Agrarpolitik

Vom Landraub zum Mundraub

Ein Landwirt fährt mit einer Dünger- und Pestizidspritze über ein Feld mit jungem Getreide in Sieversdorf im Landkreis Oder-Spree.
Spekulationsobjekt Ackerland? © picture alliance / dpa / Patrick Pleul
Von Udo Pollmer · 08.08.2014
Gefährdet Land Grabbing die Nahrungsmittelversorgung auf der Welt? Ja, meinen Kritiker. Nein, meint Lebensmittelexperte Udo Pollmer. Denn solche Flächen würden so effektiv bewirtschaftet, dass ihr Ertrag gesteigert und so der Hunger auf der Welt bekämpft werden könne. Ganz so einfach sei es am Ende dann aber doch nicht.
Das böse Wort vom Land Grabbing macht die Runde. Wenn Investoren in der Dritten Welt Land pachten oder kaufen, gilt dies als moderner Kolonialismus. So soll ein internationales Konsortium mit deutscher Beteiligung in Sambia 120.000 Hektar erworben haben, um Energiepflanzen als Ersatz für Erdöl anzubauen. Der Ölstaat Katar erwarb in Kenia 150.000 Hektar - um Gemüse zu ernten, wie es heißt. Auch in Australien nennt Katar inzwischen eine Viertelmillion Hektar sein eigen. Australien hält sich dafür offenbar in Mosambik schadlos.
Die wichtigsten Investoren kommen angeblich aus Großbritannien, USA und China. Die Situation ist höchst verworren – weil sich niemand gern in die Karten schauen lässt. Viele Landnahmen erfolgen durch Länder der Dritten Welt selbst wie Indien, Malaysia oder Ägypten.
Sind es 30 Millionen Hektar? 150 Millionen?
Libyen hat 2008 versucht, Land in der Ukraine zu erwerben. Dann planten die Chinesen dort den Kauf von drei Millionen Hektar, schließlich mischte sich die EU ein, die ebenfalls ein Auge auf die Böden geworfen hat.
Die Angaben zu den Flächen, die weltweit seit dem Jahr 2000 den Besitzer wechselten, schwanken zwischen 30 und 150 Millionen Hektar. Niemand weiß zudem, wieviel davon tatsächlich Agrarland ist.
Menschenrechtsorganisationen warnen vor einer globalen Bedrohung: "Wenn wir diesen Trend nicht umkehren, wird die Welt ihre Fähigkeit, sich selbst zu ernähren, verlieren". Es spricht aber mehr fürs Gegenteil, wie auch eine aktuelle Studie nahelegt. Denn die Flächen werden professionell bewirtschaftet, und das bedeutet höhere Erträge.
Ein großer Teil des Ackerlandes liegt brach
Nach konservativen Berechnungen könnte das Land Grabbing bereits heute einen Überschuss erzeugen, der zusätzlich über 100 Millionen Menschen sättigt. Dazu kommt der Aufbau einer Infrastruktur, um die Ernten auf den Markt bringen zu können. Doch passiert das auch? Die Kritiker erklären, der größte Teil des Agrarlandes würde brach liegen, es seien ja nur Anlageobjekte. Doch Belege fehlen. Schließlich verwildert Ackerland sehr schnell und verliert an Wert.
Jede Gruppe legt sich ihre Berechnungen zurecht. Manche rechnen sogar aus, wieviel Land andernorts in Beschlag genommen wird, damit wir Kaffee, Olivenöl oder Orangensaft kaufen können. Das nennt man virtuelle Landimporte. Je nachdem welche Daten man nimmt, importiert Deutschland netto zwischen sieben und 70 Millionen Hektar Land von außerhalb der EU – Tendenz steigend. Davon sind etwa zehn Prozent für Importe von Sojaeiweiß als Futtermittel – der Rest ist für Obst, Biodiesel, Kaffee usw.
In diesem Datenchaos ist zumindest eine Einsicht unabweisbar: Motor des Land Grabbing ist die Agrarpolitik. Die Stilllegungsprämien, die Subventionen für Ökolandbau und die Extensivierungsprogramme bedeuten, dass die Mindererträge in der EU andernorts erzeugt werden müssen. Dazu braucht es Ackerland, dafür wird die Dritte Welt ihre Landwirtschaft intensivieren müssen.
Biodiesel ist ein wichtiger Grund für Land Grabbing
Die Inbesitznahme der Flächen überlassen wir ägyptischen, britischen oder malaysischen Konsortien – wir kaufen auf dem Weltmarkt ein und waschen unsere Hände in Unschuld, wenn woanders der Tropenwald unter die Räder kommt.
Biodiesel ist ein ganz wichtiger Grund für Land Grabbing. Die Idee hinter der grünen Energie vom Acker war, den Preis von Palmöl oder Sojaöl an den Rohölpreis zu koppeln. Wenn man Sojaöl entweder zu Salatsoße oder Diesel verarbeiten kann, dann bekommt derjenige der Zuschlag, der mehr bezahlt. Ist der Erdölpreis nicht hoch genug, dann wird Diesel oder Benzin aus Erdöl eben besteuert, um das eingesackte Geld als Subvention zu den Biodiesel-Destillen durchzureichen.
Über diesen eleganten Umweg lassen sich nicht nur die Pachtpreise, die die Landwirte – in Brandenburg wie in Afrika - zu bezahlen haben, nach oben treiben. Darüber werden auch die Preise für Grundnahrungsmittel und damit Hungersnöte in ärmeren Ländern gesteuert. Biodiesel und E10-Benzin entpuppen sich als Symbole eines modernen, grünen Kolonialismus. Mahlzeit!
Literatur:
Rulli MC et al: Global land and water grabbing. PNAS 2013; 110: 892–897
Bickert C: So viel Fläche importieren wir. DLG Mitteilungen 2011; H.5: 80-83
Witzke H von, Noleppa S: EU agricultural production and trade: Can more efficiency prevent increasing 'land-grabbing' outside of Europe? Research Report; Opera – Agripol – Humboldt Universität, Berlin o.J.
Rulli MC, D'Odorico P: Food appropriation through large scale land acquisitions. Environmental Research Letters 2014; 9: e064030
Gerth M: Land Grabbing: Die Tücken des Landkaufs. Wirtschaftswoche Online 4.4.2014
Ottavini J: Deutschland und das dicke Geschäft mit afrikanischem Land. Zeit Online vom 30.11.2013
Hölscher V: "Land Grabbing" gefährdet Ernährungssicherheit. Portal amerika 21.de vom 12. Juli 2014
Goeßmann D: Land Grabbing: Der neue Wettlauf um Afrika / E10-Benzin verstärkt Hunger. Kontext-tv.de vom 16. 3. 2011
Beerfeltz HJ: Investitionen im Land und das Phänomen des "Land Grabbing". BMZ Strategiepapier 2012; 2
Rossbach H: Der Wettlauf ums Land. FAZ vom 28.12. 2013
Lugschitz B et al: Europe's Global Land Demand. Sustainable Europe Research Institute, Wien 2011