AKW Zwentendorf in Österreich

Ein Atomkraftwerk als Reiseziel

AKW Zwentendorf
Das Kernkraftwerk Zwentendorf in Österreich © imago stock&people
Von Stefan May · 03.08.2016
Das Atomkraftwerk Zwentendorf wurde einst für die österreichische Stromversorgung gebaut. In einer Volksabstimmung 1978 entschied sich die Bevölkerung jedoch dagegen. Seither ist das AKW Zwentendorf ein Denkmal der Atomkraft und beliebtes Reiseziel.
"Ein Kernkraftwerk strahlt Sicherheit aus."
So klang die Werbung für das geplante Atomkraftwerk mitten in Österreich, an der schönen, blauen Donau.
"Kernkraft – Kernenergie - Kerngesund"
Nach dem Nein in der Volksabstimmung verschwand der Werbefilm und ist kürzlich wieder aufgetaucht, im Keller des nie in Betrieb gegangenen AKW Zwentendorf. Der heutige Eigentümer der Anlage hat ihn auf Youtube gestellt und damit einen unvermuteten Hype ausgelöst: der acht Minuten lange Propagandastreifen wurde innerhalb von zwei Monaten 150.000 Mal angeklickt. Zwentendorf ist aus der Vergessenheit gerissen.

15.000 Besucher jährlich

Eigentümer der Anlage ist der niederösterreichische Energieversorger EVN. Dessen Kommunikationschef Stefan Zach erzählt von einem erstaunlichen Phänomen: Er steht keine zehn Minuten am Tor, schon scharen sich die Radler des am Werk vorbeiführenden Donau-Radweges um ihn und fragen nach Führungen.
Stefan Zach: "Zwentendorf ist eine wirklich coole Location. Wird immer wieder angefragt, und da verdienen wir auch ein bisschen Geld."
Bis zu 15.000 Besucher lassen sich jährlich durch den Bau führen, allerdings gratis. Geld verdient die EVN mit den Sicherheitstrainings, die Bedienstete aktiver Kernkraftwerke im Ausland in Zwentendorf absolvieren – von AKW-Standorten, die abgebaut werden.
Stefan Zach: "Wir glauben deshalb, dass Zwentendorf in dieser Zeit auch einen Beitrag zur Reaktorsicherheit in Europa geleistet hat. Wir haben es in den letzten zwei Jahren zu einem Rückbautrainingszentrum umgebaut. Hier kann man trainieren, wie man ein bestehendes Kraftwerk am Ende seines Lebens abbaut und stufenweise demontiert, bis dann nur noch eine grüne Wiese da ist."

Energieversorger halten den Bau als Reserve

Eine halbe Stunde von Wien entfernt, nur wenige Meter neben der Donau, steht ein grauer Würfel mit schlankem Schornstein mitten im Auwald. An einem solchen Ort würde heute kein Kraftwerk mehr genehmigt werden, ist man sich bei den EVN sicher. Aber alle Genehmigungen von damals gelten noch und die Stromleitungen sind noch intakt, deshalb hält der Energieversorger den Bau als Reserve vor. Vielleicht wird die Anlage einmal zum Gas- oder Biomassekraftwerk umgebaut. Vorerst ist sie ein Museum, ein Museum der Atomkraft-Träume der 70er Jahre.
Stellen sie sich einmal vor: ein Kinderspital ohne Strom. Ja, ohne Strom wird es still, ganz still.
Nach dem Nein zu Zwentendorf ging den Österreichern nicht der Strom aus, das Kinderspital wurde weiter mit Strom versorgt. Still wurde es im unvollendeten Kernkraftwerk. Dicke Stahltüren trennen die einzelnen Bereiche, Kondenswasser glänzt an den mit Ölfarbe gestrichenen Wänden der kühlen Gänge. Die mannshohen Rohre, durch die das der Donau entnommene Kühlwasser fließen sollte, sind begehbar. Ein Lift fährt hinauf zum Herzstück des Kraftwerks.
Stefan Zach: "Wir befinden uns hier auf 39,5 Meter in der Reaktorhalle und schauen direkt in den Reaktordruckbehälter hinein. Der Deckel ist abgehoben. Normalerweise ist der Reaktorbehälter mit dem Reaktordruckdeckel verschlossen."

Werbefilm 1978 blieb erfolglos

"Kann ein Reaktor zu heiß werden? Gefährlich werden? Durchgehen? Nein."
Eine knappe Mehrheit der Österreicher ließ sich von der Werbung für Zwentendorf nicht beeindrucken und stimmte gegen die Inbetriebnahme des Kernkraftwerks. Einer der Geschäftsführer nahm sich später das Leben, der andere wechselte beruflich zu den erneuerbaren Energien.
Stefan Zach: "Als am Abend des 5. November 1978 dieses Ergebnis verkündet worden ist im österreichischen Fernsehen, ist nicht nur für 200 Kerntechniker, die bereits vor Ort beschäftigt waren, eine Welt zusammengebrochen. Das waren 200 hochqualifizierte Spezialisten, die jahrelange Spezialausbildung in Deutschland und den Vereinigten Staaten gemacht haben für diesen verantwortungsvollen Job. Denen ist plötzlich bewusst geworden, dass sie den in Österreich möglicherweise nicht werden ausüben können."
Ihr vorgesehener Arbeitsplatz ist verwaist: die Schaltwarte, der zentrale Steuerungsraum des Atomkraftwerks. Ein Büroraum im Stil der 70er Jahre. Alles mutet etwas klobig an, von den Stühlen bis zu den beiden Telefonapparaten.
Stefan Zach: "Aus meiner Sicht ist es der schönste Raum im AKW Zwentendorf, ein Raum mit einem ganz besonderen Flair. Wenn man reinkommt, sieht man eine Unzahl von Schaltflächen, von blinkenden Lampen. Hier werden alle Fehlermeldungen der letzten 40 Jahre nach wie vor angezeigt. Es gibt alte Bildschirme, die allerdings nicht aus der Errichtungsphase, also aus der Inbetriebnahmephase stammen, die kamen etwas später. Hier ist das rote Telefon, die direkte Verbindung ins Bundeskanzleramt."

Eine Milliarde Euro kostete die Instandhaltung

500 Millionen Euro hatte der Bau des AKW Zwentendorf gekostet. Nach dem Nein zur Inbetriebnahme wurde es im Konservierungsbetrieb für den Fall bereit gehalten, dass sich die Politik doch noch anders entscheidet. Das Einschweißen von Metallteilen in Folien, das regelmäßige Warten, Entölen und Einölen über weitere sieben Jahre, kostete nochmals 500 Millionen Euro. Dann gab die Energiewirtschaft ihre Hoffnungen endgültig auf. In der Schaltzentrale hängt die einzige Uhr des Atomkraftwerks. Sie steht immer auf fünf vor zwölf.
"Sie sind jetzt besser informiert über Kernkraftwerke. Mit dem Märchen von der Explosion kann man sie nicht mehr so leicht schrecken. Weil sie mehr wissen. Oder mit der Strahlenangst. Sie kennen die Kernfrage."
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