Fürs moderne Wohnen". Charles Eames hatte ihn danach als Mitarbeiter rekrutiert, sagt Jochen Eisenbrand vom Vitra Design Museum:
"Man hatte sich vorher noch so sehr orientiert an Stahlrohrmöbeln, die aus Deutschland kamen vor allem in den 30er-Jahren. Und er versuchte jetzt, so ein bisschen beeinflusst vom skandinavischen Design, zu zeigen, dass modern eingerichtet sein nicht bedeutet, kühl, kalt eingerichtet zu sein, sondern dass das durchaus auch eine gewisse Gemütlichkeit beinhalten kann."
Gemütlich hieß, die Emotionen anzusprechen, und Girard bediente die Gefühle virtuos. 1953 entwarf er gemeinsam mit Eero Saarinen das Haus des Industriellen Irvin Miller in Columbus/Indiana, ein Paradebeispiel des "Amerikanischen Modernismus", das später zum nationalen Kulturdenkmal erhoben wurde.

Skandinavische Gemütlichkeit statt Stahlrohrmöbel

20 Jahre lang hatte er das Domizil auf Wunsch von Mrs. Miller immer wieder umdekoriert und daran seine alles verschlingende Fantasie ausgetobt.
"Für ihn war aber auch eine ganz wichtige Inspirationsquelle die Volkskunst oder Folk Art, die er schon seit den 1930er-Jahren gesammelt hat. Wirklich Volkskunst aus aller Welt, von der er sich immer wieder Ideen hat geben lassen für seine eigenen Entwürfe."
1953 verließ Girard die boomende Industriestadt Detroit und zog in die amerikanische Provinz, nach Santa Fe, New Mexico.
"Weil er dort, also unweit der mexikanischen Grenze, einen guten Überblick hatte über die Volkskunst, die dort geschaffen wurde und die er dann sammeln konnte. Über 100.000 Objekte hat er zusammengetragen aus mehr als 100 Ländern und hat diese Sammlung am Schluss dem Folk Art Museum in Santa Fe vermacht."
Rund 300 dieser Sammelstücke sind auch hier zu sehen: Masken, Holzpuppen, Kerzenhalter, Spielzeug oder Scherenschnitte, deren folkloristische Buntheit und Vielfalt seine Beute war. Girard war ein Meister der Muster und gewagten Kontraste, ein begnadeter Kolorist.
"Das war eine große Stärke von ihm, also das Kombinieren von Farben. Und dann auch das Herausfiltern von bestimmten archetypischen Symbolen: die Sonne, das Herz, die Krone, also auch Motive, die in der Volkskunst auftauchen und die er im Grunde noch einmal abstrahiert oder vereinfacht, um zu dem Kern dieser Abbildung zu kommen. Insofern hat das, was er da macht, auch ein bisschen was mit der Pop Art zu tun."
Girards Entwürfe sind eingängig und alltagstauglich und alles andere als abgehoben. Ihr Erfolg liegt wohl auch darin, dass sie sich stets in den Rahmen einer klaren Ordnung fügen, die das Auge nicht überstrapaziert.

Design an der Grenze zum Folklore-Kitsch

Nach diesem Rezept hat Girard auch zahlreiche Restaurants eingerichtet, darunter 1960 das legendäre Szene-Lokal "La Fonda del Sol" in New York, mit emaillierten Wandinschriften im mexikanischen Stil und einer labyrinthisch bunten Raumabfolge als Ausdruck lateinamerikanischer Lebensfreude. Geschirr, Besteck, Servietten, Speisekarten – alles perfekt durchgestylt bis zum Salzstreuer, oft hart an der Grenze zum Folklore-Kitsch. Doch die Gäste fühlten sich wohl.
Der amerikanischen Fluggesellschaft Braniff verpasste Girard 1965 ein komplett neues Erscheinungsbild. Die knallbunt lackierten Flugzeugrümpfe wurden anfangs zwar als "fliegende Farbdosen" verspottet, doch das spektakuläre Design bescherte der Airline ein enormes Wachstum.

Im bunten Universum des Alexander Girard

Girards Konzept umfasste über 17.000 gestalterische Modifikationen, vom Rollfeld bis in die Kabine, von der Anstecknadel bis zum Zuckertütchen. Selbst das Bordpersonal in seinen bunten Uniformen war eine Art Dekor.
Corporate Design für Braniff International Airways, 1965, Foto: Nachlass Alexander Girard, Vitra Design Museum
Die "fliegenden Farbdosen": Von Girard gestaltete Flugzeuge von Braniff International Airways. © Vitra Design Museum
"Es gab die Idee des Braniff Air Strip, wie das damals dann beworben wurde, das besagte, dass sich die Stewardessen in diesen Uniformen bis zu viermal umziehen sollten, um die vorwiegend männlichen Passagiere zu beglücken."
Es lag gewiss nicht an dem amüsant-absurden Bordtheater, dass Braniff 1982 in die Pleite flog, aber der fliegende Kleiderwechsel war wohl zu viel des Guten. Girards Entwürfe jedenfalls haben die Zeiten überdauert und Geschmackspuristen können beruhigt sein: die dezent inszenierte Schau in Weil am Rhein regelt sein buntes Universum auf ein Maß herunter, das pure Augenlust verschafft.

Die Ausstellung ist im Vitra Design Museum in Weil am Rhein bis zum 29. Januar 2017 zu sehen.

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