Afghanistan-Experte: Taliban-Aussteigerprogramm ist "richtiger Ansatz"

Markus Kaim im Gespräch mit Ute Welty · 26.01.2010
Beim zivilen Aufbau in Afghanistan sollte die Bereitstellung von Grunddienstleistungen verstärkt in den Vordergrund rücken, sagt Markus Kaim, Afghanistan-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik. Der Aufbau von Infrastruktur und Sicherheit müsse Vorrang haben.
Ute Welty: Mehr Soldaten, mehr Polizeiausbildung, mehr Geld für Schulen – was hilft wirklich, um Afghanistan sicherer und stabiler zu machen? Seit 2002 ist die Bundeswehr dort im Einsatz, und allmählich werden die Bemühungen hektisch, weil die Ergebnisse ausbleiben. Eine neue Strategie muss her. Wie die aussehen könnte und müsste, darüber spreche ich jetzt mit Markus Kaim, er leitet die Forschungsgruppe Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Guten Morgen, Herr Kaim!

Markus Kaim: Guten Morgen, Frau Welty!

Welty: Wie schätzen Sie das ein, wie wird die neue Afghanistan-Strategie der Bundesregierung aussehen und wie sollte sie aussehen?

Kaim: Also ich glaube, man muss festhalten, dass es in den vergangenen Jahren an sogenannten Strategien ja nicht gemangelt hat. Es gibt ein Afghanistan-Konzept der Bundesregierung, es gibt ein vergleichbares Konzept der NATO, das heißt, wir erwarten jetzt von der Londoner Konferenz etwas Falsches, wenn wir glauben, das Rad würde neu erfunden. Das überwölbende Ziel bleibt ja identisch, die Gewährleistung von Sicherheit auf dem afghanischen Staatsgebiet, sodass andere, nämlich die afghanischen Behörden und internationale Organisationen den Wiederaufbau organisieren können. Das heißt, es geht jetzt nicht darum, das Was neu zu definieren, sondern das Wie, und für die verbleibende Zeit in Afghanistan die Kräfte noch einmal neu zu bündeln. Und ich glaube, das wird das Ziel auch von der Londoner Konferenz sein.

Welty: Lassen Sie uns doch bitte noch mal sprechen über die drei Komponenten, die ich eben genannt habe, und beginnen wir mit der militärischen Komponenten. Jetzt ist die Rede davon, das Maximalkontingent der deutschen Soldaten um 500 Mann aufzustocken, gleichzeitig aber auf Kampftruppen zu verzichten. Macht das Sinn?

Kaim: Die 500 sind ja ein Kompromiss zwischen höheren Anforderungen, die von der NATO gestellt worden sind, und die auch die verschlechterte Sicherheitslage in Afghanistan reflektieren, die sich gerade im vergangenen Jahr enorm verschlechtert hat, und den innenpolitischen Beschränkungen. Der Einsatz ist nicht sonderlich populär, wir kennen alle die Zahlen der öffentlichen Meinung.

Entscheidend wird die Frage sein, wofür man diese 500 denn einsetzen möchte. Ob es darum gehen wird, die Nachschubwege der ISAF in Nordafghanistan zu sichern, ob man die 500 nur für die Polizeiausbildung beziehungsweise für die Ausbildung der afghanischen Armee einsetzen möchte oder ob man damit Aufstandsbekämpfung machen möchte. Entscheidend wird allerdings sein, dass sich die NATO und damit auch das Bundeswehrkontingent weiterhin der neuen NATO-Strategie des vergangenen Jahres verpflichtet fühlt, möglichst Zivilisten zu schonen, keine Taliban aktiv zu bekämpfen und die Zivilisten auf diesem Wege für sich zu gewinnen.

Welty: Stichwort Polizeiausbildung: Auch da springt die Bundeswehr ja ein, weil die Länder zum Teil nicht ausreichend mitziehen, während ein bilaterales Abkommen zwischen der Bundespolizei und der afghanischen Polizei ja durchaus Erfolge vorweisen kann. Wo sehen Sie die Möglichkeit der Optimierungen?

