Afghanistan

Besuch bei den Töpfern von Istalif

Weltzeit: Die Töpfer von Istalif
Handwerkskunst - für welche die Töpfer von Istalif im ganzen Land berühmt sind. © Deutschlandradio / Sandra Petersmann
Von Sandra Petersmann  · 19.08.2015
Wie rettet man ein traditionelles Handwerk im Krieg? In Afghanistan herrscht seit mehr als drei Jahrzehnten Chaos. Daran hat auch der Einmarsch des Westens nichts geändert. Die Töpfer von Istalif versuchen trotzdem, ihre Handwerkskunst zu bewahren.
Der große Tonklumpen landet klatschend auf der Werkbank. Wasser obendrauf, und dann kommen die knetenden Hände zum Einsatz. Abdul Matin ist ein wahrer Meister seines Fachs. Seine Hände sind seine Instrumente.
Kaum landet der gut durchgeknetete Ton auf der fußbetriebenen Drehscheibe, formen seine Finger auch schon eine Schale.
"Ein guter Töpfer ist ein Künstler mit einer einzigartigen Handschrift",
berichtet Matin lachend. Er ist 30 Jahre alt und hat das Handwerk von seinem Vater Abdul Salam gelernt, der es einst von seinem Vater lernte. Der weißbärtige Salam schaut stolz auf seinen Sohn, der den nächsten Tonklumpen auf die Töpferscheibe wuchtet und in eine Schüssel verwandelt.
"Die Töpferei ist eine Kunst, für die man seinen Kopf braucht",
sagt der Altmeister und tippt sich an die Stirn. Der 80-jährige Patriarch hat den Familienbetrieb durch schlimme Jahre gesteuert.
Ein blutiger Bürgerkrieg
"Der Krieg erreichte unser Dorf mit dem Einmarsch der Sowjetunion",
erinnert sich Abdul Salam. Am Anfang habe es nur sporadische Kämpfe gegeben. Dann wurde es immer schlimmer. Auch sein ältester Sohn griff zur Waffe, um gegen die Rote Armee zu kämpfen. Als die sowjetischen Soldaten 1989 nach zehn Jahren abzogen, brach der Machtkampf der siegreichen afghanischen Freiheitskämpfer aus. Es entwickelte sich ein blutiger Bürgerkrieg, der die Taliban 1996 an die Macht spülte.
"Die Taliban haben hier alles zerstört, sie haben Minen gelegt und unsere Werkstätten, Häuser und Obstgärten verbrannt",
berichtet Abdul Salam.
"Aber sie haben uns am Leben gelassen, wenn wir uns ergeben haben".
Die Russen, ergänzt der alte Töpfermeister verächtlich, hätten gebombt und geschossen, um alle zu töten. Istalif ist bis heute durchzogen von Ruinen, Explosionskratern und Grabstätten.
Abdul Salam und seine Angehörigen hielten die Hölle lange aus. Doch während des Bürgerkriegs flohen auch sie aus dem Töpferdorf. Die Familie suchte in Kabul Unterschlupf, die Männer verdingten sich in der Hauptstadt als Tagelöhner. Als die Taliban nach dem Einmarsch des Westens gestürzt waren und der neue Präsident Hamid Karzai ein neues Afghanistan versprach, kehrte die Töpferfamilie im Spätsommer 2002 voller Hoffnung nach Istalif zurück.
"Hier war alles kaputt. Der Wiederaufbau braucht viel Zeit und Geduld. Wir geben uns große Mühe, unser Töpferhandwerk zu bewahren",
sagt der alte Mann. Sein Sohn Matin hat in der Zwischenzeit fünf weitere Schalen getöpfert.
Draußen, im Hof, stapelt sich die frische Ware. Sie trocknet in der Sonne bevor es in den traditionellen Holz-Brennofen geht. Fertig ist die Handwerkskunst, wenn sie ihren tiefen, blau-grünen Anstrich bekommt, für den die Töpfer von Istalif im ganzen Land berühmt sind.
Sorgen um die Zukunft
"Ich habe mein ganzes Leben in einem Land mit Krieg und Gewalt verbracht. Es war für mich unmöglich zu studieren",
erzählt Matin wehmütig. Er macht sich große Sorgen um die Zukunft. Er träumt von Kunst und Modernisierung.
"Ich denke oft darüber nach, Afghanistan zu verlassen, um eine bessere Arbeit und ein besseres Leben zu finden",
gibt er ehrlich zu. Doch er fühlt sich verantwortlich, und sein Vater will bleiben.
"Wir leben hier ohne Sicherheit", klagt Matin. Ihm fehlt der Markt für seine Ware. Er berichtet enthusiastisch über die kurze Blütezeit nach dem Sturz der Taliban. Damals kamen viele ausländische Helfer und Soldaten ins malerische Istalif. Mit ihnen kamen geteerte Straßen, Elektrizität und afghanische Touristen. Doch dann, nach ein paar Jahren, kamen die Taliban zurück und mit ihnen die Anschläge. Die meisten Ausländer sind wieder verschwunden, der Terror hat Kabul erreicht und die Bergidylle von Istalif abgeschnitten. Viele halten die Fahrt aus Kabul, die etwas mehr als eine Stunde dauert, für zu gefährlich.
Matin ist wütend auf die neue Regierung der nationalen Einheit unter Präsident Ashraf Ghani. "Die streiten doch nur anstatt zu regieren", klagt der junge Töpfer an. Er hat Angst vor den Taliban, die ohne ihre Führungsfigur Mullah Omar wütend um Einheit ringen. Er hat auch Angst vor dem selbsternannten Islamischen Staat, der versucht in Afghanistan Fuß zu fassen. Und er hat Angst vor den vielen lokalen Kriegsfürsten, die mit ihren Waffen jedes Machtvakuum gnadenlos ausnutzen.
"Der Frieden liegt in Gottes Hand", beschwichtigt sein Vater Abdul Salam. Der 80-Jährige sagt, dass er schon schlimmere Zeiten im afghanischen Krieg erlebt hat.
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