Agatha Christie

Bei ihr konnte jeder der Mörder sein

Die englische Schriftstellerin Agatha Christie in ihrem Haus Greenway House in Devonshire an der Schreibmaschine im Januar 1953.
Die englische Schriftstellerin Agatha Christie in ihrem Haus Greenway House in Devonshire an der Schreibmaschine im Januar 1953. © picture-alliance / dpa / UPI
Von Beatrix Novy · 15.09.2015
Als Schriftstellerin wurde die Britin nur mäßig ernst genommen, aber ihr Leben war spannend und der Erfolg gewaltig: Etwa vier Milliarden Agatha-Christie-Krimis sollen bis heute verkauft worden sein. Vor 125 Jahren wurde die Krimiautorin geboren.
"Es ist Sonntag Nachmittag, am besten vor dem Krieg. Du legst die Füße aufs Sofa, setzt die Brille auf und öffnest die 'News of the world'. Roastbeef und Yorkshire Pudding, gefolgt von einer Tasse mahagonibraunen Tees, haben dich in die richtige Stimmung versetzt. Unter diesen gesegneten Umständen, was wirst du da lesen wollen? Natürlich, etwas über Mord.“
Als George Orwell seinen Essay "Der Niedergang des englischen Mordes“ schrieb, hatte der Zweite Weltkrieg das menschliche Leben in nie gekanntem Ausmaß entwertet. 1946 war vieles vorbei, auch das Goldene Zeitalter des britischen Kriminalromans. Seine Verfasser entstammten noch der spätviktorianischen Ära – aber kaum jemand hing so am alten England wie Agatha Christie, die als Agatha Miller am 15. September 1890 im englischen Torquay geboren wurde.
"Ich hatte ein schönes Zuhause und einen Garten, den ich liebte; eine weise und geduldige Kinderfrau; einen Vater und eine Mutter, die einander vergötterten.“
Wie Agatha Christies Beispiel zeigt, schließt eine glückliche Kindheit die lebenslange Beschäftigung mit menschlicher Niedertracht nicht aus – vorausgesetzt, sie findet sich in den Milieus der oberen Mittelklasse oder der Aristokratie, im britischen Landleben oder in Londoner Herrenclubs. Bei Christie ist der Mörder bestimmt nie der Gärtner, es sei denn, er habe sich nur für einen ausgegeben.
Teegesellschaften und Strychnin
"Agatha Christie wird für alle Ewigkeit assoziiert mit Teegesellschaften in Pfarrhäusern, wie sie eine Gabel in den Sandkuchen steckt, während die Frau des örtlichen Bankfilialleiters an einem Strychnin-Sandwich erstickt.“
Schrieb Agatha Christies Biografin Laura Thompson. Christies Werk lebt viel aus den Szenerien und Stimmungen, die ihre Kindheit um 1900 auf dem Landsitz Ashfield prägten, in einem von Dienstboten gut organisierten Haushalt, mit Eltern, denen die auf Arbeit gegründete Selbstdefinition moderner Menschen noch völlig fremd war.
"Ich verstehe nicht, was an Arbeit moralisch richtig sein soll. Mein Vater war ein Gentleman und machte sich sein Leben lang nie die Hände schmutzig, und doch war er ein höchst angenehmer Mensch.“
Dennoch entwickelte die Tochter des Gentleman einen ausgeprägten Hang zur Arbeit und brachte es auf ein Lebenswerk von 66 Romanen und 23 Theaterstücken, dazu Lyrik, Kurzgeschichten, Autobiographisches. Als sie 1914 verliebt dem etwas zu schneidigen Luftwaffenoffizier Archibald Christie das Jawort gab, hatte sie schon begonnen, Gedichte und Kurzgeschichten zu schreiben. Die Arbeit als Kriegshelferin im Lazarett brachte sie dem Gedanken an einen Kriminalroman näher:
"Auf den Regalen rund um mich standen Gifte, und so war es vielleicht nur natürlich, dass ich einen Giftmord ins Auge fasste.“
Beispielloser Medienhype
Der Krimi "Das fehlende Glied in der Kette“ brachte die wesentlichen Elemente des Christie-Romans zusammen: den aus der Sherlock Holmes-Tradition überlieferten Detektiv Hercule Poirot, schlichte, dialoglastige Sprache, eine überschaubare Zahl möglicher Täter am selben Ort.
Den Durchbruch brachte ihr der Roman "Alibi“, der so raffiniert konstruiert ist, dass man ihn auch sozusagen rückwärts lesen kann, von der Lösung her. Wie berühmt Agatha Christie jetzt war, zeigte der beispiellose Medienhype, der 1928 ihr kurzzeitiges Verschwinden begleitete, als sie, im Schock, vor ihrer gescheiterten Ehe buchstäblich davongelaufen war.
Mit ihrem zweiten Ehemann, dem Archäologen Max Mallowan, hatte sie mehr Glück. Auf den Reisen mit ihm wuchs sie sogar über den Status einer Hobby-Archäologin hinaus, während ihre Bücher in aller Welt milliardenfach verkauft wurden. Neuere Krimigenerationen rätselten freilich, wie stilistische Banalität, aufs Zwischenmenschliche begrenzte Konflikte und vielfache Ungereimtheiten so viel Erfolg haben konnten.
"Angesichts des Todes sollte meiner Meinung nach ein Element des Schocks und Entsetzens und Schmerzes mitschwingen.“
Kritisierte die Autorin Ruth Rendell die buchstäbliche Blutlosigkeit der Christie-Krimis. Dafür, befand ihre andere Kollegin P. D. James, konnte bei Christie jeder der Mörder sein – sogar ein Kind. Das Böse überall für möglich zu halten, dieser Grundsatz der gemütlichen Hobbydetektivin Miss Marple prägt die Christie-Welt – und die hat ihre eigene Realität. So konnte auch Agatha Christie selbst in aller Ruhe alt werden und das Leben auch mit 72 noch sehr lieben.
"It’s just as nice to be 72 as it is to be young."
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