Alessandro Biamonti: "ArchiFlop"

Die spektakulärsten Ruinen der modernen Architektur

Architektonische Flops: In China sollte einmal ein zweites Paris entstehen
Architektonische Flops: In China sollte einmal ein zweites Paris entstehen © picture alliance / dpa / Chinafotopress / Li Zhong / DVA
Von Eva Hepper · 31.03.2017
Investor pleite, falsch geplant, von der Zeit überholt: Gründe für das Scheitern architektonischer Großprojekte gibt es viele. Und doch haben auch die teuer errichteten Ruinen etwas Faszinierendes, wie der Bildband "ArchiFlop" von Alessandro Biamonti zeigt.
Mit Paris geht es bergab: Seine Fassaden bröckeln, die Plätze und die Champs Élysées wirken verwaist, und die meisten Ladenlokale stehen leer. Sicher, die Hochzeitspaare kommen noch immer zahlreich, und die etwa 2000 Einwohner schätzen ihre City. Aber die lokalen Medien bezeichnen Paris mittlerweile als Geisterstadt.
Dabei hatte 2007 alles so hoffnungsvoll begonnen: Das chinesische Tianducheng, nahe der Millionenstadt Hangzhou, sollte eine perfekte Kopie der französischen Hauptstadt en miniature werden. Geplant wurde für etwa 10.000 Einwohner. Doch die kamen nie. Die Mieten waren von Beginn an zu teuer, die Stadt schlecht zu erreichen. Zehn Jahre nach Baubeginn wirkt das Paris Chinas wie ein Potemkin’sches Dorf, umgeben von Gemüsegärten und angrenzenden Hochhaussiedlungen.

Geisterstädte und abgewirtschaftete Shopping Malls

Tianducheng ist eine von 25 "gescheiterten Visionen", die Alessandro Biamonti in seinem faszinierenden Bildband vorstellt. Der italienische Architekt und Design-Dozent erzählt darin von den weltweit "spektakulärsten Ruinen der modernen Architektur". Seine Geschichten reichen von asiatischen und afrikanischen Geisterstädten über abgewirtschaftete amerikanische Shoppingmalls, Vergnügungsparks und nie fertig gebaute Wolkenkratzer bis hin zu ideologisch überdimensionierten Monumentalbauten in Osteuropa.
Spektakulär sind nicht nur die Ruinen selbst, sondern auch die Fotografien, mit denen sie über viele Seiten hinweg porträtiert werden. Die Bauern mit Egge und Rechen am Fuß des Eifelturms von Tianducheng wirken ebenso surreal wie die an alte Science-Fiction-Filme erinnernden Wohnkuben von Sanzhi Pod City, einer bereits abgerissenen Feriensiedlung im taiwanesischen Neu-Taipeh. Die schimmelnden Teppichböden der Cinderella City Mall (Englewood, Colorado) glaubt man förmlich zu riechen, und die künstliche Aufschüttung der Insel Hashima nahe Nagasaki mit ihren halb eingestürzten Wohnblöcken, in deren Inneren noch Mobiliar, Schuhe und Zeitungen liegen, gleichen Szenarien von Alien-Filmen.

Nicht abreißen, sondern umnutzen!

Fast könnte man über die fesselnden Bilder die Texte vergessen, doch die sind lohnend zu lesen. Sie erzählen die jeweils eigenen und sich doch gleichenden Geschichten des Scheiterns. Mal ging der Investor pleite, mal haben sich Vorhaben überholt, oft wurde aberwitzig überdimensioniert und viel zu teuer geplant, vielmals auch an den Nutzern vorbei, und manches, wie die nie eröffnete Metrolinie Chatelet im belgischen Charleroi, war veraltet, bevor es fertig gestellt wurde.
Biamontis Zusammenstellung gleicht einem Gang durchs Raritätenkabinett verfehlter Architektur, und es macht ein seltsames Vergnügen, diese Ruinen zu studieren. Dem Autor allerdings geht es nicht um den lustvollen Schauder, sondern um eine neue Betrachtungsweise des Scheiterns. Nicht abreißen, sondern umnutzen, schlägt er vor. Wie etwa aus dem aufgegebenen Hochhaus Torre Galfa in Mailand ein vertikaler Park werden könnte, hat er mit Studierenden bereits untersucht. So wird aus einer Dystopie wieder Utopie. Ein spannendes Buch!

Alessandro Biamonti: ArchiFlop. Gescheiterte Visionen. Die spektakulärsten Ruinen der modernen Architektur
Aus dem Italienischen von Ulrike Stopfel
DVA 2017
192 Seiten, 29,95 Euro

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