Afrikanische Kunst

Meister mit Messer und Stechbeitel

Von Christian Gampert · 13.02.2014
Sie war das wichtigste Vorbild für Picasso und die Expressionisten: die Kunst Afrikas. Doch über die Urheber der Masken und Skulpturen ist nur wenig bekannt. Eine Ausstellung in Zürich begibt sich auf ihre Spuren.
Dass afrikanische Holzbildhauer nicht nach vorgegebenen Klischees arbeiten, sondern ihre eigene Handschrift suchen – diese Erkenntnis geht auf den deutschen Ethnologen Hans Himmelheber zurück, der in den 1930er-Jahren in der damals französischen Elfenbeinküste bei den Baule und Guro erstmals einzelne Künstler über ihre ästhetischen Vorstellungen befragte. Kurator Lorenz Homberger:
"Er hat festgestellt, dass diese Künstler ein Schönheitsideal kennen. So wie Rubens und Picasso eine schöne Frau im Kopf hatten, wenn sie etwas taten, so haben auch die Bildhauer an der Elfenbeinküste ein Schönheitsideal im Kopf, das sie beschreiben können. Sie haben beispielsweise ein ästhetisches Vokabular, haben eine Kunstkritik."
In der Nachfolge von Himmelheber forscht man am Züricher Museum Rietberg seit dreißig Jahren intensiv über Künstler aus Westafrika – und der Kurator Lorenz Homberger kann nun eine Ausstellung präsentieren, die jeweils zehn Meister aus sechs verschiedenen Regionen vorstellt.
"Eine riesige Spannweite des Ausdrucks"
"Das war ja eigentlich immer das Vorurteil aus Europa, dass man dachte, dass sogenannte Stammeskunst formal immer gleich ist. Also bei den Baule sind die Figuren so und so und nicht anders. Das ist völlig falsch. Es gibt innerhalb dieser Ethnien eine riesige Spannweite von Möglichkeiten des Ausdrucks. Das können wir in dieser Ausstellung wunderbar zeigen."
Mit ihren stilisierten glatten Formen und ebenmäßigen Gesichtszügen, die schon die Kubisten und Expressionisten faszinierten, schauen uns diese Skulpturen und Ritualfiguren eindringlich an. Auch ihre Körper mit den hervorgehobenen Geschlechtsmerkmalen sind makellos und klar. Sie orientieren sich ganz offenbar nicht an einem lebenden Menschen, sondern an einem nach geometrischen Linien gebauten Vorbild: die sitzende männliche Figur mit einer Trinkschale aus der Baule-Region, den Kopf feierlich nach vorne gereckt; die nach hinten fliehenden, mit Hörnern versehenen Gesichtszüge einer Maske des "Meisters von Buafle" aus der Guro-Region; die stoisch blickende große Maske mit Stirnnarbe aus der südlichen Dan-Region im heutigen Liberia, an der die schmalen, wie ein Strich geschnitzten Augen und stark betonten Lippen auffallen.
Die Werke stammen zumeist aus der Zeit um 1900, die Bildhauer kommen aus verschiedenen westafrikanischen Stämmen, den Dan, den Senufo, den Lobi, den sogenannten Lagunenvölkern. Die Siedlungsgebiete dieser Ethnien in der Côte d’Ivoire lappen auch nach Mali, Liberia, Ghana, Burkina Faso über. Mit Messer und Stechbeitel und den unterschiedlichsten Hölzern schaffen diese Künstler Skulpturen, die eine sehr individuelle Handschrift zeigen: der Meister der Niono ist spezialisiert auf Masken mit Zöpfen, ein anderer schnitzt stets Gesichter mit schrägstehenden Augen. Auffällig die "Skarifikationen", die Schmucknarben, die ornamental eingesetzt werden, oder die bei fast allen Künstlern sehr kleinen Ohren.
Stile, die nicht mehr ethnisch definiert sind
"Sicher gibt es regionale Unterschiede. Aber es gibt auch Berichte, dass Bildhauer sich weiterbildeten, indem sie reisten. Und dann haben sie etwas entdeckt in einer Nachbar-Ethnie und haben das übernommen, formal. Und so gibt es diese Verschmelzungen von Stilen, die eben nicht mehr ethnisch definiert sind, sondern die Werkstatt- oder Meister-Charakter dann aufweisen."
Bei schriftlosen Völkern ist es schwierig, Künstler namhaft zu machen. Deshalb ist, wer damals reiste und wer heute reist, auf Zuschreibungen und Berichte anderer angewiesen – sofern man die Künstler nicht selber kennt. Aber im Grunde funktionieren diese Zuschreibungen wie bei uns im Mittelalter. Da gab es auch den Meister von Meßkirch, den Ulmer Meister oder den Züricher Nelkenmeister, der immer mit einer Nelke zeichnete, aber dessen Namen bis heute niemand kennt. Es gibt auch in Afrika Werkstätten, die für einen Meister arbeiten – und den sogenannten Umkreis, wo Zuarbeiter und Schüler tätig sind.
Die Figuren sind zum Teil Prestigeobjekte, zum großen Teil werden sie bei Ritualen benutzt. Manche Figuren stehen in einem Schrein und man opfert den Göttern, indem man sie mit Speisen und Brei übergießt. Die große Deble-Figur der Senufo begleitet die Verstorbenen aus dem Dorf zum Friedhof, das Ritual muss streng eingehalten werden, sonst spukt die Seele im Dorf herum.
Viele Künstler in Afrika haben Nachahmer, weniger begabte Künstler aus der Dorfgemeinschaft oder Zugereiste. Oft ist das künstlerisch wertvolle Original nur schwer von der nachgemachten, aber schwer auf alt getrimmten Konfektionsware zu unterscheiden. Seit dem Zweiten Weltkrieg kommt immer mehr Imitat und auch Raubkunst nach Europa, zu teuren Preisen. Diese wunderschöne Ausstellung, die die Objekte sakral ausleuchtet, ist ein Plädoyer für das Original, das rituelle Objekt, das afrikanische Kunstwerk – das eben nicht ins bürgerliche europäische Wohnzimmer gehört, sondern wenn überhaupt dann ins Museum.
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