AfD-Parteitag

Showdown zwischen Lucke und Petry

AfD-Parteisprecherin Frauke Petry und Bundesparteichef Bernd Lucke
Parteigründer Bernd Lucke und AfD-Co-Vorsitzende Frauke Petry © picture alliance / dpa - David Ebener
Frank Decker im Gespräch mit Ute Welty · 04.07.2015
Wirtschaftsliberal gegen nationalkonservativ: Auf dem Bundesparteitag der Alternative für Deutschland in Essen entscheiden die Mitglieder, wer in Zukunft an der Spitze der Partei steht und ob die Partei den Weg nach Rechtsaußen einschlägt. Das Rennen ist offen, sagt der Politologe Frank Decker.
Der Machtkampf zwischen dem eher wirtschaftsliberal-eurokritischen Lager um Bernd Lucke und dem nationalkonservativen Lager um die sächsische Landeschefin Frauke Petry wird beim Mitglieder-Parteitag der Alternative für Deutschland (AfD) an diesem Wochenende in Essen entschieden. Der Politikwissenschaftler Frank Decker von der Universität Bonn geht von einem offenen Rennen aus:
"Über 4.000 Mitglieder der 22.000 AfD-Mitglieder werden nach Essen kommen. Und die Mitglieder sind nicht so leicht berechenbar. Es wird tatsächlich ein offenes Rennen", sagte Decker im Deutschlandradio Kultur vor Beginn des Parteitages, bei dem die Mitglieder über die neue Führung der Partei entscheiden. Sollte die sächsische Landeschefin Frauke Petry den Kampf um das Amt des ersten Vorsitzenden gewinnen, verdanke sie dies auch dem wachsenden Rechtspopulismus in Europa, erklärte der Professor am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie an der Universität Bonn.
Problem der Abgrenzung nach Rechtsaußen
Grundsätzlich habe der liberal-konservative Flügel größere Probleme mit den Nationalkonservativen als umgekehrt, erklärte der Politologe weiter: "Und die Position von Lucke und Olaf Henkel ist ja in gewisser Weise auch nachvollziehbar. Sie sagen eben, wenn sich Petry, wenn sich der nationalkonservative Flügel durchsetzen, dann gibt es im Grunde kein Halten mehr, dann stellt sich das Problem der Abgrenzung nach ganz rechtsaußen. Und das wäre natürlich für die Partei hochgefährlich. Auf der anderen Seite haben die Nationalkonservativen Recht, wenn sie sagen, unser Wählerpotenzial ist breiter, wenn wir uns nicht auf das Eurothema oder einen moderaten gesellschaftspolitischen Konservatismus verengen."

