Aktienhandel

Der "Big Bang" an der Londoner Börse

Die City of London ist der wichtigste Finanzplatz Europas.
Die City of London ist der wichtigste Finanzplatz Europas. © dpa / picture alliance / EPA / Andy Rain
Von Ruth Rach · 27.10.2016
Die Londoner "City" ist zwar nur drei Quadratkilometer groß, aber von höchster finanzpolitischer Bedeutung. Durch den "Big Bang" vor 30 Jahren wurde die enge Zusammenarbeit mit der britischen Regierung erschüttert. Margaret Thatcher schaffte regulative Fesseln ab – mit höchst umstrittenen Folgen.
Die Londoner City. Schon seit Jahrhunderten von höchster kommerzieller Bedeutung: Die Geldhäuser finanzierten den Ausbau des Empire und arbeiteten stets eng mit der Regierung in Westminster zusammen. Hier hatten Banker das Sagen, die in den feinsten Privatschulen erzogen wurden und eine Art Gentlemen-Kapitalismus pflegten: Ein paar Stündchen handeln, dann ausführlich lunchen und sich anschließend in einem Privatclub in der Nähe von Westminster erholen. Eine Tradition, mit der die konservative Premierministerin Margaret Thatcher nach ihrem Machtantritt 1979 gründlich aufräumte, sagt Paul Auerbach, Wirtschaftsdozent an der Universität Kingston:
"Frau Thatcher wollte die Londoner City für ausländisches Kapital so attraktiv wie möglich machen, und so wurde Großbritannien eines der ersten Länder, in dem die Devisenkontrollen und die staatliche Überwachung von Kapitalbewegungen abgeschafft wurden."
Innerhalb weniger Jahre wurde die City zu einem Magneten für die internationale Vermögensverwaltung. Aber Frau Thatcher ging noch einen Schritt weiter.
Am 27. Oktober 1986 trat ein Gesetz in Kraft, das den Wertpapierhandel von seinen regulativen Fesseln befreite. Die Trennung zwischen normalen Banken und Investmentbanken wurde aufgehoben, die Kontrolle von Kommissionen abgeschafft. Die City sprach von einer finanzpolitischen Revolution. Die Medien von einem Urknall, dem Big Bang.
"Und plötzlich konnten die Banker mit den Geldern, die von den Kunden einbezahlt wurden, spielen und spekulieren, gerade so, als wären sie Investmentbanker. Traditionelle Bausparkassen verloren ihren Sonderstatus und wurden von den großen Banken verschluckt. Ausländische Banken rieben sich die Hände: Für sie galten plötzlich dieselben Bestimmungen wie für die britischen Banken."
Zahlreiche amerikanische Geldinstitute ließen sich in der Londoner City nieder und importierten ihre Kultur: Riskante Transaktionen, riesige Gewinne, stratosphärische Boni. Der Gentleman Banker wurde zum Mythos und von einer neuen Spezies verdrängt, die Ex-Banker Geraint Anderson in seinem Enthüllungsroman "Cityboy" beschrieb:
"Wer ist der Cityboy? Er ist der dreiste Idiot im Maßanzug, der dich in der U-Bahn aus dem Weg schiebt. Der egoistische Witzbold, der auf einer Dinner Party damit prahlt, wieviel Cash er auf dem Markt gemacht hat. Der gierige Dreckskerl, der dazu beiträgt, dass sich die Welt immer schneller in einen Misthaufen verwandelt."

Gravierende Auswirkungen auf das ganze Land

Großbritannien, noch in den 70er-Jahren als "kranker Mann Europas" bezeichnet, feierte den großen Konsumrausch. Im Rückblick gibt selbst der damalige konservative Schatzkanzler Nigel Lawson zu:
"Damals herrschte ein exzessiver Optimismus. Es gab völlig überzogene Erwartungen. Natürlich ist der Wirtschaft mit einer optimistischen Haltung besser gedient. Aber was wir damals erlebten, das ging eindeutig zu weit."
Und es hatte gravierende Folgen für den sozialen Zusammenhalt. In keiner anderen Metropole der westlichen Welt ist das soziale Gefälle so groß wie in London. Auch die Kluft zwischen dem Süden und dem Norden wird immer tiefer. Teile von Nordengland sind im Zuge der von Frau Thatcher vorangetriebenen De-Industrialisierung bitterarm. Großbritannien hängt inzwischen viel zu sehr von seinem Finanzsektor ab, sagt Paul Auerbach:
"Während die USA einen enorm großen Industrie- und Landwirtschaftssektor besitzen, ist Großbritannien äußerst einseitig geworden. Das ist schlecht für den Arbeitsmarkt. Der Finanzsektor hat relativ wenig Arbeitsplätze, außerdem wirbt er wertvolle Nachwuchskräfte direkt nach dem Studienabschluss ab. Das sind junge Talente, die sich in der Wissenschaft oder in der Industrie viel nützlicher machen könnten."
Nach dem Finanzcrash von 2008 wurden auch in der Londoner City neue Regelungen geschaffen. Kritiker können sich aber vorstellen, dass sie nach dem Brexit wieder gelockert werden könnten, um den globalen Finanzplatz London besonders attraktiv zu machen.
"Kurz und mittelfristig wird das ausländische Kapital London nicht mehr als eine leicht zugängliche Plattform für Europa betrachten. Langfristig gesehen ist der Finanzplatz London aber weiterhin attraktiv. Wegen seiner Sprache, wegen seiner geopolitischen Lage und wegen seines ausgesprochen freundlichen Geschäftsklimas."
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