Airbus-Absturz

"Schwelgen in dem Leid von Betroffenen"

Journalisten interviewen nach dem Absturz der Germanwings-Maschine in Südfrankreich eine Schülerin in Haltern am See
Journalisten interviewen nach dem Absturz der Germanwings-Maschine in Südfrankreich eine Schülerin in Haltern am See © AFP / Sascha Schürmann
Hans Kepplinger im Gespräch mit Christopher Ricke und Anke Schaefer · 27.03.2015
Voller Name, Foto, Fragen an Freunde und Nachbarn: Über den Copiloten, der sein Flugzeug offenbar absichtlich zum Absturz gebracht hat, berichten Medien auch sehr ausführlich jenseits rein nachrichtlicher Fragen. Der Kommunikationswissenschaftler Hans Mathias Kepplinger kritisiert das teilweise als "unerträglich".
Massenmörder, Amokpilot, Wahnsinnstat – mit diesen und ähnlichen Begriffen beschreiben die Bild-Zeitung und auch andere Medien den Absturz der Germanwings-Maschine in Südfrankreich, bei dem am Dienstag 150 Menschen ums Leben kamen. Die Bild-Zeitung beispielsweise zeigt auf der Titelseite ein Foto des 27-jährigen Copiloten, der diesen Crash nach Erkenntnissen der Ermittler absichtlich herbeigeführt hat.
Der Mainzer Kommunikationswissenschaftler Hans Mathias Kepplinger kritisiert die ausführliche Berichterstattung vieler Medien jenseits des rein nachrichtlichen Geschehens, vor allem die Praxis der Bild-Zeitung. "Die Titelseite ist unsäglich", sagte er am Freitag im Deutschlandradio Kultur. Der Copilot sei "aller Vermutung nach schwer krank gewesen" und es sei "ein Unding, einen Schwerkranken, der aufgrund seiner schweren Erkrankung fast 150 Menschen mit in den Tod gerissen hat", in dieser Form öffentlich anzuprangern. "Die Suche nach den Krankheitsursachen ist sehr legitim, aber die Bloßstellung dieses Menschen geht über das journalistisch Vertretbare hinaus."
"Einer der schlimmsten Fehlgriffe"
Zur Berichterstattung über einen derartigen Fall sagte Kepplinger: "Den vollen Namen sollte man nicht nennen und ein Bild in dieser Form auf keinen Fall zeigen." Denn es gehe nicht nur um den Copiloten selbst, sondern auch um dessen Familie, Freunde, Nachbarn, seine soziale Umgebung. Sie würden durch das Anprangern des Copiloten "unter einen ungeheuren Druck gesetzt". Es entstehe ein Rechtfertigungsdruck: "Warum habe ich nichts gesagt oder nichts gesehen, warum war ich so blind." Außerdem entstehe ein zunehmender Druck "durch die wachsende Menge an Journalsisten, die diese Leute gegen Honorarzahlungen ausquetschen wollen."
Spekulative Fragen danach, wie sich wohl die Opfer in der Absturzsituation gefühlt haben mögen, sei "einer der schlimmsten Fehlgriffe, die man machen kann". Noch schlimmer sei es, wenn man die Angehörigen fragt, wie sie sich fühlen. Das sei in den letzten Tagen auch durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gegangen. "Das finde ich unerträglich. Das hat mit Information überhaupt nichts zu tun." Es sei doch klar, wie die Leute sich fühlen. "Hier ist ein Schwelgen in dem Leid von Betroffenen."
Allerdings sagte Kepplinger auch, man müsse im Hinblick auf die Berichterstattung der Bild-Zeitung differenzieren. Im Innenteil biete das Medium "guten Journalismus" in Bezug auf den Flugzeug-Absturz.
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