Kaim: Also ich glaube, dieses Polizeiprogramm ist nach vielen Schwierigkeiten langsam auf dem richtigen Weg. Vor einigen Jahren hat es noch Auseinandersetzungen gegeben gerade zwischen den USA und den europäischen Verbündeten, ob man eine klassische Polizeiausbildung machen soll, also ob die für Afghanistan angemessen sei, oder ob die nicht viel stärker paramilitärisch ausgerichtet werden solle angesichts der Sicherheitslage im Land. Da haben sich beide Positionen mittlerweile angenähert.

Das Grundproblem ist erkannt und bleibt aber ein solches, dass die Ressourcen, die der Westen dafür verwendet hat, vor allen Dingen die Europäer und damit auch die Bundesrepublik viel zu gering gewesen sind. Also die geringen Ausbildungszahlen, die geringen Ausbilderzahlen sind in den vergangenen Wochen ja in den Medien gewesen. Das heißt, hier bleibt der unoriginelle Rat, mehr Geld in die Hand zu nehmen, schneller und intensiver auszubilden.

Welty: Auf der anderen Seite steht der sogenannte zivile Aufbau und auch hier die Forderung nach mehr Geld. Was heißt das in deutschem und vor allen Dingen was heißt das in afghanischem Verständnis?

Kaim: Ich glaube, wir haben uns lange Zeit damit verzettelt, den Wiederaufbau in Afghanistan auch mit bestimmten Werten des Westens zu verbinden, also Stichwort die Mädchenschulen, die es aufzubauen gelte. Und wir haben ein wenig vernachlässigt die sogenannten Grunddienstleistungen, die die Afghanen interessieren, also die Frage, habe ich fließendes Wasser, kann ich meine Kinder sicher zur Schule bringen, ist eine Straße da, mit der ich meine Produkte zum nächsten Markt bringen kann und anderes mehr. Und ich glaube, jetzt geht es darum, noch erneut sich noch einmal darauf zu konzentrieren, diese Grunddienstleistungen zur Verfügung zu stellen, sodass man damit letztlich auch die Herzen der Afghanen gewinnt. Und es geht ja auch darum, tatsächlich in wenigen Jahren die Verantwortung an die afghanischen Behörden zu übergeben.

Welty: Lassen Sie uns kurz noch über das Aussteigerprogramm sprechen, das der Außenminister auflegen will für gemäßigte Taliban. In der CSU spricht man bereits spöttisch von der Taliban-Abwrackprämie, ist dieser Spott berechtigt?

Kaim: Sagen wir so, aus den vergangenen 50 Jahren kennen wir eigentlich keinen einzigen Bürgerkrieg, wo es nicht Elemente gegeben hat, um diesen zu beenden, dass man den Guerillas oder den Aufständischen irgendwelche Formen von Angeboten gemacht hat, um sie wieder zu reintegrieren in die Gesellschaft und im politischen Prozess. Ob das unbedingt Geld sein muss, wie in den letzten Tagen vorgeschlagen, sei dahingestellt, oder ob es eher sein muss Teilhabe an der politischen Macht. Aber ich glaube, die Grundrichtung, dass man Aufständischen oder weiten Teilen davon irgendetwas anbieten muss, um sie dazu zu bewegen, die Waffen niederzulegen, sich aufzulösen, also ihre Gruppierung aufzulösen und dann in den politischen Prozess zurückzukommen, das ist, glaube ich, ein richtiger Ansatz.

Welty: Die Kanzlerin kämpft ihren eigenen Kampf um eine breite Mehrheit im Bundestag, unterrichtet heute zum Beispiel die Fraktionschefs. Reicht das Ihrer Meinung nach aus, um diesen Einsatz auch im Gefühl der Bevölkerung zu verankern?

Kaim: Ich glaube, je größer der Aufwand ist, den die Bundesregierung jetzt betreiben wird – sei es militärisch, sei es zivil, sei es mit Geld –, desto stärker muss sie das binden an eine Abzugsperspektive oder an ein Ende dieses Einsatzes. Deutschland wird zumindest in den nächsten drei bis vier Jahren militärisch noch vertreten sein, und ich glaube, jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, um der Bevölkerung, nachdem das im Bundestagswahlkampf nicht erfolgt ist, noch einmal deutlich zu erklären, wie eigentlich die Perspektive des deutschen und auch des NATO-Einsatzes in Afghanistan sein wird.

Welty: Die Bundesregierung auf der Suche nach einer Afghanistan-Strategie im achten Jahr des Einsatzes. Dazu Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Vielen Dank für Ihre Einschätzung!
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