Äußerung zu Menschenrechten

Rote Karte für den Bundesinnenminister

Bundesinneminister Thomas de Maizière in Rabat, Marokko.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière in Rabat © Fadel Senna / AFP
Von Stefan Maas · 05.03.2016
"Nicht der Schiedsrichter beim Thema Menschenrechte für die ganze Welt sein": Mit dieser Äußerung zerschieße Thomas de Maizière die Bemühungen der Bundesregierung um die Einhaltung der Menschenrechte, meint Stefan Maas. Er habe damit der Türkei einen "Freifahrtschein" erteilt.
Die Äußerung von Bundesinnenminister Thomas de Maizière, "wir sollten nicht der Schiedsrichter beim Thema Menschenrechte für die ganze Welt sein", verdient eindeutig eine rote Karte, um im Bild zu bleiben. Mit diesem Satz und der dazugehörigen Haltung, die diese Aussage ja verdeutlich, zerschießt de Maizière die Bemühungen aller anderen Minister und auch der Kanzlerin, wenn diese im Ausland unterwegs sind, zumindest hinter verschlossenen Türen die Einhaltung der Menschenrechte anzusprechen.
Man stelle sich einmal vor, wie arabische oder auch chinesische Politiker milde lächeln, denn lauthals Loslachen gehört sich wahrscheinlich in diplomatischen Kreisen nicht, wenn Außenminister Frank Walter Steinmeier sie demnächst auf Würde, körperliche Unversehrtheit, Folter – oder auch das Thema Meinungsfreiheit anspricht. Und man darf sagen: mit Recht.
Denn Menschenrechte gelten entweder immer – oder eben nie. Ein bisschen Menschenrechte, Menschenrechte light, vielleicht ein kleines Menü zum Ankreuzen á la "Welche Werte passen denn gerade zu unseren politischen Interessen oder den wirtschaftlichen" - das ist nicht akzeptabel.

Sollen die EU und Deutschland ein Auge zudrücken?

Thomas de Maizière hat ja Recht, wenn er sagt, dass die Türkei einiges geleistet hat, indem sie 2,5 Millionen syrische Flüchtlinge im Land aufgenommen hat. Doch darüber darf gerade eine Gemeinschaft wie die EU, die auch von sich behauptet, eine Wertegemeinschaft zu sein, nicht vergessen, dass es hier um genau diese Werte geht. Um das eigene Fundament.
Statt um die Werte zu kämpfen – auch innerhalb der eigenen 28 Mitgliedsstaaten, wo die ein oder andere Regierung darauf mittlerweile unverhohlen zu pfeifen scheint, soll die Europäische Union, soll Deutschland ein Auge zudrücken? Sich verkaufen, damit Ruhe ist im Land? Rein praktisch betrachtet sollte sie das wohl. Denn das hehre Ziel, die Fluchtursachen zu bekämpfen, indem man die Gründe für Kriege oder sonstige humanitäre Katastrophen abstellt, klingt – naiv, meinen Sie? – zumindest klingt es nicht nach Nahziel. Denn nicht einmal die internationalen Akteure sind sich ja einig darüber, wie der Zustand nach dem Krieg aussehen sollte – oder mit wem an der Macht. Zeit ist also nicht vorhanden weil Menschen betroffen sind, leiden, sterben. Also bleibt als Nothilfe zunächst einmal die Unterbringung der Flüchtlinge.
Weil viele EU-Staaten bei dieser Verteilung nicht mitmachen wollen, muss also eine Lösung außerhalb der eigenen Grenzen gefunden werden. Aus den Augen aus dem Sinn – seit Jahren gängige Praxis.

Auch EU-Kommission handelt flexibel gegenüber Türkei

Wen das schmerzt, den dürfte es noch mehr beschämen, dass ein deutscher Minister nun auch noch einer Regierung einen Freifahrtschein erteilt, essentielle Rechte der eigenen Bevölkerung wie Presse- und Meinungsfreiheit mit Füßen zu treten. Dass die Situation bei der regierungskritischen Zeitung "Zaman" erst völlig eskaliert ist, nachdem de Maizière seinen Satz vom Schiedsrichter gesagt hat, löst das Problem nicht auf, denn es ist ja nur ein weiterer Vorfall in einer längeren Reihe.
Die EU-Kommission hat erst Ende vergangenen Jahres in ihrem Fortschrittsbericht die Türkei wegen Gesetzen im Bereich Meinungs- und Versammlungsfreiheit kritisiert. Und hat dann den Fortschrittsbericht bis nach den Wahlen zurückgehalten. De Maizière steht also nicht allein mit seiner flexiblen Haltung gegenüber einer Regierung, die aus innenpolitischen Gründen neue Konflikte schafft – und weil sie bei der Erleichterung der Flüchtlingskrise gebraucht wird, ungeschoren damit davonkommt.
Wir sollten in der Tat kein Schiedsrichter sein – vor allem nicht, wenn er käuflich ist.
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