Alex van Warmerdam

Verwüstung einer Familie

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Der niederländische Regisseur Alex van Warmerdam © picture alliance / dpa / Susanna Saez
Von Jörg Taszman · 30.09.2014
Er ist der große Surrealist des niederländischen Kinos und gilt als Kultregisseur: Alex van Warmerdam. Nun kommt mit "Borgman" sein neues Werk in die Kinos - ein verstörender Trip in das menschliche Böse.
Sogar der Pfarrer macht mit zwei bewaffneten braven Bürgern samt Hunden Jagd auf Landstreicher, die sich im Wald in riesigen Höhlen verschanzt haben. Der bärtige Kamil Borgman versucht, noch seine Kollegen Ludwig und Pascal per Handy zu warnen, muss dann aber um sein Leben rennen. Und schon in dieser furiosen Anfangssequenz täuscht Alex van Warmerdam den Zuschauer indem er die Sympathien zunächst auf Kamil Borgman verteilt, der nach der erfolgreichen Flucht aus dem Wald höflich naiv nach einem Bad in der Nachbarschaft fragt.
"Könnte ich bei Ihnen vielleicht ein Bad nehmen? Eine Dusche tut's auch.
Ich denke nicht.
Ich mache Ihnen keine Schwierigkeiten.
Ich kenne Sie nicht und jemanden, den ich nicht kenne, lasse ich nicht rein."
Bei dem wohlbetuchten Ehepaar Richard und Marina mit ihrem modernen Haus gefällt es Borgman, der nicht locker lässt und den immer aggressiver werdenden Richard provoziert, indem er behauptet, dessen Frau zu kennen.
"Sie kennen meine Frau? Was wollen Sie eigentlich, Sie Arschloch?
Ganz ruhig. Ich kenne Ihre Frau, da kann ich auch nichts für.
Wer ist das?
Er sagt, du kennst ihn?
Ich kenne ihn nicht.
Komm schon, Maria, vom Krankenhaus. Du warst doch meine Krankenschwester.
... meine Frau heißt Marina.
Maria, Marina, alles das Gleiche.
Sie kennt sie nicht. Verschwinden Sie ...
Werd ich jetzt bestraft, weil ich Ihre Frau kenne.
Wenn Sie nicht verschwinden, schlage ich zu.
Marina, ist der immer so aggressiv?"
Richard rastet aus und verprügelt das obdachlose Opfer brutal. Als ihr Mann auf Arbeit ist, versorgt Marina den übel zugerichteten Kamil und versteckt ihn im Gartenhaus. Sie ist schockiert über ihren Ehemann und fühlt sich in der Anwesenheit des Fremden nicht unwohl. Borgman fühlt sich nach einigen Tagen schon ganz wie zu Hause. Und Marina, die ihn ursprünglich schnell wieder loswerden wollte, ändert ihre Meinung.
"Wollen Sie nicht bleiben?
Ich will mich nicht verstecken. Ich will mit dir an einem Tisch gehen.
Sie können zurück kommen unter anderer Identität.
Das ginge, aber nur mit Konsequenzen. Dein Gärtner, stehst du ihm denn nah?
Nein."
Leiser, schwarzer Humor
Kamil Borgman schleicht sich als Gärtner ein und genüsslich dreht Alex van Wamerdam die Situation um. Aus den scheinbar bemitleidenswerten Landstreichern wird eine raffinierte Bande, die vor Mord nicht zurückschrecken und das bürgerliche Leben von Richard, Marina, ihren drei blonden Kindern und dem dänischen Kindermädchen auf den Kopf stellen.
Szene aus dem Film "Borgman" mit Jan Bijvoet (links) und Hadewych Minis (rechts)
Szene aus dem Film "Borgman" mit Jan Bijvoet (links) und Hadewych Minis (rechts)© dpa / picture alliance / Cannes Film Festival
Ähnlich wie bei Buñuel in "Der diskrete Charme der Bourgeoisie" oder Michael Haneke in "Funny Games" nistet sich Camil mit seinen Kumpanen Ludwig und Pascal bei der reichen bürgerlichen Familie ein, die er langsam unterwandert und manipuliert. Dabei wahrt er immer die Etikette, wirkt höflich und kinderlieb.
Zu den absurd komischen Momenten des Films gehört es, wenn die drei vermeintlichen Gärtner mit anarchischer Zerstörungsfreude den Garten platt machen und völlig verwüsten. Getragen von bei uns völlig unbekannten Darstellern, funktioniert der Film vor allem deshalb, weil er so natürlich und realitätsnah wirkt.
In den Hauptrollen sieht man zwei großartige flämische Schauspieler, Jan Bijvoet als Borgman und Jeroen Perceval als Richard. Das ist eine Seltenheit. Denn trotz der Sprachverwandtschaft floppen die meisten populären flämischen Filme wie "Broken Circle" in den niederländischen Kinos, und das, obwohl das flämische und wallonische Kino aus Belgien seit Jahren international erfolgreicher ist als der niederländische Film. "Borgman" war so der erste Spielfilm aus den Niederlanden, der seit 38 Jahren wieder am Wettbewerb in Cannes teilnahm.
Der bittere aber doch leise, schwarze Humor in "Borgman" ist eine Weile durchaus amüsant, aber am Ende siegt dann doch ein eher kühler Zynismus. Wie schon in seinem letzten Spielfilm, den man in Deutschland sehen konnte, "Das Kleid" aus dem Jahr 1997, über die unheimlichen Abenteuer eines ständig den Besitzer wechselnden Designerkleides, hält Alex van Warmerdam seine originelle Grundidee nicht durch. Und so empfindet man weder Schadenfreude noch Trauer mit den Opfern; kann die Täter aber auch nie völlig ernst nehmen, weil man ihre Motive kaum versteht.
Und am Ende bleibt ein verstörendes überlanges Stück Kino. Gerade weil der Film sozial kaum verankert ist und fast alle Protagonisten ab einem gewissen Punkt unsympathisch werden, gleitet "Borgman" zu sehr in gut gemachtes Kunstgewerbe ab.
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