Alex Gino: "George"

Mutmacher zum Anderssein

Kinderfüße in Turnschuhen
Transgender in der Schule: Alex Gino hat ein schwieriges Thema angepackt © imago/Westend61
Von Sylvia Schwab · 23.08.2016
Seit über 20 Jahren ist der Autor Alex Gino in der Transgender-Bewegung aktiv. Seine Erfahrungen als Mädchen in einem Jungenkörper hat er in dem Jugendroman "George" verarbeitet. Wohltuend unpathetisch und nicht belehrend, meint Sylvia Schwab.
George ist äußerlich ein Junge, aber psychisch ein Mädchen. Das weiß er/sie, solange er/sie denken kann. Und weil Alex Gino viel von Georges Gefühlen und Gedanken erzählt, nennt er seine Figur von Anfang an "sie", wie ein Mädchen.
George ist circa elf Jahre alt, hat einen ruppig-rauen großen Bruder und eine liebevolle Mutter, eine sehr gute Freundin Kelly und eine einfühlsame Lehrerin.
Aber niemand ahnt, dass George den Jungen nur spielt, dass sie seelisch ganz und gar ein Mädchen ist. Und sie schafft es nicht, sich irgendjemandem anzuvertrauen, obwohl sie aus dem Fernsehen und dem Internet inzwischen weiß, was mit ihr los ist. Sie ist transgender, und sie kennt auch die Tragweite dieses Begriffs.

Über die Theaterbühne zur neuen Identität

Doch dann soll in der Schule ein Theaterstück aufgeführt werden, und George wünscht sich nichts sehnlicher, als die weibliche Hauptrolle zu spielen: die kluge Spinne Charlotte, die mit dem Schwein Wilbur befreundet ist und am Schluss sterben muss. Natürlich bekommt sie die Rolle nicht, aber sie beginnt zu begreifen, dass sie selbst etwas tun muss, wenn sie ihr wahres Ich nicht ihr Leben lang verstecken will.
George öffnet sich, erst der Freundin und dann dem Bruder, sie erfährt Unterstützung und am Schluss hat sie den Mut, sich öffentlich als Mädchen zu zeigen. Noch verkleidet, im geschützten Rahmen des Theaterstücks. Doch dies ist ihr erster Schritt hinaus ins Leben als Mädchen.
Schüler an einem Gymnasium sitzen nebeneinander auf einer Tischtennis-Platte. 
Schüler an einem Gymnasium sitzen nebeneinander auf einer Tischtennis-Platte. © dpa/Frank Rumpenhorst
Alex Gino hat ein schwieriges Thema angepackt: Denn eine solche Entwicklung kann nur ohne allzu große Blessuren gelingen, wenn das Umfeld dem Kind beisteht. Alex Gino hat das selbst erlebt und kann umso überzeugender davon erzählen. Auch den Lesern fällt es nicht schwer, George als Mädchen anzuerkennen, weil von Anfang an von "ihr" erzählt wird, von ihren Träumen, Hoffnungen, Ängsten. Man identifiziert sich unwillkürlich mit George.

Empathie und Verständnis für Transgender

Dazu kommt Georges Geschichte wohltuend unpathetisch daher. Zentrale Probleme und Aussagen sind knapp formuliert: "Sie war ein Mädchen, aber das wusste keiner", heißt es einmal. Die Dramatik des Geschehens wird nicht aufgebauscht, sie erscheint natürlich. Genauso wie die erstaunten oder auch erschrockenen Reaktionen von Georges Mutter oder Bruder. Denn: Was ist verständlicher und natürlicher, als dass Menschen, die George lieben, angesichts der zurückliegenden und bevorstehenden Schwierigkeiten erschrecken?
Alex Gino will Jugendliche nicht belehren mit seinem Roman, sondern informieren. Er will Empathie und Verständnis wecken für Menschen, die wie er nicht der Norm entsprechen. Am Schluss - und das ist eine besondere Erfahrung - bekommt George unerwartete Unterstützung aus einer Ecke, aus der man das nie erwartet hätte. Auch damit macht dieses Buch Mut zum Anderssein, egal wie.

Alex Gino: George
Aus dem Amerikanischen von Alexandra Ernst
Fischer-Verlag, Frankfurt 2016
224 Seiten, 11,95 Euro

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