Album "Semper Femina" von Laura Marling

Von der Schönheit und Verwundbarkeit der Frau

Die Sängerin Laura Marling, hier im Hamburger "Knust" im Mai 2915
Die Sängerin Laura Marling, hier im Hamburger "Knust" im Mai 2015 © imago/Future Image
Von Robert Rotifer · 13.03.2017
Als Teenager machte Laura Marling mit ihrem erstaunlichen Debüt "Alas I Cannot Swim" auf sich aufmerksam – und löste sich aus dem Dunstkreis der britischen Indie-Folk-Szene. Auf ihrem neuen Album "Semper Femina" zeigt sie sich besessen von der Lyrik Rainer Maria Rilkes.
Eine dunkelhäutige Frau in rotem Latex-Kostüm wälzt sich auf einem Bett, eine hellhäutige in schwarzem Latex kommt dazu. Sie rollen übereinander hinweg. Es ist ein Popvideo, die sexualisierten Bilder kommen also nicht unerwartet. Aber man spürt doch: Irgendwas an der Gestik ist hier anders als gewohnt. Spätestens in dem Moment, als die beiden Frauen die Hände verschränken.
Und dann wird klar, dass das Bett in einer von Pflanzen überwachsenen Wohnung steht, und eine schweigende Versammlung regungslos die Berührungen der beiden Frauen beobachtet. Das Video zum Song "Soothing" ist Laura Marlings Erstlingswerk als Regisseurin, und die Symbolsprache, die sie dabei verwendet, ebenso dicht wie uneindeutig.

"Es ist Tanz, nicht Sex"

Marling: "Es ist viel Provokatives daran. Sogar das Wort 'provokativ' hat schon sexuelle Untertöne. Aber ich habe mich für die Symbolik des Fetischismus interessiert. Das Erste, was man in diesem Video sieht, ist dieses schöne, glänzende Latex. Die Art, in der die Frauen einander umarmen, das ist Tanz, nicht Sex. Das finde ich interessant. Wo sind unsere Grenzen? Was ist sexuell und was nicht? Und was ist intim?"
Laura Marlings Video zu "Soothing" drückt das Grundthema ihres neuen Albums "Semper Femina" aus. Die Sängerin und Autorin tauscht die dem weiblichen Popstar angestammte Rolle der Betrachteten gegen die der Betrachterin.
Marling: "Auf dieser Platte fragte ich mich, wo unsere Ehrfurcht gegenüber weiblicher Schönheit herkommt."
Sie wäre gern auf eine Art frei, wie es eine Frau allein immer noch nicht sein kann", singt Laura Marling in "Nouel", jenem Lied, in dessen Text auch der Albumtitel "Semper Femina" immer wieder auftaucht.
Interessanterweise hat sie aber gerade dieses Album, im Gegensatz zu seinem Vorgänger "Short Movie", nicht alleine, sondern in Zusammenarbeit mit einem jungen Mann produziert - dem in der Szene von Los Angeles als Gitarrenwunder gehandelten 29-jährigen Blake Mills.

"Black Mills ist der talentierteste Mensch, den ich je getroffen habe"

Marling: "Als ich begann mit ihm zu arbeiten, hatte ich gerade die Tour für 'Short Movie' hinter mir. Am Ende dieser isolierten Zeit meines Lebens war ich wirklich erschöpft und bereit für jemanden, der die Dinge für mich arrangieren konnte. Blake Mills' Kreativität ist nicht von dieser Welt, er ist der talentierteste Mensch, den ich je getroffen habe."
Der beste Beweis von Blake Mills' Talent als Produzent von "Semper Femina" liegt allerdings in seiner Unsichtbarkeit. Keinen Moment klingt dieses Album wie irgendetwas anderes als Laura Marlings ureigenste Vision.
"Wir brauchen die Schönheit, denn sie braucht uns auch, sie braucht unsere spröde Glasur", singt Marling hier im Song "The Valley". Die Inspiration zu solchen Zeilen kommt überraschenderweise von einem vor 90 Jahren gestorbenen österreichischen Dichter, Rainer Maria Rilke, dessen 'Duineser Elegien' sie aus dem Stehgreif rezitiert.

"Verwundbarkeit zuzugeben, ist zutiefst weiblich"

Marling: "Da gibt es dieses Rilke-Gedicht, wo er sagt: 'Das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang, den wir gerade noch ertragen, und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht, uns zu zerstören.' Es ist ziemlich neu für Frauen, sich einzugestehen, dass sie verwundbar sind gegenüber dem Terror der Schönheit. Ich bin besessen von Rilke. Er hat keine Angst, seine verwundbare Obsession mit dem Schönen auszudrücken. Ich finde: Verwundbarkeit zuzugeben, ist zutiefst weiblich. Und Rilke hieß das in sich willkommen."
Es kommt wohl Skepsis auf, wenn eine 27-Jährige sich in ihrer Erkundung des Femininen am Frauenbild von Rainer Maria Rilke orientiert. Doch Marlings Aneignung des Musenmythos verleiht "Semper Femina" auch einen auf willkommene Weise anachronistischen, weil gänzlich unzynischen Ton. Was das Album zu einem Erfolg macht, sind aber letztlich nicht ihre Thesen, sondern Dinge, die ihr scheinbar wie von selbst unterlaufen: Ihr bei aller poetischer Ambition stets auf Augenhöhe wie ein Gespräch am Küchentisch ins Ohr gehender, ungezierter Gesang, ihr oft übersehenes, erstaunliches Gitarrenspiel und eine Gabe für wirklich große Melodien.
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