Ahmed Ben Bella

Sturz eines algerischen Volkshelden

Der damalige algerische Staatspräsident Ahmed Ben Bella, winkend, schwarz-weiß-Aufnahme.
Der damalige algerische Staatspräsident Ahmed Ben Bella. © AFP
Von Tobias Mayer · 19.06.2015
1962 wurde Algerien unabhängig und Ahmed Ben Bella der erste Präsident des neuen Staates. Er wollte einen arabischen Sozialismus nach dem Vorbild Nassers in Ägypten verwirklichen - doch dagegen formierte sich Widerstand, der zum Sturz Ben Bellas vor 50 Jahren führte.
"Er war nicht nur der erste Präsident des unabhängigen Algerien. Ben Bella hat der ganzen Menschheit ein Vermächtnis hinterlassen. Bis zuletzt kämpfte er nicht nur für den Frieden in Algerien, sondern für die Emanzipation des Menschen im Allgemeinen."
Louisa Hanoun, Generalsekretärin der algerischen Arbeiterpartei, nach dem Tod Ahmed Ben Bellas im April 2012. Auch Islamisten wie Fateh Rabiaï von der Ennahda-Partei würdigten das Lebenswerk des Mannes, der schon 1955 alle politische Macht in Algerien verloren hatte.
"Er ist ein großes Symbol. Er zögerte niemals, sich darum zu bemühen, Konflikte zu lösen."
Ahmed Ben Bella wurde 1918 im Osten Algeriens geboren, damals eine französische Kolonie. Im Zweiten Weltkrieg kämpfte er noch für Frankreich. Später organisierte er als einer der Köpfe der Nationalen Befreiungsfront FLN den algerischen Widerstand. Zwei Jahre nach Beginn des Krieges gegen die Kolonialmacht 1954 wurde Ben Bella gefasst und in ein französisches Gefängnis gesteckt. Mit den Intrigen und Machtkämpfen innerhalb der FLN in den Jahren danach hatte er deshalb nichts zu tun. In seiner Heimat Algerien konnte er so zum Volkshelden werden.
Ahmed Ben Bellas Rückkehr kurz nach der Unabhängigkeit Algeriens 1962 wurde zum Triumphzug. Bald zog er wieder die Fäden in der zerstrittenen FLN. Nach der Verabschiedung der neuen Verfassung leitete Ben Bella als neuer Staatspräsident eine Bodenreform ein.
"Die Bodenfrage ist die Schlüsselfrage in diesem Land, und zwar aus wirtschaftlichen und aus politischen Gründen. Die Bauern waren die Basis unserer Aktion während des Befreiungskrieges, und sie bestimmen immer noch die Grundlage unseres Handelns. Dass uns der Boden unseres Vaterlandes nun wieder gehört, ist für uns die wichtigste Folge unserer Unabhängigkeit."
Herausforderung für die politische Ideologie
Ben Bella wollte in Algerien einen arabischen Sozialismus nach dem Vorbild Nassers in Ägypten verwirklichen. Doch es formierte sich Widerstand. Die berberische Bevölkerung in der Kabylei lehnte die Arabisierungspolitik der Regierung ab. Ben Bellas ehemaliger Weggefährte Hocine Aït Ahmed, selbst ein Kabyle, kämpfte gegen die Diskriminierung der berberischen Sprache und Kultur. Aït Ahmeds Bewegung nannte sich auch sozialistisch, eine große Herausforderung für die politische Ideologie des jungen Staates. Es ging um die Deutungsmacht über die algerische Revolution.
"Für Aït Ahmed ist das ein persönliches Problem. Seine Bewegung tut nur so als sei sie sozialistisch und revolutionär. Und das in einem Moment, in dem wir die fundamentalen Vorhaben der Revolution verwirklichen. Wir kämpfen gegen die Mauern des Geldes."
Der Aufstand in der Kabylei wurde niedergeschlagen. Doch bald schon drohte Ben Bella neues Ungemach. Die islamischen Gelehrten sahen die traditionellen Wertvorstellungen in einem sozialistischen Algerien nasseristisch-sowjetischer Prägung gefährdet. Der Chef des Militärs, Houari Boumedienne, teilte diese Befürchtung. Er war selbst ein strenggläubiger Muslim. Auch er war ein alter Kampfgefährte Ben Bellas, doch die Reformen gingen ihm zu weit. In der Nacht zum 19. Juni 1965 kam es zum Putsch. Ben Bella wurde in seinem Schlafzimmer verhaftet und aller seiner Ämter enthoben. Boumedienne plädierte für einen Sonderweg Algeriens.
"Für Algerien gibt es keine Vorbilder, die sich einfach übernehmen lassen. Weder die Sowjetunion noch Kuba, weder Ägypten, China oder Indochina können Algerien als Beispiel dienen. Algerien ist Algerien. Es muss seinen eigenen Weg gehen."
Ein "islamischer" Sozialismus wurde nun zur Leitlinie der neuen Politik. Ahmed Ben Bella konnte das während 15 Jahren Haft und Hausarrest nur vor dem Fernseher verfolgen. 1980 durfte er das Land verlassen und ging ins Exil nach Frankreich, zehn Jahre später kehrte er nach Algerien zurück. Bis zu seinem Tod war Ben Bella politisch aktiv und bekleidete - von Politikern aller Couleur geachtet - diverse Ehrenämter.
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