Akram Zaatari

Archäologe des Krieges und der Konflikte

Der libanesische Künstler Akram Zaatari im Kunsthaus Zürich
Der libanesische Künstler Akram Zaatari im Kunsthaus Zürich © dpa / picture alliance / Walter Bieri
Von Johannes Halder · 19.05.2016
Geschichte, Erinnern, Krieg und Widerstand sind die Themen des libanesischen Künstlers Akram Zaatari. Das Kunsthaus Zürich widmet dem 50-Jährigen, der sein Land bei der Venedig-Biennale 2013 vertrat, eine eindrucksvolle Schau.
Die Story könnte auch der Stoff für einen Hollywood-Film sein. Im Sommer 1982, während der israelischen Besatzung des Libanon, erhält ein israelischer Kampfpilot den Auftrag, ein Objekt im Süden des Landes zu zerstören. Der Pilot erkennt das Ziel als eine Schule, ändert in einer spontanen Gewissensentscheidung seinen Kurs und wirft seine Bomben stattdessen ins Meer.
Jahre später gibt sich der Pilot zu erkennen, nachdem die Gerüchte um seine Tat fast zu einem Mythos wurden. Den Film hat der libanesische Künstler Akram Zaatari gemacht, 2013. Zaataris Vater war der Direktor jener Schule gewesen; der Sohn hat das Ereignis als 16-Jähriger selbst erlebt und den Piloten später getroffen.
"Letter to a refusing pilot", Brief an einen Piloten, der sich weigert, heißt der Film, ein halbstündiges, subtiles Drama um Schuld und Gewissen, um Mut zum Widerstand und um die Suche nach der geschichtlichen Wahrheit in einem Alltag, in dem Krieg, Gewalt und Angst ständige Begleiter sind.
Der Film, der mit einer akustischen Attacke beginnt, zieht uns sanft in die Geschichte hinein, gelegentlich geradezu poetisch. Er handelt von der unschuldigen Lust am Fliegen, von Spiel und Zerstörung, von jugendlichem Übermut, doch schließlich auch von politisch entgleister Gewalt, die vom Himmel fällt.
In der Schau hat Zaatari den Film ergänzt und penibel gefaltete Papierflieger an die Wand gepinnt, er zeigt fiktive Alben mit Familienfotos und militärischem Material, dazu grob gerasterte Großaufnahmen von Jagdflugzeugen, Fotos von Gebäuden oder von Explosionswolken über den Hügeln der Stadt. Und langsam gewinnt die Geschichte, auch die Person des Piloten, Gestalt in unserer Phantasie.
Zaatari ist ein Sammler und Entdecker, seine Arbeitsmethode vergleicht er mit der eines Archäologen.
"Ja, ich bin so etwas wie ein Archäologe auf dem Gebiet von Kriegen und Konflikten. Ich suche nach Dokumenten und grabe sie aus, bringe sie ans Tageslicht und mache Geschichten daraus."

Zeitreise durch den Nahen Osten

"A Day – Ein Tag" heißt ein anderer Film, der bereits 2003 entstand. Dazu darf man sich im Kunsthaus ins Kinogestühl setzen, anderthalb Stunden lang. Es ist eine Art Zeitreise durch den Nahen Osten, die untersucht, wann und warum Menschen sich entscheiden, ihre Erlebnisse fotografisch, filmisch oder schriftlich festzuhalten.
"Mich interessiert, wie sich die kleinen Geschichten einzelner Leute in den Lauf der großen Zeitgeschichte verwickeln. Ich schaue gerne in Tagebücher, auch in meine eigenen. Da steht dann zum Beispiel: "Heute ging ich zur Fahrstunde.” Und am gleichen Tag gab es einen Luftangriff direkt vor unserem Haus. Solche Sachen. Diese Mischung macht die Geschichte viel komplexer als das, was man in Geschichtsbüchern oder in der Zeitung liest. Ich glaube, das ist wichtig, wenn man über Geschichte spricht."
Wie so Geschichten zu Geschichte werden, das stellt die offizielle Geschichtsschreibung immer wieder in Frage.
Doch Zaatari kann auch anders: ironisch, witzig, hintergründig. In einem zwölf Minuten langen Video mit dem tröstlichen Titel "Tomorrow everything will be alright" – "Morgen wird alles gut" entwickelt sich ein Chat zwischen zwei Verliebten. Doch der emotionsgeladene Dialog erscheint nicht auf dem Bildschirm eines Smartphones oder Computers, sondern paradoxerweise auf Papier, getippt mit einer Schreibmaschine.
"Man weiß nicht recht: Schreibt da jemand ein Drehbuch oder ist das wirklich ein Chat? Es herrscht eine rätselhafte Atmosphäre, ein Tribut an die Love Stories der Filmgeschichte. Es ist die Geschichte einer schwulen Liebe, und es gibt Hoffnung: Morgen wird alles gut. Auch wenn die Sache tragisch endet, nachdem die Beziehung völlig zerbricht – es gibt doch Hoffnung."
Die Geschichte mit der Verweigerung des israelischen Bomberpiloten hatte übrigens kein Happy End. Die Schule wurde trotzdem zerbombt – ein Kollege des Helden hatte den vermeintlichen Fehler Stunden später korrigiert. Der andere aber hat bis heute ein reines Gewissen.
Informationen des Kunsthaus Zürich über die Ausstellung "This Day at Ten"
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