Versöhnung zwischen den Lagern kaum mehr vorstellbar
Für den Fall, dass sich das nationalkonservative Lager durchsetzt und Parteigründer Bernd Lucke bei einer Niederlage die Partei verlässt, bezweifelt Decker, dass die AfD langfristig eine Zukunft im Parteienspektrum der Bundesrepublik haben wird: "Damit ist die Gefahr natürlich noch um so größer, dass sich die Partei weiter nach Rechtsaußen bewegt. Das wäre dann mittelfristig ihr Ende", sagt der Autor des 2013 erschienenen Buches "Wenn die Populisten kommen. Beiträge zum Zustand der Demokratie und des Parteiensystems".
Eine Vermittlung zwischen beiden Flügeln sei allerdings angesichts der mittlerweile durchgängig durch alle Mitglieder verlaufenden Fronten kaum mehr vorstellbar.
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Das vollständige Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Die Sicherheitshinweise der Bundesgeschäftsstelle vor dem Parteitag sprechen Bände: Ausdrücklich verbietet die Alternative für Deutschland ihren Mitgliedern das Mitführen von Schusswaffen, Hieb- und Stichwaffen, Sprengkörpern, Tränengas und Trillerpfeifen. Die AfD ist offenbar in Kampflaune und es wird wohl hoch hergehen in der Grugahalle in Essen, wo ab heute tausende AfD-Anhänger auf einem Mitgliederparteitag entscheiden sollen über das künftige Spitzenpersonal und über den künftigen Kurs. Wohin die Reise führt, das kann ich jetzt mit Frank Decker besprechen, Professor in Bonn für Politische Wissenschaft und Soziologie. Guten Morgen!
Frank Decker: Guten Morgen!
Welty: Personal und Ausrichtung sind ja im Falle der AfD eng miteinander verknüpft: auf der einen Seite der Parteivorsitzende Bernd Lucke und die Eurokritiker, auf der anderen Seite die rechtskonservative Frauke Petry, AfD-Chefin in Sachsen, die enge Verbindungen hat auch zur Pegida-Bewegung. Wer ist in der besseren Ausgangsposition?
Decker: Das ist ganz schwer zu sagen.
Welty: Deswegen frage ich Sie ja.
Die Mitglieder sind nicht so leicht berechenbar
Decker: Ja. Ursprünglich sollte ja der Parteitag als Delegiertenparteitag durchgeführt werden und dann hätte Petry wohl die besseren Karten gehabt. Jetzt ist es aber ein Mitgliederparteitag, über 4.000 Mitglieder der 22.000 AfD-Mitglieder werden nach Essen kommen, und die Mitglieder sind nicht so leicht berechenbar. Also es ist dann tatsächlich ein offenes Rennen, und da ist ja nun hinter den Kulissen auch emsig versucht worden von beiden Seiten, nun die Unterstützer zu versammeln. Also ich würde mich jetzt nicht festlegen und Parteitage haben auch ihre eigene Dynamik, es hängt also auch vom Auftreten der beiden Protagonisten ab, wer dann am Ende das Rennen macht.
Welty: Lässt sich im Vorfeld wenigstens so viel sagen, dass die Griechenlandkrise, die ja auch an diesem Wochenende eine Art Showdown erfährt, nicht unbedingt auf Luckes Konto einzahlt?
Decker: Ja, Frauke Petry hat ja versucht, nun selber bei diesem Thema etwas zu punkten, indem sie nach Griechenland gefahren ist. Also sie hat zumindest den Vorteil, dass sie dann auf dem Parteitag quasi aus erster Hand berichten kann von ihren Gesprächen. Aber es ist schon interessant, dass nun im Moment, wo alles über Griechenland spricht, dieses Thema für die AfD überhaupt nicht einzahlt, und das ist ja eigentlich ihr Gründungsthema gewesen. Die öffentliche Aufmerksamkeit konzentriert sich allein auf den Machtkampf in der AfD und die Umfragen sind ja auch schon deutlich abgesackt. Normalerweise müsste es doch umgekehrt sein, müsste die AfD jetzt gerade von diesem Thema – das kann sie als eine gewisse Bestätigung ja betrachten auch ihrer eigenen Position – profitieren. Das tut sie nicht.
Welty: Wenn Frauke Petry als Rechtskonservative diesen Machtkampf für sich entscheidet, ist das dann auch eine Folge des wachsenden Rechtspopulismus in Europa, von Österreich über die Niederlande bis hin nach Dänemark?
Decker: Ja, natürlich stellt sich die Frage, warum wir in der Bundesrepublik gewissermaßen als einziges Land – Spanien könnte man vielleicht auch noch nennen, aber ansonsten gibt es diese Parteien überall –, wir sind da lange Zeit verschont geblieben. Eigentlich haben wir es jetzt mit einer Normalisierung zu tun. Und es hat ja jetzt auch noch mal eine Umfrage gegeben, eine Forsa-Umfrage nach den Einstellungen der AfD-Wähler, und da sieht man doch sehr starke Berührungen auch mit rechtem oder rechtsradikalem Gedankengut. Also das wäre sehr verwunderlich, wenn es hierfür kein Potenzial gibt. Aber Potenzial ist das eine, Gelegenheiten, politische Gelegenheiten, Themen sind das eine, auf der anderen Seite muss es dann aber auch einen Akteur geben, muss es Personen geben, die in der Lage sind, diese Gelegenheiten zu nutzen. Und das haben wir eben in der Bundesrepublik schon öfter erlebt, dass die Parteien dann am Ende an sich selber scheitern. Das ist auch bei der AfD nicht ausgeschlossen.
Welty: Das Verhältnis, wo Sie die Akteure angesprochen haben, das Verhältnis zwischen Lucke und Petry gilt als zerrüttet. Warum gelingt es den beiden so wenig, die Positionen und damit auch die Kräfte zu bündeln?
Eigentlich fliegt man mit zwei kräftigen Flügeln besser
Decker: Ja, das wäre eigentlich vernünftig, denn, das sehen wir auch bei anderen Parteien, mit zwei kräftigen Flügeln fliegt man besser und kann man eben auch eine größere Wählerschaft ansprechen. Es ist sicherlich so, dass der nationalkonservative Flügel mit dem liberalen Flügel weniger Probleme hat als umgekehrt. Und die Position von Lucke, auch Olaf Henkel ist ja in gewisser Weise auch nachvollziehbar. Sie sagen eben: Wenn sich Petry, wenn sich damit der nationalkonservative Flügel durchsetzt, dann gibt es im Grunde kein Halten mehr, dann stellt sich tatsächlich das Problem der Abgrenzung nach ganz rechts außen, und das wäre natürlich für die Partei hochgefährlich. Auf der anderen Seite haben die Nationalkonservativen recht, wenn sie sagen: Unser Wählerpotenzial ist breiter, wenn wir uns eben nicht auf das Eurothema oder auf einen moderaten gesellschaftspolitischen Konservatismus verengen.
Welty: Was bedeutet das alles für die Zukunft der AfD, auch wenn Sie sich die kurze, durchaus wechselvolle Geschichte der Partei anschauen?
Decker: Ja, das werden wir heute Abend dann besser beantworten können. Es ist ja nicht ausgeschlossen bei einer Niederlage von Lucke, dass er sich zurückzieht, und damit ist die Gefahr natürlich noch umso größer, dass die Partei sich weiter nach rechts außen bewegt. Das, würde ich schon sagen, wäre dann mittelfristig ihr Ende. Aber möglicherweise sind ja die beiden Seiten auch doch noch mal in der Lage, sich zusammenzuraufen. Ich glaube aber nicht, dass es dann mit den beiden Personen passiert, die sind nicht in der Lage, zusammenzuarbeiten. Also insoweit wäre es vielleicht sogar vernünftig, wenn beide zurückträten und dann den Weg frei machen würden für eine dritte Person, die dann vielleicht eher in der Lage wäre, die beiden Flügel zusammenzuführen.
Welty: Wer könnte das sein?
Mittlerweile sind die Fronten schon verhärtet
Decker: Nun, das müsste dann natürlich jemand sein, der von den Auseinandersetzungen der letzten Woche nicht belastet ist. Aber da sehen wir ja gerade das Problem, dass in der AfD sich nun mehr oder weniger alle Protagonisten dann dem einen oder anderen Lager zugeordnet haben. Also insoweit sind da die Fronten mittlerweile schon so verhärtet, dass ein solcher Ausweg im Grunde gar nicht mehr denkbar ist.
Welty: Eurokritik gegen Rechtspopulismus, Lucke gegen Petry – es wird ein mindestens abwechslungsreicher Parteitag der Alternative für Deutschland, meint auch Politikwissenschaftler Frank Decker im „Studio 9"-Gespräch, für das ich herzlich danke.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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