Aids-Archiv

Positive Nachlässe

Aids-Schleife
Wie sah der Umgang mit Aids in den letzten 30 Jahren aus? Das lässt sich jetzt im Aids-Archiv erforschen. © dpa/picture-alliance/Oliver Berg
Von Frauke Oppenberg  · 29.04.2015
Wie ist man in den letzten 30 Jahren mit Aids umgegangen? Wie haben Aidskranke gelebt, wie sah ihr Alltag aus? Das kann man jetzt in Tagebüchern, Briefen oder Flugblättern nachvollziehen, die das neu entstandene Aids-Archiv in Berlin sammelt.
Corinna Gekeler: "Also, wir haben hier eine ganze Kiste aus Köln bekommen, das ist jetzt sehr unsortiert, das ist ein wüster Haufen, wo wir uns erst mal durchwühlen."
Corinna Gekeler und Axel Schock sitzen in einem nüchternen Universitätsbüro, blättern in vergilbtem Papier und kramen in Umzugskartons.
Axel Schock: "Wir haben hier, das ist so ein kleiner Problemfall aus Wuppertal, da gab es Radiospots, Safer-Sex-Aufklärungsspots fürs breite Publikum, und wie Du siehst als geübte Radiofrau, ist es noch ein richtiges Tonband auf einem sogenannten Bobby."
Die beiden Archivare sammeln alles: Tonbänder und VHS-Kasetten, die noch digitalisiert werden müssen, aber vor allem Plakate, persönliche Notizen, Briefe oder Tagebücher von HIV-Positiven und ihren Angehörigen. Kistenweise stehen diese Zeitdokumente in den Büros des Instituts für deutsche Literatur der Humboldt-Universität.
Material aus ganz Deutschland
Die Forschungsstelle "Archiv für Sexualwissenschaft" ist hier zuhause und die hat das Modellprojekt Aidsarchiv vor zehn Monaten ins Leben gerufen. Seitdem wühlen sich Corinna Gekeler und Axel Schock durch das Material, das sie in ganz Deutschland aus Kellern und Garagen geholt haben. Zig Kartons, die fast schon davor waren, auf dem Müll zu landen.
Gekeler: "Das hören wir öfter von Leuten, ich weiß nicht, wofür ich es noch bewahrt habe und über so viele Umzüge mitgeschleppt habe, und jetzt hat es einen Sinn, dass die wohin kommen und dass Forscher noch eine Geschichte draus machen können, was hier so abgegangen ist."
Das Material, das die beiden langjährigen Aids-Aktivisten zusammen sammeln, erzählt viele Geschichten. Von Tod und Trauer natürlich, wie Aids unseren Umgang mit dem Sterben verändert hat. Die Hospizbewegung zum Beispiel gibt es erst seitdem. Oder wie die heutige Form von Selbsthilfe entstanden ist, weil Menschen sich von der staatlichen Hilfe allein gelassen gefühlt und sich gegenseitig geholfen haben.
Es sind aber auch humorvolle Geschichten, die Corinna Gekeler und Axel Schock in den Nachlässen finden. Plakate von Theaterstücken oder Travestieshows zum Beispiel.
Gekeler: (faltet Plakat auseinander) "Hier noch mal Ladies Night. Sind das nicht schöne Ladies? Und in diesen Programmen ist immer Thema gewesen HIV und Aids. Die maßgeblichen Künstlerinnen, Melitta Sundström zum Beispiel hat noch eine CD rausgebracht, eine wundervolle Soul-CD, und ist kurz danach verstorben, in Berlin ist das Melitta-Sundström-Café nach ihr benannt. Wenn Du fragst, warum wir das bewahren und nicht aussortieren? Also, ich würde sagen, das muss der Nachwelt erhalten bleiben. Vielleicht möchte der ein oder andere Forscher dann doch mal was genauer wissen, was da so los war künstlerisch."
Einzigartige Pionierarbeit
Aussortieren müssen Corinna Gekeler und Axel Schock zum Glück nicht viel. Denn was sie machen, ist Pionierarbeit. Das Aids-Archiv an der Berliner Humboldt-Universität wird einzigartig in der deutschen Archiv- und Museumslandschaft sein.
Schock: "Deswegen kam es überhaupt zu diesem ganzen Projekt, dass fast nirgends irgendwas aufgehoben ist. All die Dinge landen eben normalerweise nicht im Heimatmuseum, landen nicht im Stadtarchiv oder ähnlichen Einrichtungen. Gerade alles, was einmalig ist, weil es eben die private Korrespondenz ist, das Fotoalbum ist, die private Sammlung eines Menschen und dessen verstorbener Freunde und Bekannter und Kollegen ist, das hat eben kein Archiv und wird auch wahrscheinlich niemand anderes bislang leider sammeln."
Bis Juli müssen Corinna Gekeler und Axel Schock alles, was sie gesammelt haben, katalogisieren. Akribisch tragen sie jeden archivierten Brief, jedes Plakat, jedes Foto in Excel-Tabellen ein. Trockene Chronistenpflicht. Aber immer wieder gibt es Momente, die den beiden Archivaren ans Herz gehen.
Schock: "Zum Beispiel, wir haben eine kleinen, aber unglaublich berührenden Nachlass von einer Frau, deren Sohn, der Bluter war, als Teenager gestorben ist. Allein die Fotos von diesem Jungen zu sehen, der schon schwerstkrank ist und dann das Foto vom Grab zu sehen, da ist man nicht ganz kalt mehr."
Gekeler: "Und dann liest man die Korrespondenz, die sie geführt hat um die Entschädigung, wie die Verhandlungen so liefen damals und wie die Leute, na ja, über den Tisch gezogen stimmt nicht ganz, jedenfalls wie sie sich auseinandersetzen mussten, die Krankenakte von diesem Jungen dann dazu, wenn man das alles versucht zusammenzubringen, das sind immer so Momente, die sind sehr, sehr schwierig auch für uns."
Dass ihre Arbeit wertvoll für die Nachwelt ist, dessen können sich Corinna Gekeler und Axel Schock sicher sein. Schon jetzt gibt es Anfragen von Forschern, die das künftige Aids-Archiv für ihre Arbeit gerne nutzen wollen. Ab Juli steht es im Jacob- und Wilhelm-Grimm-Zentrum der Humboldt-Universität zur Verfügung.
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